SaschaSalamander

Ausgewählter Beitrag

Not your Type

Klappentext: Die zwanzigjährige Studentin Marie ist in ihren stillen Kommilitonen Fynn verliebt, und auch Fynn empfindet für Marie mehr, als er sich selbst eingestehen will. Denn eigentlich lässt Fynn niemanden an sich heran: Keiner soll wissen, dass er trans ist. Einen wie ihn kann man nicht lieben, meint er. Doch dann finden sich Fynn und Marie unversehens mit einigen Freunden auf einem Roadtrip nach Italien wieder. Langsam kommen die beiden einander näher, das Mittelmeer als Ziel vor Augen. Jetzt muss Fynn sich entscheiden, wie viel er Marie anvertrauen kann, ohne sie für immer zu verlieren …




AUFBAU / SPANNUNGSBOGEN / ERZÄHLWEISE

Das Buch erzählt abwechselnd aus der Innensicht von Marie und Fynn. Man lernt die Charaktere kurz kennen, und bald gehen sie gemeinsam auf den Roadtrip. Die Basis ist klasse, man hätte viel daraus machen können. Aber ich finde, dass leider das Potential nicht ausgeschöpft wurde: sowohl auf dem Trip als auch zwischen den Charakteren gibt es keinen wirklichen Spannungsbogen, die Geschichte plätschert vor sich hin. Es ist eine Aneinanderreihung von Szenen, die man beliebig vertauschen könnte, es gibt keine markanten Punkte, die eine Wende markieren oder sich besonders hervorheben (bis auf den notwendigen Konflikt kurz vor Ende).

Marie und Fynn gehen nicht wirklich aufeinander zu, sie beobachten sich eher. Und immer, wenn es eine Möglichkeit gäbe, macht der andere einen Rückzieher. Das empfand ich als anstrengend zu lesen, weil ich ständig das Gefühl hatte auf der Stelle zu treten und nicht voranzukommen.

Das Buch ist eine Aneinanderreihung von Gedanken und Interpretationen. Marie oder Fynn denken in einem immerwährenden Kreislauf "er/sie ist ja so süß. Ich würde ihn/sie so gerne küssen. Ohweh, ich habe mich richtig blöd verhalten, was mag er/sie jetzt über mich denken? Ich warte besser. Hätte ich mich anders verhalten müssen? Was könnte es bedeuten, dass er/sie das gesagt hat? Und was soll ich jetzt tun?" Das ist kein wirklich aktives Reflektieren, sondern ein ständiges Sich-Im-Kreis-Drehen ohne tatsächlichen Inhalt: die Mädels plantschen im Bad. Fynn hört Musik. Die Mädchen reden über Fynn. Fynn redet mit Joon über die Mädchen. Die Gruppe diskutiert über die Bedeutung der Lieblingseiscreme. Marie weiß nicht, ob sie weiterstudieren soll. Fynn kreist um sich selbst. Das sind viele Seiten Text dafür, dass es eigentlich keine wirkliche Kernhandlung gibt.

Kurz vor Ende kommt es zum vorhersehbaren genretypischen Konflikt (ein Geheimnis wird aufgedeckt, eine Situation eskaliert, die Charaktere müssen sich neu sortieren und entscheiden, ob sie zueinanderfinden wollen), und dann ist es auch schon zu Ende.

Die gesamte Handlung ist ein einziges Erzählen in Form des inneren Dialoges, in welchem die Charaktere sich selbst ihr eigenes Fehlverhalten vor Augen führen und sich ein ums andere Mal selbst zerfleischen. Immer nur Tell, sogut wie nie Show.


CHARAKTERE

Marie und Fynn als Protagonisten müssten die stärksten Charaktere sein. Dafür erfährt man erstaunlich wenig über die beiden.

Fynn denkt oft an seine Vergangenheit und wiesehr er darunter litt. Ansonsten hat Fynn keine wirklichen Hobbies oder Interessen, keine Ecken und Kanten, keine Besonderheiten. Er ist als Figur extrem blass, sodass ich mich weder hineinversetzen konnte noch ihn mochte oder nicht mochte, er war mir ziemlich egal. Fynn war eine weiße Leinwand, auf die Marie alles projizieren konnte, was sie sich von einem potentiellen Partner erhoffte. Marie fühlt sich falsch in ihrem Studienfach. Aber abgesehen davon, dass sie gerne singt, erfährt man auch über sie nicht wirklich etwas. Wie Fynn: keine Ecken und Kanten, keine Hobbies und Interessen. Fynn ist transident, Marie möchte nicht Psychologie studieren, das ist alles.

Die anderen Charakteren sind klassische Stereotype, die eben in einer Gruppe dazugehören. Das flippige Mädel, der etwas nerdige Außenseiter, ein Pärchen. Ehrlich gesagt, zwei Wochen nach dem Lesen - habe ich schon wieder halb vergessen, wer alles mit auf dem Trip war, die Figuren haben sich mir nicht eingeprägt. Sie wirken weniger wie Psychologiestudenten sondern eher wie unreife Teenager ohne Ziel und Richtung. Man hätte "Psychologie" auch jederzeit mit "BWL" oder "Architektur" oder "Germanistik" ersetzen können, weil es im Grunde völlig egal war, was sie studieren.


