SaschaSalamander

Ausgewählter Beitrag

Genderbashing

Wie im April bereits in einem >Vorab-Beitrag< vermerkt, ist >GENDERBASHING< aus dem >Unrast-Verlag< weniger ein Buch als vielmehr eine wissenschaftliche Arbeit. Dementsprechend lässt es sich nicht nebenbei lesen, sondern verlangt seine Zeit und Aufmerksamkeit. Trotzdem habe ich das Buch regelrecht verschlungen (wenn auch über lange Zeit hinweg in kleinen Dosen, hier ein Kapitel, dort ein paar Seiten). 



Statt es selbst zu beschreiben, möchte ich gerne den Klappentext vorstellen. Er gibt bereits einen gewissen Einblick in den Sprachstil des Buches, wie ich es im Rahmen der Rezension hier nicht könnte.


"Neue" Existenzweisen der Geschlechter wie z.B. Transgender, Intersexuelle, Transsexuelle und Crossdresser_innen sind längst Alltag. Was bedeutet es, wenn geschlechtlich nonkonforme Personen von massiven Gewalt- und Diskriminierungswiderfahrnissen berichten, die gesellschaftlich unbekannt und/oder nicht anerkannt werden? 

Die vorliegende Studie befasst sich mit dieser Leerstelle der Gewaltforschung. Geschlechtlich nonkonforme Personen, die sich selbst beispielsweise als "Transgender", "Interqueer", "Queerer Transboy", "Lesbian Boy", "Transfrau","Transmann" oder "Butch" verorten, berichteten in 18 qualitativen Interviews und in einer Gruppendiskussion von ihren Gewalt- und Diskriminierungswiderfahrnissen. 

Die Analyse systematisiert die verschiedenen Dimensionen der Diskriminierung und Gewalt, und befasst sich mit den Möglichkeiten zum Widerstand. Im Fokus stehen Auseinandersetzungen mit der Subjektkonstituierung, mit dem Coming Out, mit der zweigeschlechtlichen Architektur, mit sexueller Gewalt und Gewalt in Normierungsinstanzen. Aus poststrukturalistischer Perspektive zeigt die Gewaltstudie Funktionsweisen heteronormativer Machtverhältnisse auf und veranschaulicht, dass geschlechtliche und sexuelle Eindeutigkeit in binären Systemen ein heteronormatives Privileg darstellt.

Erst einmal zu den "Rahmenbedigungen" des Buches: 421 eng bedruckte Seiten in ziemlich kleiner Schrift. Freie Seiten (Kapitelanfang ua) gibt es nicht, keine Grafiken, geballte Information. Auf fast jeder Seite gibt es Fußnoten, manche nur kurz, andere nehmen bis zu 2/3 der Seit ein, die Fußnoten sind in noch kleinerer Schrift als das Buch an sich. 30 Seiten Glossar, 32 Seiten Literaturverweise. Jeder Satz gespickt mit Fachbegriffen. Also, wie gesagt: Zeit und Konzentration sind erforderlich. Und absolut lohnend, wenn man sich mit dem Thema der Diskriminierung / Gewalt fernab der binären Geschlechtereinteilung auseinandersetzen möchte. 

Was es dennoch sehr gut verständlich lesbar macht, ist die klare Struktur des Buches und die an sich sehr kurzen Kapitel. Die Autorin (Sozialarbeitswissenschaftlerin und Kriminologin, seit ´99 tätig in der politischen Bildung) hat (wie es sich für eine wissenschaftliche Arbeit gehört, man es von "normalen" Sachbüchern aber leider nicht zwangsläufig erwarten kann) einen klaren Aufbau: Einleitung in die Hintergründe der Studie - Beschreibung des Forschungsgegenstandes, der Methodologie und Methodik - Geschichte und Gesellschaft - Interviews und im Anschluss die daraus gewonnen Hintergründe und Erkenntnise - Ausblick auf Kommendes, Lösungsvorschläge.

