SaschaSalamander

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In Liebe, Brooklyn

schroeder_brooklyn_1.jpgINHALT, GENRE

Lucca ist gestorben. Seine Freundin Brooklyn ist nicht fähig, ihre Trauer zu bewältigen. Sein Bruder Nico läuft wortwörtlich davon, sucht seinen Trost im Laufsport. Ein Jahr nach dem Unfall verstirbt auch Gabe, war es eine Überdosis oder war es Absicht, weil auch er den Tod des Jungen nicht verkraftet hat? Nach Gabes Tod leidet Brooklyn unter immer schlimmeren Albträumen, gleichzeitig erhält Nico vom Geist seines Bruders den Auftrag, Brooklyn zu helfen. Werden die beiden in ihrem Kummer zueinanderfinden?

Obwohl es darum geht, wie Nico und Brooklyn zueinanderfinden und es ein Buch voller Sanftheit ist, ist es kein typischer Roman um Jugendliebe. Eher würde ich das Buch im Bereich Drama und Entwicklung einordnen. Und obwohl Luccas Geist indirekt darin vorkommt, sehe ich es nicht als Fantasy, dieser Aspekt ist vielmehr ein weiteres Symbol der Autorin, hier stellvertretend für die Verbundenheit zwischen Nico und seinem Bruder.


COVER

Lasse ich Cover und Gestaltung normalerweise außen vor, so ist es hier unbedingt erwähnenswert. IN LIEBE BROOKLYN ist im Format etwa so groß und breit wie eine kleine Geldbörse, passt also auch gut in die Hosentasche. Das Cover in zartem Rosa und Grün glitzert leicht metallisch, springt sofort angenehm ins Auge. Das Papier ist sehr dünn, wie man es von Minibüchlein (vor allem Bibel, aber auch andere) kennt. Das sagt natürlich alles noch lange nichts über den Inhalt des Buches, aber es wirkt schon vor dem Lesen sehr ansprechend, wie ein kleines Tagebuch, es lädt vor allem weibliche Leser ein, es aufzuschlagen, sich in den Worten darin zu verlieren.


SPRACHE, GESTALTUNG, AUFBAU

Das Buch ist klein und dünn, die Seiten sind auch nicht wie gewohnt komplett bedruckt. Statt dessen ist das Buch in freier Versform geschrieben. Es reimt sich nicht, sieht jedoch hübsch aus und vermittelt Poesie, Lyrik. Dennoch ist die Sprache nicht einem Gedicht entsprechend gewählt oder gehoben, es liest sich normal und flüssig wie jedes andere Buch dieser Art auch. Vielmehr erinnert es mich an die Tagebucheinträge junger Mädchen, die ihren Gedanken auf diese Weise Form verleihen. Der Zielgruppe des Buches entsprechend ist das eine wunderschöne Idee, für mich hätte es das allerdings nicht gebraucht, mir ist die Aufmachung eines Buches und die Gestaltung der Textform egal, ich bin da ganz pragmatisch. Trotzdem, eine hübsche Idee, die Blicke auf sich zieht und gefällt. Mir ist aktuell kein anderes Buch bekannt, das in dieser Form veröffentlicht wurde.

Es liest sich insgesamt sehr flüssig, wie ein normaler Roman. Was mir besonders gefällt ist der Subtext. Die Geschichte wird hier zum geringsten Teil durch Worte erzählt als durch das, was ungesagt bleibt. Das Buch enthält sehr viele Symbole, und man merkt, wie im Laufe des Buches immer häufiger schöne, angenehme Symbole auftauchen - auch ohne dass Brooklyn erwähnt, dass es ihr besser geht, erkennt der Leser ihre langsam wieder aufkeimende Lebensfreude alleine anhand kleiner Symbolbilder. So spielen Comics zu Beginn eine sehr wichtige Rolle, werden immer seltener, bis Brooklyn es eines Tages ganz vergisst. Dafür kommen die Blumen wieder in ihr Leben, beginnt sie das Laufen. Auch Hunde zu Beginn als Sinnbild für Vergänglichkeit und Tod, Zwang und Unstimmigkeit, bis sie am Ende nach und nach zu einem Sinnbild des Lebens und der Freude, der freien Entscheidung und des Miteinanders werden. Auf diese Weise erzählt die Autorin die Geschichte auf hintergründige Weise, es gibt sehr viel zu interpretieren, assoziieren, es fällt leicht, sich einfach fallenzulassen und ganz dem Fluss der Handlung zu folgen.

Mit Fortschreiten der Handlung ändert sich nicht die Sprache, jedoch die Art und Form der Texte sowie deren Zusammenhang. Anfangs  liest man lediglich die Tagebucheinträge von Brooklyn und Nico sowie Brooklyns Briefe an den verstorbenen Lucca. Ein Mail von Nico an Brooklyn ist der Wendepunkt: bis dahin verfolgte man die Leben der beiden parallel, nun beginnt es sich zu verstricken, oft spielen sie sich gegenseitig den Ball zu. Nico erzählt den Beginn eines Treffens, Brooklyn beendet es, Nico reflektiert es anschließend. Die Briefe an Lucca werden seltener. Lisa Schroeder ist es in der Tat gelungen, ein durch und durch in sich stimmiges Buch zu schreiben, bei dem das Äußere, die Sprache, der Aufbau und die Charaktere eine wundervolle Einheit bilden.


CHARAKTERE

Brooklyn und Nico gehen unterschiedlich mit ihrer Trauer um. Als Leser erlebt man beide sowohl von außen (aus Sicht des jeweils anderen betrachtet) als auch von innen (durch ihre Tagebucheinträge). Zwei grundverschiedene Menschen, die in kleinen Schritten zueinanderfinden. Nico ist nach außen hin locker, er trainiert, arbeitet, erfüllt seine Pflichten, doch in ihm nagt die Trauer, er fühlt sich als Sohn vernachlässigt, gibt sich stark doch fühlt sich schwach. Brooklyn dagegen ist innen wie außen zerbrechlich, sie weint, ist hilflos und ist kurz davor, sich aufzugeben. Doch der Leser wird von Selbstmitleid und Gejammer verschont, vielmehr sind es melancholische Gedanken, denen man gut folgen kann.


FAZIT

IN LIEBE BROOKLYN überzeugt durch sein ungewöhnlich hübsches Aussehen ebenso wie durch seinen filigranen Text und die hervorragend aufgebaute Geschichte. Ein in sich absolut stimmiges Buch, hervorragend geeignet für einen Nachmittag mit Tee und Keksen.