TRANSTHEMATIK

Es gibt noch nicht allzu viele, zum Glück aber inzwischen immer mehr Bücher über transidente Personen. Ich bin natürlich neugierig, wie sie in den Medien präsentiert werden und freute mich, in diesem Buch nun Fynn kennenzulernen.

Nun ja, ich war etwas enttäuscht. Es ist das typische Buch, in dem eine Person durch die Liebe der anderen gerettet wird. Sehe ich persönlich als ungesund, aber diese Diskussion zu führen ist jetzt an dieser Stelle unpassend.

Schade finde ich, dass Transidentität in diesem Buch komplett auf die negativen Aspekte reduziert wird. Tragische Vergangenheit, verstoßen von der Familie, erlebte Traumata, Mobbing, Gewalterfahrung, Selbsthass, Angst, soziale Isolation, Zwangsouting und Deadnaming. Entweder ist Fynn durch und durch traumatisiert und pessimistisch, oder die positiven Aspekte seiner Transition werden hier völlig ausgeblendet.

Für Neulinge stelle ich mir das Buch sehr deprimierend vor, weil es mit dem Finger all die Fallstricke und Probleme aufzeigt, die ein solcher Weg mit sich bringen kann. Fynn rückt immer wieder seinen körperlichen Mängel und Makel in den Fokus, sodass ein meiner Ansicht nach völlig beschädigtes Bild entsteht. Natürlich verstehe ich, dass Fynn dies zu Beginn empfindet, aber er macht eben leider auch keine wirkliche Entwicklung durch in dieser Hinsicht, bei der Lesende durch und mit ihm zusammen reifen könnten. Erst durch die Anerkennung von außen kann er sich als liebenswert empfinden (was ich für eine gefährliche Botschaft halte).


HÖRBUCH / BUCH

Das Hörbuch ist gelesen von Dagmar Bittner und Oliver Kube. Beide haben angenehme Stimmen, denen man gut zuhören kann. Emotional, unaufgeregt, flüssig, ich habe ihnen gerne gelauscht.

Dennoch bin ich nach etwa der Hälfte umgeschwenkt auf Ebook. Die Handlung dümpelt vor sich hin, bei Hörbüchern kann man nicht spulen, da man ja etwas Wichtiges verpassen könnte. Das Buch konnte ich dann getrost querlesen und mich auf einige wichtigen Punkte der Handlung konzentrieren.


PERSÖNLICHE MEINUNG

Man merkt das Herzblut, das die Autorin in ihr Werk gesteckt hat. Und auch, wenn ich die Autorin nicht kenne: was ich beim Überfliegen auf Insta und Youtube sehe, ist durch und durch sympathisch. Ich würde das Buch so gerne mögen, denn die Message und Intention der Autorin ist eine gute.

Ich bin kein regelmässiger Romance-Leser, dem Genre aber nicht per se abgeneigt und lese es zwischendurch als Feel-Good. Doch hier sprang der Funke leider nicht über, die Charaktere waren mir zu flach und haben mich nicht berührt. Die Handlung plätscherte verliebt und gemütlich vor sich hin, ein ziemlich vorhersehbarer Plot ohne Ecken und Kanten. Als Leser bevorzuge ich es, meine eigenen Gefühle und Gedanken zu haben, die sich aus dem Show entwickeln, nur ungern werde ich von den erzählten Gefühlen der Figuren erdrückt.

Mir persönlich hat das Buch nicht gefallen, da es zusehr auf die negativen Aspekte lenkt. Es mag aber sicher auch Betroffene geben, die mit Marie mitfühlen und sich dadurch mit dem Thema auseinandersetzen. Die sich in Fynn einfühlen können und sich der Bedeutung einer Transition bewusst werden. Es gilt viele Lesenden zu erreichen, und alle haben sie ihre ganz eigenen Bedürfnisse. 

Bezogen auf Transidentität ist es wichtig, dass viele verschiedenen Genres das Thema aufgreifen, und gerade die junge Generation (also unter anderem genau die Zielgruppe von New Adult, Young Adult, Romance und Co) muss erreicht werden. Daher ist NOT YOUR TYPE in meinen Augen ein wichtiger Schritt zur breiteren Akzeptanz in der Gesellschaft. Deswegen ist dieses Buch eines, das ich selbst zwar nicht empfehlen würde, das aber trotzdem seine Fans hat und einen wichtigen Beitrag leistest. Und auch, wenn ich einige Kritikpunkte an dem Buch habe und es mir selbst nicht zugesagt hat, bin ich der Autorin trotzdem dankbar für ihren Beitrag.


FAZIT

Wer entspannt Lesen möchte ohne große Wendung und Entwicklungen, einfach zum Entspannen und Abschalten, der ist hier genau richtig. Bezogen auf Transthematik nicht das erste Buch, das ich empfehlen würde, trotzdem eines von vielen Werken, das für Akzeptanz wirbt. Wer dagegen Tiefgang sucht und inhaltlich wie thematisch bereichert werden möchte, der greift besser zu anderen Büchern.

SaschaSalamander 07.06.2021, 11.45

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