SaschaSalamander

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Harry Potter Gesamteindruck ohne Spoiler

Am Donnerstag hatte ich dann endlich Zeit, die restlichen zwei Drittel des sechsten Bandes zu beenden. Und ich kann nur sagen: "..."

Ich war danach regelrecht sprachlos. Noch immer fällt es mir schwer, den Unterschied zwischen Rowlings Werk und anderen Kinder-/Jugendromanen zu erklären. Ich könnte jetzt anfangen, unzählig lange aufzuzählen, was mir an diesen Bücher gefällt und vor allem am sechsten Band besonders angesprochen hat: die einfache aber klangvolle Sprache, die Weiterentwicklung der Charaktere, die niemals kitschig werdenden Liebeleien, das Mitfiebern, das Mitraten, die vielen Aha-Effekte, die großartig durchdachte Handlung vom ersten bis zum letzten Band, die cleveren und phantasiereichen Einfälle der Autorin, die ungewöhnlichen Wendungen, das Verlassen des klassischen Kinder- und Jugendgenres ab dem fünften Band und vieles Weitere, ich könnte wohl eine halbe Stunde so fortfahren!

Das Auffällige an diesem sechsten Band ist, dass es im Gegensatz zu den anderen Bänden nicht alleine bestehen kann. Die Handlung knüpft direkt an den vorangegangenen Teil an. Nicht ungewöhnlich, aber im Gegensatz zu den bisherigen Büchern wird nichts mehr erklärt. Es wird Bezug genommen auf frühere Ereignisse und Gespräche. Wer sich nicht mehr exakt an die ersten fünf Teile, vor allem den fünften Band erinnern kann, sollte unbedingt eine Zusammenfassung oder die Bücher selbst noch einmal lesen und vor allem Wert auf die Details legen. Mir persönlich hat das sehr gut gefallen, denn gerade im vierten Band fand ich viele Stellen durch Erklärungen und Rückblicke ziemlich langatmig. Dies ist in "Harry und der Halbblutprinz" nicht der Fall.

Was mir, wie bereits angesprochen, sehr imponiert, ist der durchdachte Handlungsstrang, der sich durch alle sieben Bände zieht. In Interviews und Berichten hatte ich schon häufig gelesen, dass Harry Potter von anderen Verlagen als Bloomsbury abgelehnt wurde, da die Autorin auf die kompletten sieben Bände bestand. Fand ich das anfangs noch erstaunlich, kann ich es nun wirklich nachvollziehen. Bereits beim Schreiben von "der Stein der Weisen" hatte sie das Ende der Geschichte im Kopf. Es zeigt sich, dass die ersten vier Bände eigentlich nur die "Vorgeschichte" waren für das große Abenteuer, dem Harry sich im siebten Band wohl stellen wird. Alles, jede bisher scheinbar noch so unbedeutende Geste und viele Kleinigkeiten, die vermutlich nicht nur mir entgangen sind, hat eine Bewandnis und lässt sich erst durch spätere Erkenntnisse erklären und verstehen. Der Leser bekommt ein weiteres Puzzleteil vorgesetzt und glaubt, endlich etwas auf dem Gesamtbild erkennen zu können, doch mit der nächsten Enthüllung ergibt sich ein komplett neues Bild, und man fragt sich, wie man das bisher hatte übersehen können.

Nur eines finde ich wirklich störend: ich kenne kaum ein Buch, das solch ein offenes Ende gehabt hätte. Ohne den siebten Band ist die Serie unvollständig, und die Zeit bis dahin stelle ich mir nun noch unerträglicher vor als das Warten auf die bisherigen Fortsetzungen, waren bisher doch zumindest die einzelnen Episoden um das Finden des Steines, den geflohenen Häftling, das Trimagische Turnier u.a. beendet.