SaschaSalamander 07.07.2012, 14.20 | (0/0) Kommentare | PL

Dark Mysteries 01 - Fuchsjagd

darkmysteries_01fuchs_1.jpgMARKUS WINTER / DARK MYSTERIES

DARK MYSTERIES ist ein neues Hörspiel von Markus Winter, diesmal unter dem passenden Label "WinterZeit". Markus Winter schrieb das Skript und ist verantwortlich für die Regie. Er ist bekannt als Autor der Reihe GEISTERSCHOCKER, TRAUMWANDLER und SHERLOCK HOLMES UND CO sowie die Kinderkrimi - Reihe EIN FALL FÜR DIE ROSEN.

DARK MYSTERIES ist eine Reihe, bei der - ebenso wie bei MINDNAPPING (Z.B. >DOPAMIN< oder >MONTANA< oder MITSCHNITT - die Folgen in sich geschlossen sind. Das gemeinsame Thema bei Dark Mysteries scheint eine Gruppe junger Menschen, die abgesondert von ihrer Umwelt Horror erleben. Man kann also bedenkenlos zugreifen, egal ob man nun Folge 1 hört oder eines Tages vielleicht einmal Folge 10 ;-)


INHALT

FUCHSJAGD ist die erste Folge und handelt von vier jungen Erwachsenen, die an einem sonderbaren Ort aufwachen. Und noch bevor sie richtig geklärt haben, was überhaupt los ist, droht bereits die erste Gefahr. Sie meistern die Aufgabe, doch neue, noch gefährlichere Aufgaben sind zu bewältigen. Wer steckt hinter diesem Horror? Werden sie entkommen können?


GRUNDIDEE

Vom Konzept her nichts Neues, dafür aber altbewährt und immer wieder gerne gehört, gesehen, gelesen. So müssen in SAW zum Beispiel blutige Aufgaben gelöst werden, im CUBE gilt es die Gefahren verschiedener Räume zu erkennen. Bei THE HOLE sind vier Teenager gefangenen in einem dunklen Loch. In den Mangas DOUBT und JUDGE werden junge Erwachsene gefangengehalten und müssen ebenfalls verschiedene Aufgaben erfüllen. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen, mal als Slasher, mal als Horror, Thriller oder Drama. Ich würde DARK MYSTERIES in den Bereich Horror und Slash einordnen, denn es geht inhaltlich ganz schön zur Sache, man sollte nicht allzu zart besaitet sein und braucht einen festen Magen, wenn Gedärm und Blut "ins Gesicht klatschen".


GELUNGEN: SPRECHER, EFFEKTE

Bevor ich zum ausführlicheren Teil, leider der Kritik, komme, erst einmal zu dem, was mir gefiel: ansatzweise wird eine recht gute Atmosphäre aufgebaut, die Beklemmung der jeweiligen Szene konnte ich gut nachempfinden. Ich hatte das Bedürfnis, unbedingt weiterzuhören, konnte nicht mehr aufhören und war gefesselt. Auch die Sprecher machten ihre Sache gut. Melanie Hinze, David Turba, Yvonne Greitzke und Björn Schalla sind Namen, die mir bisher noch nicht begegnet sind, und dafür machen sie ihre Sache wirklich prima. Die Erzählparts werden gut erzählt, in den Actionmomenten wirken sie lebendig und glaubwürdig.

Die Geräusche und Effekte sind gut gelungen, unterstreichen besonders die ekligen Momente und passen sehr gut in das Hörspiel. Sie tragen neben den Sprechern sehr zur beklemmenden Atmosphäre des Hörspiels bei.


NICHT GELUNGEN: ERZÄHLWEISE, AUFBAU, MUSIK

Nun aber schon zu einem der Probleme: ja, die Sprecher sind gut. Allerdings ist der Aufbau des Hörspieles nicht gelungen. Die Dialoge sind stellenweise etwas hölzern, ich denke nicht, dass man in Todesangst solche klar formulierten Sätze von sich geben würde geschweige denn noch mit Fachbegriffen um sich werfen oder eine Situation seelenruhig analysieren. Außerdem konnten die Macher sich nicht einig werden, ob man nun eine Erzählstruktur möchte oder das Erleben im Vordergrund stellt. So gibt es also Tondokumente, die angeblich Vernehmungsprotokolle sein sollen. Und DAS hat für mich der Folge das Genick gebrochen. Ein Vernehmungsprotokoll ist ein Dialog, und es ist vor allem kein Hörspiel, sondern ein erzählter Text. Doch statt dessen wird mitten im Protokoll quasi rückblickend die jeweilige Szene eingeblendet, und der Vernommene ist lediglich der Erzähler der entsprechenden Szene. Das passt vorne und hinten nicht, weil es dadurch kein komplettes Hörspiel ist, aber auch kein Found Footage mit "originalen" Tondokumenten.

Auch ist die Form des Erzählens ungünstig gewählt. "Die Pflöcke bohrten sich erbarmungslos in die vermoderten Körper, die den Gang säumten. Und hatten kurz darauf auch das einzige lebende Wesen erreicht – (...). Wir sahen, wie sich die Spitzen in sein Fleisch bohrten. Er wurde aufgespießt wie ein Grillhähnchen. Fassungslos klebten meine Augen am Bildschirm. So grausam das Geschehen auch war – ich konnte sie nicht abwenden. Warum, weiß ich nicht, aber ich musste zusehen, bis (...) Körper vollständig durchlöchert war, er aufhörte zu zucken, sich zu winden. Erst dann senkte ich den Blick." Dieser Text als Werbung für das Hörspiel und zudem Inhalt des Hörspiels. Man stelle sich diesen Text vor, erzählt von einem Befragten während der Vernehmung mit recht unbeteiligter Stimme. Da will sich der Horror nicht so ganz einstellen, weil es nicht zusammenpasst.

Erzähler, Hörspiel und Musik wechseln sich ab. Die Musik ist recht laut abgemischt und zudem nach kurzer Zeit sehr unangenehm, aggressiv. Erster Gedanke, als die Einleitung startete "Mist, meine Kopfhörer sind kaputt". Aber zum Glück war es nur die aufdringliche, scheppernde Musik, nicht der defekte Player. Die Musik verstärkt den Eindruck, den das Hörspiel insgesamt auf mich macht: Overload, überdramatisch, too much.

Ich denke, mit weniger brutal in die Story gedrückter Gewalt und ein wenig mehr Psycho hätte es ein prima Start für die Serie werden können. So aber wird versucht, möglichst viel Blut, Knochen, Gedärme und Horror auf einer einzigen CD unterzubringen, und vor lauter Slash vergaß man leider den Ausbau der Charaktere und der Story. Denn die Charaktere sind alle sehr stereotyp, handeln exakt nach dem vorgegebenen Klischee ihrer Rolle. Zwar sind auch Überraschungen eingebaut, aber - naja, sie sind nicht wirklich überraschend, wenn man schon viele Titel des Genres gesehen hatte. Dazu kommt, dass einige Momente sehr unrealistisch sind. Aber gut, wir wissen ja, wie es im Horror ist - nicht alles, was tot scheint, ist auch tot.


