SaschaSalamander

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Oliver und Twist

Von Antonia Michaelis habe ich schon viel gelesen, und ich kann nicht aufhören, sie zu loben. Ihre Werke sind fantasievoll, oft tanzen sie an der Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit. Sie vermag es, den Leser gleichermaßen zu verzaubern und zu erschrecken, zum Nachdenken zu bringen und vielleicht sogar auch gegen sich aufzubringen. Besonders ihre neueren Werke sind teils sehr aufwühlend, wie zB >NASHVILLE<, >DER MÄRCHENERZÄHLER<, >SOLANGE DIE NACHTIGALL SINGT< oder >DIE WORTE DER WEISSEN KÖNIGIN<. 

Sie schreibt schon länger, und auch bevor sie mit dem MÄRCHENERZÄHLER so bekannt wurde, hat sie zauberhafte Kinderbücher verfasst. Eines davon ist DIE WUNDERLICHE REISE VON OLIVER UND TWIST. 

Im Mai 1856 vermisst Charles Dickens seinen Dackel Twist. Ohne ihn kann er nicht schreiben, ohne ihn fehlt ihm sein bester Freund. Welchen Sinn hat das Leben noch, wenn ein Dichter nicht schreiben kann? Twist wurde entführt, und fern der Heimat trifft er auf den Jungen Oliver, der aus dem Armenhaus geflohen ist. Oliver kann mit ihm reden, und so machen der Junge und der Hund sich auf eine abenteuerliche Reise durch das viktorianische England. Der Entführer und eine geheimnisvolle Frau in Weiß sind ihnen dicht auf den Fersen ... 


Was für ein herzliches und wohltuendes Kinderbuch! Ich habe es gemütlich an zwei Nachmittagen genossen. Mit den aktuellen Titeln der Autorin ist es nicht vergleichbar, es wurde bereits 2003 veröffentlicht und lässt viele Elemente ihrer jetzigen Titel vermissen. Trotz alledem ist klar die Feder zu erkennen: tiefsinnige Dialoge, ein wenig philosophisch angehaucht und von Anfang bis Ende gespickt mit Anspielungen. 

Michaelis hat gut recherchiert und es geschafft, die Realität und ihre eigene Fiktion so zu verweben, dass es mir ohne Hilfe von Nachschlagewerken nicht möglich ist zu sagen "das kann so nicht gewesen sein" oder "hier haben sich tatsächlich die Wege gekreuzt". Denn Oliver und Twist treffen auf ihrer Reise viele real bekannte Personen, tauschen sich aus über berühmte Autoren, passieren bekannte Bauwerke, und wie nebenbei fließen Informationen dazu in das Buch. Mal belehrend, mal witzig, mal geheimnisvoll. Der Leser erfährt außerdem, dass Pferde in Reimen sprechen, Schafe scheinbar nur in Farben denken und man sich eigentlich nur mit Hunden richtig unterhalten kann. 

Besonders erfreut war ich über den Mathematiker, der auch ein Dichter (mein Favorit) ist und sich im bürgerlichen Leben Charles Lutwidge Dodgson nennt. Aber auch Poe, Cromwell, Erasmus von Rotterdam und viele andere werden eingebaut oder genannt. Und natürlich darf auch der Sherwood Forest mit seinem Bewohner nicht fehlen ;-)

[SPOILER auf Handlungselemente, 
aber nicht auf die Handlung selbst]

Doch wie es für die Autorin üblich ist, spricht sie auch sehr ernste Themen an. Sie baut es so ein, dass Kinder damit umgehen können, aber sie beschönt nichts. Oliver gerät an eine Waffe und überlegt, was er damit tun könnte. Es wird erzählt von der Pest, die Menschen dahinraffte, eine der Personen unternimmt einen Suizidversuch, die Reise führt unter anderem auch in eine Opiumhölle und derlei erwachsene Dinge mehr. 

[SPOILER ENDE]

Und obwohl es so schlicht geschrieben ist, war es mir dennoch nicht möglich, das Buch im Schnelldurchgang zu überfliegen. So wenige Seiten, und doch las ich es auf zwei Tage verteilt. Zu groß ist die Gefahr, dass ich beim schnellen Lesen eine Bemerkung übersehe, eine Anspielung verpasse, mir ein kleiner Scherz entgeht.

OLIVER UND TWIST ist ein buntes, lebendiges und herzliches Roadmovie für Kinder. Erwachsenen kann ich das Buch lediglich dann empfehlen, wenn sie im Herzen Kind geblieben sind, denn es ist trotz der vielen Anspielungen und ernsten Inhalte sehr schlicht gehalten und eher ein typisches Vorlesebuch denn ein All-Ager. 

Ich habe hier noch andere ältere Titel der Autorin und bin schon sehr gespannt auf den Windmann, den letzten Regen, das Geheimnis des 12. Kontintens, das Adoptivzimmer und Tigermond. 

SaschaSalamander 11.11.2014, 08.53

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