Auch der Titel des Buches wird zu Beginn genau erklärt. Etwa warum es "Genderbashing" heißt, statt sich explizit wie die meisten Titel auf Homosexuellen-Feindlichkeit zu stützen. Das nicht lesbare Geschlecht ist in der bisherigen Gewaltforschung noch nicht erfasst. Auch "Bashing" ist ein doppeldeutiger Begriff, meint die Autorin damit einmal das "Bashen" des Systems an sich, im anderen Sinne auch das Diskriminieren der nichtlesbaren Menschen. 

Anfangs liest sich das Buch gewöhnungsbedürftig. Zumindest für mich, da ich zwar um die Feinheiten der queer-feministiscen Schreibeweise weiß, sie aber doch als etwas anstrengend empfinde. Auch verwendet die Autorin eigene Wortschöpfungen, die speziell als solche gekennzeichnet sind im Text. Worte wie Täter_in-Opfer-Verdrehung, Freundesinnenkreis, Interviews mit einer_m intersexuellen Aktivist_in, deviantisierte (ipk) sexuelle Orientierung. Wie gesagt, wer sich viel mit diesen Themen befasst, dürfte es gewohnt sein, ansonsten bedarf es einer gewissen Zeit, sich einzulesen, um nicht mehr über einzelne Begrifflichkeiten zu stolpern. Auch die vielen Klammern, Einschübe, Fußnoten, Quellenangaben sorgen anfangs dafür, dass man das Buch weniger flüssig liest als sich vielmehr erarbeitet. Jedoch finde ich es gut und wichtig, dass die Autorin hierauf Rücksicht nimmt. Denn wie im Buch deutlich wird, kann auch Sprache ein Mittel der Gewalt und Diskriminierung sein, allein durch das strikte Leugnen anderer als der zwei "üblichen" Geschlechter. 

Ich denke, viele Leser werden je nach Intention des Lesens auch manche Passagen überfliegen. Kann mich noch gut erinnern, wie mein Dozent uns damals einbläute "lest ein Fachbuch bloß nicht wie ´nen Roman von vorne bis hinten! Ihr sollt damit arbeiten, nicht eine Geschichte lesen!"

Wenn man sich dann eingelesen hat, wird das Buch vor allem ab dem Teil der Interviews schnell zum Pageturner (unpassender Begriff in diesem Genre, trotzdem passend). 

Es ist unglaublich spannend, auf welche Weise die Autorin mit den Begriffen jongliert, sie zerlegt und definiert. Wie sie etwa Geschlechtlichkeit am technischen und medizinischen Fortschritt beschreibt und die Möglichkeiten aufzeigt. Auch der Begriff der "Gewalt", der so selbstverständlich scheint, wir dem Leser auf vielen Ebenen neu erklärt. So gibt es die systematische und institutionalisierte Gewalt, doch die Autorin definiert noch genauer in autoaggressives und selbstverletztendes Verhalten, trennt homophobe und transphobe Gewalt, geht auf systemische und institutionalisierte Gewalt ein, befasst sich mit Mobbing und sexualisierter Gewalt. Unterscheidungen, die notwendig sind, um vollständig zu erfassen, dass Menschen außerhalb des binären Geschlechtersystems Gewalt nicht nur in Form von körperlichen Angriffen oder verbalen Beschimpfungen erleiden sondern es bereits sehr viel früher anfängt und sehr viel tiefer geht. 

Manche Interviews / Geschichten lesen sich tragisch, etwa Freyas Erfahrungen, die_der jahrelang als Forschungsobjekt missbraucht wurde, fehlerhafte medizinische Behandlung erfuhr und daraus resultierend eine posttraumatische Belastungsstörung entwickelte. Auch das ist Gewalt!

Alles in allem ist dieses Buch eine faszinierende Arbeit. Jeder, der mit der Genderthematik zu tun hat (Mediziner, Therapeuten, Sozialarbeiter, Betroffene ua) sollten sich eindringlich damit befassen, um sich zu sensibilisieren. Ich hielt mich davor für aufgeschlossen und informiert, habe aber dennoch sehr viele Erkenntnisse daraus gewonnen und war erschrocken über die Unsichtbarkeit vieler Probleme und darüber, wie unglaublich viele blinde Flecken es in der eigenen Wahrnehmung noch immer gibt. 

SaschaSalamander 30.07.2015, 13.08

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