FAZIT

Ich liebe abgeschlossene Räume, kleine Gruppen und blutige Aufgaben, dazu ein wenig Gemetzel und Psycho. Es darf gerne immer wieder das Gleiche sein. Doch um sich aus der Masse hervorzuheben, muss man ein paar Besonderheiten einbauen. Genau das ist DARK MYSTERIES in der ersten Folge leider nicht gelungen. Es hätte ein super Start sein können, statt dessen ist einfach eines von vielen, perfekt für die kleine Metzelei zwischendurch, aber nicht herausragend. Trotzdem, ich bleibe am Ball und werde mir weitere Folgen anhören. Denn trotz all der Kritik, irgendwie hat es mir gefallen. Manchmal braucht man sowas einfach ;-)

Wertung: 5,4 von 10 Fake-Leichen

SaschaSalamander 06.07.2012, 08.03 | (0/0) Kommentare | PL

Jo Raketenpo

tulim_jo_1.jpgJonathan Vogel war schon als Kind ein "Knaller", und die Einschulung wird so lange als möglich hinausgezögert. Erst ein bitterböser Brief des Schuldirektors stellt die Eltern vor die Entscheidung. Da findet Jonathans Mutter die Anzeige des geheimnisvollen Arztes Dr. Flatatul Bum. Dieser findet heraus, dass der Kleine an Cackao Prudentium leidet, einer Allergie gegen Klugsch***, und wannimmer er dieser ausgesetzt ist, wandelt er sie um in heiße Luft. Na, da ist die Schule genau der falsche Ort! Aber mit Hilfe der kleinen grünen Froschpillen bekommt er sein Problem in den Griff. Die Schule ist schrecklich, Dr. Eisenbart, Herr Würgl, Frau Gift und Galle machen ihm das Leben zur Hölle, und die Klassenkameraden sind auch gemein. Bis eines Tages Charlotte, Scha Scha Zinsel genannt, in seine Klasse kommt. Auch sie hat ein luftiges Geheimnis, und bald erleben die beiden das Abenteuer ihres Lebens.

Ob das Buch pädagogisch wertvoll ist, darüber kann man streiten. Thema Außenseiter, Thema "Du bist gut so wie Du bist", aber das könnte man natürlich auch anders verpacken. Aber es ist auf jeden Fall lustig, und ich kann mir vorstellen, dass Kinder aus dem Lachen nicht mehr herauskommen, auch ich als Erwachsener musste sehr oft lachen, wenn vermutlich auch über andere Dinge. Und gemeinsames Lachen ist oft hilfreicher als alle Pädagogik der Welt ;-)

JO RAKETENPO ist klein und unscheinbar, man leidet mit ihm mit. Die Schüler gehen ihm aus dem Weg, um ihn zu schneiden. Scha Scha hat das gleiche Problem, doch sie ist stolz und selbstbewusst, sie ist ein Powermädel. Ihr gehen die Schüler aus dem Weg, um ihr ehrfurchtsvoll Platz zu machen. Die beiden bieten wundervolle Identifikationsfiguren für Kids, zwei grundverschiedene Charaktere, ausgestattet mit liebenswerten Eigenschaften und doch nicht perfekt. Bei den Erwachsenen gibt es die Guten und die Bösen, klar definiert. Bei der überzogenen Darstellung der Bösen musste ich stellenweise schon an Roald Dahl denken, Frau Gift und Galle sowie der böse Lehrer Würgl erinnerten in ihrer Grausamkeit doch irgendwie an Frau Knüppelkuh und Co, also auf eine Weise überzeichnet, dass Kinder keine Angst vor ihnen haben müssen aber trotzdem so richtig wütend werden dürfen auf diese Menschen.

Das Buch ist weder realistisch noch ernsthaft, es gibt absurde Situationen und völlig schräge Momente, die jeglicher Logik entbehren, das Buch ist ein Riesenspaß.

Nett fand ich die Formulierungen und die Sprache, Pinkus Tulim jongliert mit Worten, er hat sichtlich Spaß beim Schreiben gehabt, das spürt man. Da ich es nur gehört, nicht gelesen habe, kann ich leider nicht nachschlagen, und während des Hörens hatte ich keine Gelegenheit zu notieren. Aber selbst ohne darauf zu achten, fällt einem schnell auf, wie hier mit den Worten gespielt wird. Auch gibt es sehr viele Wortneuschöpfungen, teilweise vermutlich zeilenlang, ein herrlicher Spaß. Die Metaphern sind ebenfalls gelungen. Jonathan pupst als Kind so stark, dass den Enten die Schnäbel abfallen. Jemand ist erstaunt und öffnet den Mund so weit, dass eine Ratte mitsamt ihrem Reisekoffer hindurchgepasst hätte. Und eine gemeine Fangfragte fragte jemand "mit einem Angelhaken als Fragezeichen". Stilmittel der Nonsensliteratur, wie ich sie liebe :-)

Einzige Schwäche des Buches finde ich den Aufbau. Zwar ist der Anfang nett, aber er fesselt nicht wirklich. Es ist nicht klar, worauf es hinausgeht, wirklich spannend wird es erst ab dem Besuch bei Dr. Flatatul Bum und dem Schuleintritt, davor zieht es sich doch recht in die Länge. Wäre nicht der Sprecher gewesen, hätte ich das Hörbuch vermutlich bald abgebrochen. Im Nachhinein bin ich froh, dass ich es weitergehört habe. Nur der Spannungsbogen hat mir gefehlt: es gab keine konkrete Frage, auf deren Auflösung man bangte (die meisten Bücher haben doch eine Kernfrage, etwa "wird es ihm gelingen usw", "wird er seinen Traum verwirklichen und eines Tages ..."), sondern vielmehr eine Aneinanderreihung der Erlebnisse Jonathans von seiner Babyzeit bis hin in die Schulzeit. Da die Handlung jedoch voranschreitet und nicht nur erzählt, fragte ich mich immer wieder, wann denn nun der Knackpunkt käme. Aber gut, es ist ein Kinderbuch, und ich bin sicher, dass Kinder nicht nach solchen Dingen fragen ;-)

Christoph Maria Herbst (Stromberg) ist ein grandioser Sprecher. Inzwischen neige ich fast dazu, ihn neben Stefan Kaminski und Rufus Beck zu stellen mit seiner wandelbaren Stimme. Er quietscht, knarrt, keift, bellt, krakeelt, pupst, piepst, donnert, er spielt virtuos mit seiner Stimme wie ein Musiker auf seinem Instrument. Gelegentlich untermalt von einem eingespielten Geräusch und eingespielten Musikstücken, was gut zur CD passte.