Ich sage offen, dass ich Harry Potter sehr gerne lese. Aber ich hätte jeden ausgelacht, der mir erzählt, ich würde am Ende des sechsten Bandes weinen. Nein, so nah ging mir die Geschichte um den pubertierenden Zauberlehrling nun doch nicht. Das hat sich geändert ... Die Autorin hat das Genre der einfachen Kinder- und Jugendliteratur verlassen. Ihre Charaktere gewinnen eine Tiefe, die für andere Bücher dieser Art eher unüblich ist. Das Gute siegt auch ohne seine Reinheit zu verlieren. Märchen enden gut. Oder sie enden schlecht für die Hauptfigur, aber zufriedenstellend für den Leser. Rowling dagegen lässt die Geschichte ein Ausmaß annehmen, das - abgesehen von den fantastischen Elementen - die Serie nahezu realistisch werden lässt. Folgenschwere Entscheidungen sind zu treffen, unermessliche Opfer müssen gebracht werden. Ob die Beteiligten richtig oder falsch gehandelt haben, kann nicht beantwortet werden, denn die Zusammenhänge sind zu dicht und verwoben. Das anfängliche Muster aus Gut und Böse wird aufgelöst. Was Gut ist, kann tragische Folgen haben, das vermeintlich Böse zeigt menschliche, bemitleidenswerte Züge.

Spätestens jetzt können auch die Leser bedenkenlos zugreifen, die Harry Potter bisher zwar gerne gelesen hätten, sich aber nicht dazu herablassen wollten, ein Kinderbuch zur Hand zu nehmen. Und Kinder, die das Buch bisher ohne Aufsicht ihrer Eltern verschlungen haben, sollen bitte zumindest eine Gelegenheit zur Aussprache mit reiferen oder sogar erwachsenen Lesern bekommen. Denn es stellen sich ethische Fragen, die meiner Ansicht nach über das Fassungsvermögen eines Kindes hinausgehen.

SaschaSalamander 25.07.2005, 09.47

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Kommentare zu diesem Beitrag

4. von rebo

Auch wenn Du rauchende Leser nicht magst, aber als Fan von HP muß ich Dir einfach ein großes Kompliment für dieses Statement machen.

vom 26.07.2005, 08.07
Antwort von SaschaSalamander:

Nicht, dass ich rauchende Leser nicht mag, darf jeder soviel rauchen, wie er mag ;-)
Ich mag nur keine Bücher, denen man das anriecht *g* ...

Danke für das Kompliment! :-)

3. von Klabauter

Spätestens seit dem letzten Band ist Harry Potter für mich kein Jugendbuch mehr. Es hat eher die "erwachsenen" Züge eines Herrn der Ringe - ohne jetzt eine literaturwissenschaftliche Debatte anzetteln zu wollen. Und der sechste Band bestätigt das. Für Kinder ist es wirklich nicht geeignet, finde ich. Dafür ist es zu komplex und zu wenig gradlinig erzählt.

Ansonsten stimme ich dir voll und ganz zu: Es ist superklasse und gleichzeitig ist es eine Qual, weil der siebte Band noch nicht da ist...

vom 25.07.2005, 19.48
Antwort von SaschaSalamander:

Im fünften ging es los, sich abzuheben, war aber meiner Ansicht nach noch hart an der Grenze ... die literaturwissenschaftliche Debatte wäre interessant, kribbelt mich jetzt richtig loszulegen! Aber leider geht das nicht im Rahmen eines Blogs, und zum Mailen komme ich schon mit den regulären Mails nicht hinterher, ...
2. von Pat

Wie kannst du nur so einen coolen Bericht schreiben? Jetzt sitze ich erst recht auf heißen Kohlen, bis die deutsche Ausgabe herauskommt.... :angry:
Ich bin nämlich auch ein bekennender Harry Potter Fan. Manno....... *schmoll*

vom 25.07.2005, 16.14
Antwort von SaschaSalamander:

Wenn ich leiden muss auf den siebten Band, dann sollst Du leiden bis zum deutschen sechsten Band ... geteilstes Leid ist halbes Leid *liebgrinz*
1. von Sylvia

Uiii, nach diesem Statement von dir halte ich es jetzt noch weniger bis Oktober aus. Aber anscheinend sollte ich doch Band V noch einmal lesen ... :buch:
LG
Sylvia

vom 25.07.2005, 10.56
Antwort von SaschaSalamander:

Doch, wäre absolut sinnvoll! Oder zumindest noch einmal überfliegen und wichtige Szenen nochmal genauer ansehen ...

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