SaschaSalamander

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Thema: Rezensionen Buch

Voll das Leben

gernt_leben_1.jpgVOLL DAS LEBEN ist mein erster Kontakt mit >Sandra Gernt< (jedoch nicht mein letzter, einige Titel liegen bereits auf dem Kindle und stehen im Regal), die sich mit homoerotischen Geschichten und Romanen bereits einen angesehenen Namen gemacht hat. VOLL DAS LEBEN ist diesmal jedoch kein Fantasy, kein historischer Roman, sondern eine realistische Erzählung.

Jan hat seinen pflegebedürftigen Lebensgefährten bis zu dessen Tod versorgt, sein Alltag wurde immer schwerer und grauer. Zusätzlich zu der belastenden Privatsituation musste er auch die spitzen Bemerkungen seines homophoben Arbeitskollegen Nick erdulden. Als sein Freund stirbt, ist Jan alleine, er gibt sich auf, und umso erstaunlicher ist es, als plötzlich Nick dasteht und sich um ihn sorgt. Doch Jan will das nicht annehmen, und so taucht er unter, geht seinen eigenen Weg, er will die Vergangenheit hinter sich lassen. Aber immer wieder ergeben sich Berührungspunkte zu seinem alten Leben, und Jan muss sich entscheiden, ob er zurück will.

Auffällig an dieser Geschichte ist vor allem, dass sie fernab der üblichen Gay-Romance agiert. Wer Romantik oder eine heile Welt sucht (denn trotz Konflikten sind die meisten Geschichten eine fiktive heile Welt), der ist hier falsch. In VOLL DAS LEBEN spiegelt sich genau das wieder: das nackte, blanke Leben in seiner Tristesse und Trostlosigkeit. Und das Wissen, dass es sich exakt so ereignet haben könnte, Jans Geschichte ist die Geschichte vieler Menschen, die durch den Tod eines Angehörigen gestrauchelt sind und dann auf der Straße landen, ähnlichen Lebensläufen bin ich schon sehr oft begegnet.

Im Grunde hätte man diese Geschichte auch schreiben können, ohne dass Jan schwul ist, es ist eigentlich eher nebensächlich, der Tote hätte auch seine Frau sein können, Nick hätte man ersetzen können durch Nicki, es hätte nichts an der Intention geändert. Und auch das ist etwas, das man selten findet: Bücher, in denen Homosexualität nicht Mittel zum Zweck (der Unterhaltung der weiblichen Leserschaft) ist, sondern einfach etwas, das so ist, wie es eben ist. Daher geht es hier auch nicht um Sexualität, Erotik oder Romantik, wenngleich die Geschichte natürlich auf ihre Weise dennoch ein Happy End hat (Nicks Motive dürften geübten Lesern vom ersten Moment an klar sein).

Obwohl die Geschichte sehr melancholisch ist, strahlt sie dennoch etwas Lebensbejahendes, Kraftvolles aus. Jan gibt nicht auf, der Leser versinkt mit ihm nicht in Schwermut. Harte Arbeit als Flucht vor dem Denken, der Vergangenheit, der Trauer, harte Arbeit als Chance, sich ein neues Leben zu verdienen, das am Ende auch gewährt wird. Und auch, wenn Jan sich einsam fühlt, weiß der Leser, dass im Hintergrund Menschen um ihn sind, die sich sorgen und kümmern, die ihm helfen, sich in dieser Arbeit zu verwirklichen. Mir sind Jan und seine neue "Familie" sehr ans Herz gewachsen, gerne habe ich die Zeit mit ihnen verbracht.

Eine Geschichte, die ihre Leser bewegt. Anders, traurig und wunderschön.

SaschaSalamander 24.07.2012, 08.52 | (0/0) Kommentare | PL

Lord Skeffington Scatters Katzenärger

FAHR SINDRAM

Fahr Sindram ist Mangazeichnerin und Kinderbuchautorin, ihre Werke erscheinen im Butter and Cream Verlag, 2006 erschien das erste Werk LOSING NEVERLAND,  ein Manga, der sich neben einer packenden Handlung vor allem gegen Kinderpornographie ausspricht. Etwas, das ich allgemein sehr wichtig finde und das vor allem im Mangabereich ein ganz eigenes Thema ist, das hier viel zu selten angesprochen wird.