Das Buch habe ich nicht gelesen, aber ein Blick in die Leseprobe zeigt mir, dass die Bilder wirklich witzig sind und gut dazu passen. Es ist also gar nicht leicht, sich für das Buch oder die CD zu entscheiden. Es ist einer der Titel, wo man vielleicht sogar überlegen sollte, sich beides zuzulegen.

JO RAKETENPO ist ein urkomisches Kinderbuch, das den Großen genauso Spaß macht wie den Kleinen. Ganz große Empfehlung :-)

7,8 von 10 Treppenstufen

SaschaSalamander 05.07.2012, 08.34 | (1/1) Kommentare (RSS) | PL

In Liebe, Brooklyn

Erster Satz Brooklyn:
Heute vor einem Jahr
habe ich Lucca verloren, meinen Freund.

Erster Satz Nico:
Heute vor einem Jahr
habe ich Lucca verloren, meinen Bruder.

Erster Satz Brief:
Lieber Lucca,
ich mag keine Friedhöfe.

Letzter Satz Nico:
Und ich weiß, das ist erst
der Anfang

Letzter Satz Brooklyn:
Und wir springen zusammen.
So
           weit
                           es
                                      geht.


aus: Lisa Schroeder: In Liebe, Brooklyn; Loewe2011

SaschaSalamander 04.07.2012, 18.06 | (0/0) Kommentare | PL

Precious Lies

iruma_lies_1.jpgMaa-Chan ist in der Schule eine Außenseiterin, niemand weiß, was hinter dem hübschen aber zurückgezogenen Mädchen steckt. Ihr Freund Mii-Chan alleine kennt ihr Geheimnis. In der Stadt geht ein Mörder um, und außerdem sind zwei Kinder verschwunden, sind sie womöglich dem Mörder in die Hände gefallen? Und was haben Maa-Chan und Mii-Chan damit zu tun?

PRECIOUS LIES ist ein Einzelband. Für einen Thriller ungewöhnlich aber durchaus machbar. Japanische Autoren besitzen häufig das Talent, in nur wenigen Strichen und Sätzen komplexe Zusammenhänge und psychologische Dramen auf wenigen Seiten zu skizzieren und kleine Meisterwerke zu erschaffen. Die Geschichte klang vielversprechend, also habe ich es gewagt. Leider wurde ich enttäuscht.

Die Zeichnungen sind sehr schlicht, es gibt kaum Hintergründe oder andere Details. Dies empfinde ich jedoch nicht als störend, denn es passt gut zum Grundton der Geschichte.

Der Erzählstil leider ist sehr problematisch. Erst wird der Leser einige Zeit im Unklaren gelassen, Spannung wird in dieser Zeit jedoch nicht aufgebaut. Als dann die Situation klar ist, entsteht trotz der gefährlichen Lage nicht das Gefühl "ich muss jetzt sofort weiterlesen", sondern zieht sich über viele weitere Seiten hin. Den Reiz soll wohl die Ungewissheit ausmachen: Was nun mit Maa-Chan los ist und warum sie sich so verhält, erfährt man erst nach und nach, und zwar durch Mii-Chan, der eigentlich der Protagonist der Geschichte ist. Doch währen Maa-Chan, wie schon der Titel sagt, die Gebrochene ist, ist Mii-Chan der Lügner. Daher kann sich auch der Leser nicht sicher sein, was nun Berechnung ist, was Lüge und was Wahrheit.

Pschologisch ist PRECIOUS LIES höchst komplex, aber das Thema wird nur angerissen. Mit einigen Fachbegriffen um sich zu werfen und ein Drama zu inszenieren ist leider wirkungslos, wenn der Bezug zwischen Leser und Charakteren nicht aufgebaut werden kann. Schade, denn die Geschichte hätte Potential gehabt.

Im Grunde also eine durchaus interessante Geschichte, in sich abgeschlossen und gut durchdacht, mit einem dafür passenden Zeichenstil. Doch es fehlt die Spannung, und die Möglichkeiten des Themas wurden nicht genutzt.

2,7 von 5 frühkindliche Traumata

SaschaSalamander 04.07.2012, 08.54 | (1/1) Kommentare (RSS) | PL

MindNapping 09 - Montana

mindnapping09_1.jpgMINDNAPPING ist eine Hörspielreihe des Labels Audioanarchie, die ein abgeschlossenen Einzelfolgen spannende Geschichten erzählt, häufig getragen vom Wahnsinn der Protagonisten oder dem Mindfuck der Story. Es gab schwächere Folgen, aber auch starke Episoden wie >DOPAMIN<. Montana hat mich wieder einmal sehr begeistert, deswegen möchte ich kurz ein paar Gedanken mit Euch teilen.

Die Handlung ist schwer zu beschreiben, da sie auf mehreren Ebenen spielt. Rahmenhandlung bildet ein Drehbuchautor, der tot in seiner Wohnung aufgefunden wird. Sein letzter Wille: sein Skript muss verfilmt werden, sonst geht sein Geld an die Blackfeet - Indianer. Beim Filmdreh wird schnell klar, dass es mit dem Skript etwas Besonderes auf sich hat, und die Realität beginnt mit der Fiktion zu verschmelzen.

Ein wiederkehrendes Thema des Hörspieles ist die Sebstreferenzialität, einerseits spielerisch erklärt und in witzigen Geschichten oder Paradoxa, andererseits in der Handlung selbst. So handelt der Film von einem Drehbuchautor, der einen Film dreht, in welchem es usw. Nicht umsonst ist auf dem Cover ein >Möbius-Band< abgebildet.

Selten höre oder lese ich etwas zweimal, und noch seltener beginne ich direkt nach dem Ende erneut von vorne. In diesem Fall habe ich es getan, ansonsten wäre es kaum möglich gewesen, die Geschichte zu erfassen. Mit dem Wissen um spätere Entwicklungen und das Ende war das erneute Hören ein komplett anderes Hörerlebnis, das sich absolut lohnte und mir sogar noch besser gefiel als beim ersten Mal. Nein, nebenbei darf man MONTANA auf keinen Fall hören, wenn man es verstehen möchte!

Die Sprecher agieren gekonnt, die Hintergrundmusik vermittelt eine sehr schöne Atmosphäre passend zum Westernsetting des gedrehten Filmes, ich konnte tief in die Welt abtauchen. Mich darin zu verlieren war erst beim zweiten Mal möglich, da anfangs doch zuviele offene Fragen waren und ich Schwierigkeiten hatte, die drei bzw vier Erzählebenen auseinanderzuzalten.

Eine rundum gelungene Folge, die man auch unabhängig vom Rest der Reihe sehr gut hören kann. Wer Hörspiele und Mindfuck liebt, der kommt an MONTANA nicht vorbei!

