SaschaSalamander

Ausgewählter Beitrag

Twig im Dunkelwald

Wie bereits angekündigt, möchte ich die einzelnen Bücher der Klippenland-Chroniken vorstellen. Ich habe sie als Hörbücher zu Hause, aber auch die Bücher habe ich der Zeichnungen und Vollständigkeit halber ausgeliehen. Bevor ich beides vermische, möchte ich zuerst über Inhalt und Aufbau plaudern, und dann die Zeichnungen beziehungsweise musikalische Untermalung ansprechen.

Twig war schon immer anders als die anderen Trollkinder. Und eines Tages erfährt er von seiner Mutter Spelda, dass er in Wirklichkeit ein Findelkind ist. Nun sei er alt genug, den Dunkelwald zu verlassen und sich auf die Suche nach seinen richten Eltern zu begeben. Trolle verlassen niemals den Weg, und so ermahnt Spelda ihren "Sohn", niemals den Weg zu verlassen. Denn im Dunkelwald lauern viele Gefahren.
Twig verlässt den Weg. Und gerät von einer Gefahr in die nächste, bevor er endlich an das Ziel seiner Reise gelangt und erfährt, wer er tatsächlich ist.

So einfach die Geschichte gestrickt ist, so angenehm ist das Buch auch zu lesen. Zugegeben, das Buch hat einige Schwächen: Twig ist einer jener Hauptcharaktere, die nichts, wirklich rein gar nichts, dazulernen und am Ende des Buches in der Entwicklung nicht einen Schritt weiter sind als zuvor. Aber er ist auch kein Held ... Zudem wirkt das Buch stellenweise wie aneinandergereihte Episoden anstatt wie ein gesamtes Buch. Im Hörbuch werden zwei der Kapitel auf Twigs Reise durch den Dunkelwald einfach ausgelassen, was jedoch weder stört noch auffällt, da diese Kapitel in keinster Weise zum Fortgang der Handlung beitragen. Man könnte auch über die mangelnde Charaktertiefe stolpern. In diesem Fall allerdings finde ich, lassen Handlung und Charakterbeschreibung bewusst Freiraum für die Fantasie des Lesers. Getreu dem Motto "weniger ist mehr" spielt sich bei Twig vieles in der Vorstellung des Lesers ab.

Was das Buch so spannend und vor allem lesenswert macht, das ist der einfache, aber absolut mitreißende Schreibstil des Autors Paul Stewart. Er lässt den Leser durch den Dunkelwald irren und an einem unglaublichen Sammelsurium von Ideen, Kreaturen und Sonderlichkeiten teilhaben. All die verwunderlichen und seltsamen Pflanzen, Wesen und Kreaturen bringen den Leser immer wieder schmunzeln, aber lassen ihn auch schaudern. Die Atmosphäre des Buches ist sehr dicht, die gesamte Umgebung ist glaubwürdig und vor allem stimmungsvoll umschrieben. Eines der wenigen Bücher, bei denen man während des Lesens tatsächlich in eine fremde Welt eintaucht.

Das Besondere an Twig im Dunkelwald: schon sehr schnell stellt der Leser fest, dass er sich nicht auf die für dieses Genre ansonsten üblichen Regeln verlassen kann. Je niedlicher das Tierchen, umso größer die von ihm ausgehende Gefahr. Je freundlicher die neuen Bekannten, umso heuchlerischer ihre Absichten. Je geliebter der Freund, umso überraschender sein endgültiger Tod. Ob es bei einem solch erfrischend ungewöhnlichen Handlungsbogen zu einem Happy End kommen kann? Oder stellt sich das Ende wieder nur als trügerisches Glück heraus? Paul Stewart ist nicht gerade zimperlich in der Wahl seiner Schicksalsschläge für den armen Twig.

Es gibt einige Kreaturen und Ereignisse im Dunkelwald, die mich aufgrund ihrer düsteren Darstellung ernsthaft daran zweifeln lassen, ob das Buch tatsächlich für 10jährige geeignet ist?

Der Text ist versehen mit Bildern des Zeichners Chris Ridell. Die sowieso schon düstere Stimmung des Dunkelwaldes kommt durch seine Darstellungen noch sehr viel besser zur Geltung, alles wirkt auf seinen Bildern noch skuriller und seltsamer. Die einzelnen Charaktere sind mit viel Liebe zum Detail angefertigt, man denkt sich nur "ja, genau so muss es aussehen, anders kann es gar nicht sein" ...

Das Hörbuch ist um zwei Kapitel und einige Sätze in den verbliebenen Kapiteln gekürzt, was jedoch weder stört noch der Handlung und Spannung einen Abbruch täte. Herrliche Musikuntermalung (einzelne Töne, auf einem tiefen Saiteninstrument angeschlagen, klingen lange und dumpf nach, bevor ein weiterer, einzelner langer Ton langsam die "Melodie" aufbaut, geschickt in die Kunstpausen des Vortragenden eingebunden) und eine bunte Geräuschkulisse (besonders genial finde ich die Wigwigs, kleine gelbe Fellwuschel. Es kann nur ein Geräusch für sie geben! Und ebendies wurde mit einfachsten Mitteln für das Hörbuch erzeugt) sorgen für Abwechlungs. An spannenden Stellen werden Schockmomente zelebriert, die den Hörer erschrocken zusammenfahren lassen und den Puls nach oben treiben. Der Vorleser spielt gekonnt mit seiner Stimme und lässt für den Hörers die unterschiedlichsten Charaktere erstehen. Es ist unglaublich, wie gekonnt er Stimmlage, Dialekt, Klangfülle und Sprachtempo einsetzt, um die seltsamen Kreaturen des Dunkelwaldes darzustellen!

Buch oder Hörbuch - sogar für Bücherwürmer mit festen Prinzipien dieses Mal wirklich eine schwere Entscheidung! Das Buch enthält einige spannende Details, großartige Zeichnungen sowie zwei weitere Kapitel , aber das Hörbuch erschafft eine derart faszinierende Atmoshpähre, dass die Wahl wirklich schwerfällt!
Ich habe mich dafür entschieden, das Hörbuch zu genießen und die fehlenden Kapitel und Zeichnungen im Buch nachzulesen. Und ich kann es gar nicht erwarten, auch die restlichen Bände dieser ungewöhnlichen Buchserie in die Finger zu bekommen!


SaschaSalamander 24.04.2005, 21.56

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