INHALT

LORD SKEFFINGTON SCATTERS - KATZENÄRGER ist ein niedliches Bilderbuch, das mit seinem Nonsens-Humor, den liebenswerten Charakteren und den herrlichen Bildern auch für Erwachsene ein unterhaltsames Lesevergnügen darstellt. Lord Skeffington Scatters ist ein junger Zombie, bleich und mit viel blauer Pomade im Haar, er lebt mit seinen fünfzehn (15!) Katzen zusammen. Und wie alle jungen Menschen Zombies wünscht er sich Freunde, doch das ist nicht leicht, wenn man bleich ist, blaue Haare hat und eigentlich tot ist. Während seiner Arbeit in der Eisdiele verliebt er sich in "das Mädchen", doch was soll er tun, um ihre Liebe zu gewinnen? Leider stellt er sich sehr ungeschickt an, und auch die fünfzehn (15!) Katzen sind ihm keine große Hilfe dabei.


SPRACHE, GENRE

Ach, ein wundervolles Bilderbuch, das ich gern gelesen habe und das mich durchweg begeisterte. Wie gesagt, sehr viele Elemente des Nonsens heitern die an sich knappe Handlung auf: viele Dinge werden wiederholt, etwa die fünfzehn (15!) Katzen, oder auch das Lieblingsfutter der Katzen, die blaue Pomade. Der Autor spielt mit der Bedeutung unterschiedlicher Worte, setzt Sprichwörter um zu realen Ereignissen, zieht unverhältnismäßige Vergleiche und jongliert mit den Sätzen, die Charaktere führen ungewöhnliche Dialoge, es gibt sehr schräge Aktionen und unlogische Schlussfolgerungen. Ein einfach zu lesender Text, an dem Leser aller Altersklassen ihre Freude haben, die Kinder eher aufgrund der witzigen Story, die Erwachsenen aufgrund des hintergründigen Humors. Ein paar Beispiele:

"Das Haus hatte er von seinem Großonkel geerbt. In seiner Familie wurde sowieso vieles weitervererbt. So hatte der gute Skeffington seine Füße von Großonel Milton und seine langen Unterarme von Urgroßvater John-Joe".

"Ich kannte einmal eine Katze, die so alberne Witze erzählte, dass sie sich eines schönen Tages einen Wolf lachte, den hatte sie dann ihr ganzes restliches Leben am Hals. Und das störte wirklich sehr, auch wenn er Vegetarier war!"

"Er war ziemlich wie Du und ich. Und wenn nicht wie Du, dann eben wie ich und Nachbars Gartentor."

"Er zitterte wie eine Klapperschlange und klapperte wie Espenlaub."


ZEICHNUNGEN

Text und Zeichnungen bilden hier eine kongeniale Einheit. Zwar kann jedes für sich stehen und überzeugen, doch in Verbindung ist es wirklich einzigartig. Immer wieder schweift beim Lesen der Blick auf die Bilder, man vergleicht das Bild mit dem Text und stellt fest, wie liebevoll einzelne Details umgesetzt wurden. Und die Bilder machen neugierig auf den Text. Auch blätterte ich immer wieder zwischen dem Text, den Bildern und dem Ende hin und her: denn am Ende des Buches werden alle fünfzehn (15!) Katzen namentlich und mit ihren Charaktereigenschaften vorgestellt. Da kommt ganz von selbst das Bedürfnis, auf jedem Bild zu zählen, ob wirklich alle Katzen zu sehen sind und wie sie sich diesmal gekleidet haben, ob man sie auch alle erkennt und zuordnen kann.

Einige kleine Bilder unterstreichen neben dem Text nur knapp dessen Aussage, andere bekommen eine eigene, komplett colorierte Seite, sogar doppelseitige Bilder sind zu finden. Die Textseiten sind zusätzlich mit einem hübschen Rahmen verziert, der in sich geschlossen ebenfalls viele kleine Motive beinhaltet und zum Entdecken einlädt.