10 Luchse - 0,9 Kojoten = 9,1 ungleiche Brüder

SaschaSalamander 03.07.2012, 08.27 | (2/2) Kommentare (RSS) | PL

Mr Gum und der fettige Ingo

stanton_ingo_1.jpgINHALT

Die Essenszeit-Kriege wüten vernichtend über Bad Lamonisch an der Bibber. Wie kam es dazu? MR GUM geht fürs Abendessen nicht mehr zu seinem besten Freund, dem ebenso gemeinen und fiesen Metzger Willi Wilhelm III ff, sondern statt dessen zum fettigen Ingo und dessen Affen "Philipp der Horror". Das kann Willi Wilhelm III ff nicht auf sich sitzen lassen! Und Polly kann nicht einfach tatenlos zusehen, wie die beiden Stinkstiefel die Stadt vernichten, also muss sie sich etwas einfallen lassen.


BAND 6 DER REIHE UM MR GUM

DER FETTIGE INGO ist der sechste Band einer erfolgreichen Kinderbuchreihe um den miesepetrigen MR GUM. Zwar lassen die Bücher sich unabhängig voneinander lesen, trotzdem ist es natürlich schön, wenn man sich bei den Charakteren auf frühere Bücher beziehen kann, und viele Witze sind umso lustiger, wenn man den Hintergrund versteht. Man begegnet alten Freunden wie dem elektrischen Lebkuchenmann Björn Schneyder oder der angetrunkenen Omimi, es kommen aber auch neue Bewohner der Stadt hinzu, so der titelgebende Ingo Fettig und sein bösartiger Affe.


NONSENS UND JEDE MENGE SPAß

Andy Stanton schreibt die Texte, die von David Tazzyman mit witzigen Kritzelzeichnungen illustriert werden. Und Harry Rowohlt als Übersetzer, ein perfektes Dreierteam! Das Buch ist ein gelungenes Werk unsinniger Fabulierkunst, die aberwitzigen Ideen das Autors sind einfach hinreißend. Völlig unzusammenhängende Metaphern und Vergleiche, unrealistische Aktionen und völlig unbedeutende Nebenstränge. Mitten im Buch findet der Leser plötzlich ein Kapitel über einen balzenden Flamingo, und einige Seiten später direkt in Folge der Entschuldigungsbrief des (fiktiven) Verlegers, welcher sich für den Fehler entschuldigt aber gleichzeitig einräumt, dass das statt dessen fehlende Kapitel sowieso völlig langweilig gewesen sei. Man muss, wenn man z.B. in der U-Bahn liest, wirklich aufpassen, dass man nicht überrascht die Augen aufreißt und laut loslacht, so absurd sind manche Szenen dargestellt.


ROWOHLTS ÜBERSETZUNG

Harry Rowohlt ist es wieder geglückt, das Buch im Sinne des Autors zu übersetzen, wobei natürlich einige Wortwitze nicht möglich waren und er diese umformulierte, dafür an passender Stelle andere Scherze einfügte. Ein gelungenes aber unübersetzbares Wortspiel hat er ausnahmsweise mit Fußnote erklärt (die Aufforderung "Duck", also "duckt Euch", als eine Ente angeflogen kommt). Während das erste Buch eine insgesamt trotzdem weitgehend fortlaufende Handlung hatte und vor allem die Charaktere aus Lamonisch an der Bibber einführte, ist der sechste Band vor allem geprägt von Wiederholungen und freien Versen teils in Reimform sowie sehr viel Lautmalerei.


SCHWÄCHE DES 6. BANDES

Zugegeben, dabei hat Andy Stanton ein wenig übertrieben. Wiederholung mag ein Stilmittel der Nonsensliteratur sein, trotzdem sollte sie maßvoll angewendet werden. Als der stinkende Fiesling Willi Wilhelm III ff das erste mal (nicht) auf einem magischen Einhorn einherreitet, mag man noch losprusten bei der Vorstellung, das zweite Mal schmunzelt man, aber spätestens beim sechsten oder siebten Mal ist es wirklich genug. Außerdem gibt es im Buch diesmal fast keine Handlung, sie erschöpft sich bereits in der Inhaltsangabe des Klappentextes. Doch sie wird enorm in die Länge gezogen durch die freien Verse, die sich teils über 6 oder mehr Seiten erstrecken, jedoch einen Inhalt widergeben, der in einem Satz abgeschlossen wäre und teilweise nur aus sich wiederholenden Lautmalerei besteht. Während im ersten Band die Darstellung einzelner Worte wie BUMM, WATSCH, WACK etc lustig war, wurde auch diese Möglichkeit etwas über Maß strapaziert (wenngleich es einige wirklich witzigen Momente gibt wie etwa KA-WUMM, KA-BLAMM, KA-PITELENDE!). Das "Schnatter! Schnatter! Schnatter! Schnatter! Schnatter! Schnie!" des Affen ist gefühlt auf beinahe jeder dritten Seite zu lesen, was bei der sowieso schon geringen Textmenge (teils nur 5 bis 10 Zeilen) pro Seite einfach zuviel ist, man fühlt sich als Leser doch etwas um den Inhalt betrogen.


TEXTBEISPIELE

Mit einem schrecklichen Geruch nach verbranntem Gummi und Lebkuchen drehte sich das Taxi mitten auf der Straße im Kreise und im Kreise und im Kreise. Ein Vorderrad ging ab, flog erst ins Ober-, dann ins Unterhaus und würde zufällig für die nächsten zehn Jahre Premierminister. (S. 150)

Sie waren die ganze Nacht gereist, aber jetzt erhob sich die Sonne über dem Meer, blendend in ihrer Herrlichkeit, wie die größtvorstellbare Pampelmuse, die sich aus ihrem Nest aufschwingt, um auf Zuckerjagd zu gehen. (S. 169)

Er war ein beängstigender Klumpen von einem Heini, Gesicht und Hirn über und über mit Furunkeln übersät. An seinem linken Arm hatte er eine lange Narbe aus der Zeit, als er noch Stacheldrahtvertreter gewesen war, und eine seiner Hände war aus Messing, Folge eines schrecklichen Unfalls, in den eine Kettensäge, etwas Zwei-Komponenten-Kleber und eine Messinghand verwickelt gewesen waren. (S. 40)


FAZIT

MR GUM ist eine grandiose Reihe, die absoluten Kultfaktor hat. Harry Rowohlt hat ein Händchen für herausragende Literatur und drückt ihr im Deutschen seinen ganz eigenen Stempel auf, man kann gar nicht anders als begeistert zu sein. Trotzdem ist DER FETTIGE INGO ein eher schwächerer Band der Reihe, der durch zu viele Wiederholungen und unnötige Längen auffällt. Was soll ich nun bewerten - die Sprache, die Idee, Rowohlts Genie? Oder einfach nur die Geschichte selbst? Na, ganz einfach:

Wertung:
15 von 10 Zitronenbaisers für die Übersetzung und
5 von 10 Pferde, die Rosinen in den Weltraum schnipsen für die Geschichte
ergibt summa summarum 3,7 von 5 Hunden, die keine Anrufe entgegennehmen ;-)

SaschaSalamander 02.07.2012, 08.41 | (0/0) Kommentare | PL

Statistik KW 26

GELESEN / GEHÖRT
1 - Mr Gum und der fettige Ingo (A Stanton)
1 - Beim ersten Sonnenstrahl 2 (I L Minden)
1 - Klassentreffen (I Meerling)
1 - Black Sun 01 (U Ogasawara)
1 - Midnight Secretary 03 (T Ohmi)
1 - Winternacht - Schamanenpfade (S Wisbar)
1 - Dark Mysteries 01 - Fuchsjagd (Winterzeit)
1 - Dark Mysteries 02 - Das Loch (Winterzeit)
1 - Schrei der Angst 01 - Feeder
2 - Schrei der Angst 07 - Manatalk
2 - Kritiken schreiben (S Porombka)
2 - Das Känguru-Manifest (M-U Kling)


GESEHEN
Der Schuh des Manitu


NEUZUGÄNGE
Usher Grey 02 - Höllenduett (N Henser)
Lust bewusst leben (J E Kleene)
Caprice - heiße Tage geile Nächte (I L Minden)
Wir sollten dringend weniger zusammen unternehmen (R Polzar)
Ich bin Robert, Wanda und Bobby (R B Oxnam)
Gruselfieber - Das Schulmonster (R L Stine)
Wintersmith (T Pratchett)
Unliebsame Überraschungen (P Ardagh)


ANMERKUNGEN:
1 - komplett
2 - teilweise
3 - abgebrochen

SaschaSalamander 01.07.2012, 20.39 | (0/0) Kommentare | PL

Kritiken schreiben - ein Trainingsbuch

"Ja, das Schreiben von Kritiken ist lernbar. In Grenzen, mit wohlüberlegten Voraussetzungen und Zielen. Richtig: ein kontrollierbares Schreibtraining und eine begleitende Supervision schadet ebensowenig wie die Lektüre fremder Kritiken und Einblicke in die Geschichte der Kritik. Auch richtig: man lernt das Entscheidende erst im Enrstfall, durch Vergleiche mit anderen und am besten durch eigene Fehler. Und vielleicht am wichtigsten: Man lernt es nur dann, wenn man das Schreiben von Kritiken nicht nebenbei betreibt und die kritische Neugier nicht auf den Museumsbesuch oder ein Einführungsseminar beschränkt. Es ist eine Sache, die etwas mit Jahren und Jahrzehnten zu tun hat, mit dem ganzen Leben vielleicht, vielleicht ist es sogar eine Frage der Lebenseinstellung. Ganz sicher ist es eine bestimmte Art und Weise, wie man sich grundsätzlich in seiner Gegenwart bewegt" (S. 9)

"Die fortlaufenden Reflexionen lassen sich mit solchen Aufzeichnungen [Anm: er rät dazu, ein Journal zu führen] plötzlich von außen beobachten - und man selbst kann von sich denken "so denke ich also, so habe ich also gedacht", worüber man dann übrigens wieder nachdenken kann, um sich darüber wieder neue Notizen zu machen, usw. usw., man muss das gar nicht ausspinnen, um sich klar zu machen, wohin das führt: zum dauernden Notieren und Nachdenken über das Notierte.
Wer das macht, wird sich innerhalb von Wochen eine erste Routine des Boebachtens, Denkens und Notierens erarbeiten. [...] Für den Kritiker heißt das: Nichts wird man mehr lesen dürfen, ohne dass das Journal dabei ist. Kein Buch, keine Zeitung, kein Prospekt, kein Plakat am Straßenrand. Was immer man auch sieht, was auch immer interessant scheint, weil es gemacht ist - man sollte sich etwas dazu notieren." (S. 33f)

aus: Stephan Porombka: Kritiken schreiben - ein Trainingsbuch; UVK 2006

********************

Hm ... ja, ich finde mich definitiv darin wieder, fühle mich ertappt und kann es nachempfinden (erlebe mich allerdings auch als etwas freakig, wenn ich ständig im Alltag alles analysieren muss und gar nicht anders kann als ständig zu hinterfragen).

Ich frage mich, wie dieser Text auf einen gesunden, nicht-rezensierenden Menschen wirkt? ;-)

SaschaSalamander 30.06.2012, 17.12 | (2/2) Kommentare (RSS) | PL

Die Arbeit des Kritikers - Hinter den Kulissen

WARUM DIESER BEITRAG

Diesen Beitrag schreibe ich, um auch ein wenig mit dem Vorurteil aufzuräumen, dass Rezensionsexemplare nichts anderes bedeuten als Gratislesen. Gerade jetzt, wo die Bücherblogs wie Pilze aus dem Boden sprießen, werden auch die Kritiker immer mehr. Es gibt sehr viele Perlen unter diesen neuen Blogs. Aber es gibt auch sehr viele schwarze Schafe. Leser, die Rezensionsexemplare anfordern und die Bücher ungelesen wieder bei Ebay verhökern, nachdem sie den Klappentext und ein "tolles Buch, muss man kaufen" oder "taugt nicht, ich mag das Genre eh nicht" bei Amazon getippt haben (habe ich tatsächlich so erlebt).

Ich habe keinen Grund mich zu rechtfertigen, denn ich fühle mich bei den Beschimpfungen, die man oft liest, in keinster Weise angesprochen. Aber ich sehe dennoch, dass die Arbeit des Kritikers ziemlich nebulös scheint. Welche Arbeit steckt hinter den geschriebenen Zeilen? Oder: wie kann Lesen überhaupt Arbeit sein?

Dieser Beitrag soll also zeigen, welche Arbeit hinter einer ausführlichen Rezension steckt. Er soll angehende Rezensenten motivieren, ihre Arbeit ernst zu nehmen und mehr zu schreiben als nur eine Lesermeinung. Und er soll Lesern meiner Kritiken zeigen, was "hinter den Kulissen" passiert :-)


LESERMEINUNG

Landläufig spricht man von einer "Rezension" oder eine "Kritik", wenn jemand seine Meinung über ein Buch schreibt. Für mich selbst unterscheide ich allerdings sehr wohl zwischen einer Lesermeinung, Kundenmeinung oder einer Rezension / Kritik. Im Blog habe ich nur die Rubrik "Rezension", trotzdem befinden sich dort sowohl  Lesermeinungen wie auch ausführliche Rezensionen. Allzu knappe Lesermeinungen kommen in die Rubrik "Aktuelles".

Wenn ich ein Buch privat lese, entscheide ich meist recht früh, ob es eine Lesermeinung oder eine Rezension wird. Für eine Lesermeinung lese ich einfach gemütlich, lasse mich unterhalten, und am Ende fasse ich meine Gedanken in Worte. Zeitaufwand: Lesegenuss und anschließend je nach Länge des Beitrages 5 bis 20 Minuten Schreiben. Keinerlei Aufwand, unsortierte Gedanken fließen vom Hirn in die Tastatur. Einem Verlag oder Autor würde ich diese Lesermeinung keinesfalls als Rezension in die Hand drücken, da wesentliche Elemente einer ausführlichen Kritik fehlen. Für den Leser bietet es dennoch einen groben Überblick, und ich bin meine Gedanken losgeworden, kann mich nun befreit dem nächsten Medium widmen.


KRITIK / REZENSION

Wenn ich das Buch lese und von Beginn an merke, dass da sehr viele Gedanken in mir hochkommen, dann hole ich sofort den Notizzettel. Manchmal tippe ich nach dem Lesen dann einfach meine Notizen und Gedanken, das ist dann die etwas ausführlichere Lesermeinung. Und manchmal entscheide ich mich auch für eine Rezension / Kritik, auch ohne Kontakt zu Verlag oder Autor, sondern weil ich das Bedürfnis danach habe mich intensiver mit dem Titel auseinanderzusetzen.

Wenn ich aber ein Rezensionsexemplar erhalte, gehe ich mit einem für mich anderen Anspruch an das Werk heran. Ich denke, jeder Kritiker hat seinen eigenen Stil, sein eigenes Vorgehen, daher kann ich nicht für andere sprechen. Aber ich möchte einfach einmal beschreiben, wie es aussieht, wenn ich vorhabe, ein Buch ausführlich zu bewerten.

Es ist auch klar, dass die Arbeit an einem Hörbuch anders verläuft als an einem Roman, für einen Jugendroman anders als für eine Biographie, ein Fachbuch oder einen Manga. Was ich hier also schildere, ist eine Verallgemeinerung, die sich nicht auf jeden Titel übertragen lässt aber doch einen guten Überblick bietet über all das, was hinter einer ausführlichen Rezension steckt.


NUR EIN HOBBY

Rezensieren ist für mich nicht nur ein Hobby. Es ist eine Leidenschaft. Ich liebe es, das Buch auseinanderzunehmen, zu zerpflücken und schon während des Lesens auf die Details zu achten. Und ich merke, dass diese Einstellung mich nicht nur beim Lesen begleitet, sondern auch im Alltag. Wenn ich einen Film sehe, wenn ich einen Werbetrailer laufen sehe, wenn ich einen Zeitungsartikel lese, immer habe ich im Hinterkopf "mit welchen Mitteln arbeiten die, wie wollen die ihr Ziel erreichen, warum tun die das, wie kommt das bei den Leuten an". Und selbst, wenn ich nicht rezensiere, habe ich ständig eine Checkliste im Kopf. Ich bin einfach verdammt neugierig, und schon in der Schule bin ich den Lehrern mit meinen abertausend Fragen auf den Keks gegangen ;-)

(Und ich möchte betonen: es ist ein HOBBY. Kein Studium liegt zugrunde, und mir ist klar, dass ich noch eine Menge falsch mache, dass mein Vorgehen das eines Laien ist. Trotzdem bemühe ich mich um korrektes Arbeiten, auch wenn ich viel falsch mache und "echte" Kritiker vermutlich nur das Gesicht verziehen ob meiner Texte. Egal, mir bereitet es Freude  zu schreiben, und ich bin stets um Vorankommen bemüht)


VOR DEM LESEN

Vor dem Lesen informiere ich mich über den Autor, dessen bisheriges Werk, über das Genre, den Verlag und andere Rahmenbedingungen. Dies mag nicht unbedingt in die Rezension einfließen, ist mir jedoch wichtig für das Verständnis des Titels. Um ein Buch zu rezensieren, möchte ich den Kontext verstehen, in dem es geschrieben wurde. Denn ein Buch steht niemals alleine, es ist das Ergebnis eines gesellschaftlichen und literarischen Kontexts.


WÄHREND DES LESENS

Wenn ich ein Rezensionsexemplar lese, habe ich immer Stift und Zettel parat, egal ob unterwegs in der Straßenbahn, in der Mittagspause auf Arbeit, zu Hause am Schreibtisch oder abends im Bett. Je nachdem, was das Buch für mich an Gedanken abwirft, mache ich mir Notizen, manchmal nur alle 10 bis 20 Seiten, manchmal fast auf jeder Seite. Ich notiere Zitate, halte meine Gedanken während des Lesens fest. Markiere mir Seitenzahlen, die ich später eventuell brauchen könnte. Während des Lesens und Notierens stelle ich mir die Frage, was das Buch erreichen möchte, welchem Zweck es dient, welche Zielgruppe es anspricht und ob dies gelungen ist. Ich lese das Buch nicht nur aus Genuss (was natürlich trotzdem ein angenehmer Nebeneffekt ist, aber nicht immer ist das möglich), sondern ich lese es auf einer Metaebene und hinterfrage den Satzbau, die Kapiteleinteilung, die Erzählstruktur, die Wortwahl, die Charakterentwicklung und was mir in diesem Moment alles als erachtenswert erscheint.

Das Lesen kann unter Umständen auf diese Weise dreimal so lange dauern wie beim normalen Lesegenuss, weil ich zwischendurch etwas im Web recherchiere, weil ich zurückblättere und eine Szene nochmals lese, weil ich Notizen mache, weil ich pausiere und wirken lasse.


DIE MEINUNG ENTSTEHT

Bevor ich die Rezension beginne, sortiere ich als erstes meine Notizen. Sonst besteht die Gefahr, dass ich zwei oder drei Tage später gar nicht mehr weiß, was diese Stichpunkte bedeuten. Ich schreibe all diese Gedankenfetzen lesbar am Computer untereinander. Danach sortiere ich sie thematisch, z.B. für die Inhaltsangabe, die Charakterbeschreibung, den Aufbau, den Sprachstil. An diesem Punkt entscheidet sich, welche Merkmale des Buches ich hervorheben möchte und was ich in der Rezension alles beschreiben werde, auf welche Elemente ich mich konzentriere.

Nicht in allen Fällen, aber wenn es für das Thema des Buches sinnvoll ist (gerade bei Sachbüchern, Biographien oder auch Romanen um bestimmte wissenschaftliche, religiöse oder andere brisante Themen), recherchiere ich dann im Internet. Wie haben andere Autoren dieses Thema aufgegriffen? Gab es das Thema schon einmal? Wo endet die Realität und beginnt die Fiktion? Falls das Thema es nicht hergibt, lasse ich diesen Punkt auch komplett aus. Falls das Thema dies jedoch ermöglicht und ich tiefer in das Buch eintauchen möchte, kann dies mehrere Stunden beanspruchen.

Wie ein Autor nicht alle recherchierten Elemente in seinem Buch unterbringen kann und viele wertvollen Informationen den Leser niemals erreichen, so geht es auch dem Rezensenten. Der Leser erhält die Essenz der Arbeit, obwohl es sicher noch sehr viel mehr zu erzählen gäbe. Zu trennen, was nun an die Öffentlichkeit soll und was ich zurückbehalte, ist nicht immer leicht, allzu gerne würde man all seine Ergebnisse präsentieren.


FEINARBEIT

Meine Meinung über das Buch ist also gefällt, ich weiß was ich loben, was ich kritisieren möchte. Danach lese ich mir gerne einige Rezensionen anderer Kritiker durch, deren Meinung ich schätze. Was haben sie hervorgehoben, was haben sie kritisiert? Meine Meinung wird dadurch nicht mehr beeinflusst, allerdings kann es sein, dass ich auf einzelne Punkte anderer Rezensenten eingehe: wenn ich ein Buch gelungen fand und sehe, dass viele es für etwas kritisieren, das ich im Gegenteil sogar gut fand, gehe ich auf diesen Punkt verstärkt ein, um meine Darstellung dadurch zu untermauern.

Es kommt in der Tat auch manchmal vor, dass das, was ich aus dem Buch erarbeitet habe, meiner persönlichen Meinung widerspricht. Es hat mir nicht gefallen, hat mich nicht angesprochen, dennoch ist es handwerklich hervorragend umgesetzt, vermittelt eine klare und gute Botschaft. Dann wäre es unfair, das Buch abzuwerten. Ich schildere meine Eindrücke also sachlich, ohne meine persönlichen Gedanken einzubringen, lobe die Umsetzung. Wenn mir das Buch gefiel, obwohl es deutliche Schwächen hat, wird es eine eher persönliche Rezension, in der ich meine Eindrücke schildere und begründe, warum einzelne Kritikpunkte für mich nicht weiter ins Gewicht fallen. Optimal ist, wenn meine Meinung und meine Wertung übereinstimmen, dann wird die Rezension sehr emotional, und ich hoffe meine Begeisterung auf den Leser zu übertragen.

Es gibt Ausnahmefälle, in denen es zu Problemen kommt. Dann halte ich Rücksprache mit dem Verlag oder dem Autor. So ist es möglich, dass ich feststelle "nö, überhaupt nicht meine Welt, will ich nicht schreiben". Oder ich entdecke sehr viele Kritikpunkte an dem Buch. Bevor ich es zerreiße, möchte ich den Grund für diese Mängel verstehen und frage nach, oft lag es an einem Missverständnis meinerseits oder an der Unkenntnis der Umstände des Buches (was trotz der Vorabrecherche immer wieder passieren kann). Manchmal lässt sich die Unstimmigkeit nicht beheben, dann wird es eben eine negative Rezension, das ist in Ordnung und gerecht. Zum Glück fällt diese Situation eher selten an, aber wenn, dann ist es manchmal zeitaufwändig und konfliktreich. Dazu kommt, dass es leicht ist, ein Buch einfach mal so zu zerreißen. Wenn man aber in persönlichem Kontakt mit dem Autor steht, sagt man es ihm quasi ins Gesicht - das ist nicht mehr so leicht, das erfordert Selbstbewusstsein, aber auch Fingerspitzengefühl und Kommunikation. Nix mit Anonymität des Internet ;-)


REZENSION

Die Notizen sind nun in Reinform, die Recherche ist abgeschlossen, die Meinung steht. Das Schreiben selbst ist dann nicht mehr allzu viel Arbeit und ist schnell erledigt, ich muss nur noch die Stichpunkte zu verständlichen Sätzen zusammenfassen. Zugegeben, da ich alleine arbeite, fehlt mir oft das Lektorat, eigenen Texten gegenüber ist man blind, und so schleichen sich doch gelegentlich Tippfehler, fehlende Worte oder verdrehte Sätze in meine Rezensionen ein. In manchen Fällen habe ich in Webportalen oder in Communities einen Lektor zur Seite, wofür ich sehr dankbar bin.


NACHARBEIT

Nach dem Schreiben geht es weiter: Die Rezension muss online gestellt werden. Je nachdem, was mit dem Verlag oder Autor vereinbart wurde, entweder nur in meinem Blog oder aber auch auf verschiedenen Plattformen, allen voran natürlich der große Onlinehändler (was ich nicht toll finde, was aber leider die Nr 1 in Sachen Verkauf und Werbung ist). Eventuell muss der Text auch in einem Forum, einem Portal, einer Community eingestellt werden, wo eine spezielle Zielgruppe angesprochen werden soll. Je nachdem, wie die entsprechende Seite aufgebaut ist, kann dies mehr oder weniger aufwändig sein, manchmal ist es lediglich Copy and Paste, manchmal eine umständliche Fitzelarbeit.

Der Verlag und / oder der Autor sollen weiterhin informiert werden, wann und wo die Rezension erscheinen wird. Und wenn ich das letzte Mail an meine Kontaktpersonen gesendet habe, dann kann ich mich zurücklehnen und endlich sagen "geschafft".


ZUM ABSCHLUSS

Wenn es so viel Arbeit macht - und wenn ich außer dem Rezensionsexemplar (und wenn ich privat rezensiere, nicht einmal das) nichts dafür erhalte - warum mache ich mir diesen Aufwand? Ganz einfach: ich halte wenig davon, ein Buch einfach nur zu konsumieren. Dann könnte ich mich ebensogut vor den Fernseher setzen, mein Hirn abschalten und eine Sendung nach der anderen reinpfeifen. Wenn ich lese, dann will ich damit etwas erreichen: Ich liebe Bücher. Aber ich liebe es auch, mich mit deren Inhalten zu befassen. Ich will sie nicht nur konsumieren, sondern ich will sie erleben, erfahren, erspüren, analysieren, verstehen, begreifen, vergleichen, will hinter die Worte blicken.

Ja, es ist ein Hobby. Ja, ich liebe diese Arbeit und gehe darin auf. Dennoch ist es Arbeit. Es mag viele schwarze Schafe geben, und der Ruf des Kritikers war noch niemals besonders angesehen (wie sagte schon Goethe: "Schlagt ihn tot, den Hund! Er ist ein Rezensent!"). Aber vielleicht konnte ich hier wenigstens einmal zeigen, dass es neben schwarzen Schafen, bösartigen Giftmischern und unfairen Neidern auch Kritiker gibt, die auch Arbeit in das Endergebnis investieren ...

SaschaSalamander 30.06.2012, 07.51 | (0/0) Kommentare | PL

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