Auf den Bildern gibt es auch unabhängig vom Text sehr viel zu entdecken, für Bücherwürmer dürften vor allem die herumliegenden Bücher oder die Bücherregale interessant sein, dort finden sich sehr viele spannende Titel, die zu entdecken einer Schatzsuche gleicht, jedesmal begleitet von einem kleinen freudigen Erfolgserlebnis. Unzählige süße Details verleiten zum Träumen, Lachen, Spaß haben und Entdecken. Alles gilt es zu betrachten von den Fotos an den Wänden hin zu Accessoires an der Kleidung oder kleine Geschichten, die auf den Bildern zusätzlich zur Handlung im Text erzählt werden. Ich werde das Buch noch sehr oft aufschlagen, um darin zu blättern.

Obwohl es um einen Zombiejungen geht, und obwohl es Gothic-Elemente enthält, zeigt Fahr Sindram mit diesen Bilder ganz wunderbar, dass Goth nicht immer Schwarz sein muss, sondern im Gegenteil auch kunterbunt, herzlich und verspielt sein kann. Sieüberschlägt sich regelrecht mit Farben, Formen und Mustern, und das Buch strotzt (zwischen den Zeilen, denn vordergründig geht es ja um einen toten Jungen und eine unglückliche Liebe) vor Lebensfreude, Glück und guter Laune, man kann gar nicht anders als nach dem Lesen glücklich zu sein.


MORAL

Die Moral des Buches gefällt mir, sie ist zwar klar und liegt für den Leser auf der Hand, dennoch kommt sie witzig daher, die Autoren nehmen sie aufs Korn und machen auch hieraus einen eigenen Scherz. Noch nie wurde eine Moral so süß verpackt! Überhaupt ist das Ende der Geschichte wirklich gelungen. Es ist ein Happy End, wenn auch anders als erwartet, man kann sich mit den Charakteren freuen. Und auch, wenn das Buch abgeschlossen ist, lädt das Ende die Kinder ein, gemeinsam mit den Eltern neue Abenteuer mit Lord Skeffington zu erfinden. Einen Freund wie den kleinen Zombie und seine fünfzehn (15!) Katzen wünscht man sich gerne


FAZIT

Unbedingt kaufen! Was auch immer ich hier alles geschrieben habe, man muss es sich selbst ansehen. Wer das, was ich hier in der Rezi angeschnitten habe, auch nur ansatzweise interessant fand, der wird von Skeffington begeistert sein! :-)

Wertung: 100 von 100 Rock und Rollende Kellermonster


SaschaSalamander 09.07.2012, 08.56 | (0/0) Kommentare | PL

In Liebe, Brooklyn

schroeder_brooklyn_1.jpgINHALT, GENRE

Lucca ist gestorben. Seine Freundin Brooklyn ist nicht fähig, ihre Trauer zu bewältigen. Sein Bruder Nico läuft wortwörtlich davon, sucht seinen Trost im Laufsport. Ein Jahr nach dem Unfall verstirbt auch Gabe, war es eine Überdosis oder war es Absicht, weil auch er den Tod des Jungen nicht verkraftet hat? Nach Gabes Tod leidet Brooklyn unter immer schlimmeren Albträumen, gleichzeitig erhält Nico vom Geist seines Bruders den Auftrag, Brooklyn zu helfen. Werden die beiden in ihrem Kummer zueinanderfinden?

Obwohl es darum geht, wie Nico und Brooklyn zueinanderfinden und es ein Buch voller Sanftheit ist, ist es kein typischer Roman um Jugendliebe. Eher würde ich das Buch im Bereich Drama und Entwicklung einordnen. Und obwohl Luccas Geist indirekt darin vorkommt, sehe ich es nicht als Fantasy, dieser Aspekt ist vielmehr ein weiteres Symbol der Autorin, hier stellvertretend für die Verbundenheit zwischen Nico und seinem Bruder.


COVER

Lasse ich Cover und Gestaltung normalerweise außen vor, so ist es hier unbedingt erwähnenswert. IN LIEBE BROOKLYN ist im Format etwa so groß und breit wie eine kleine Geldbörse, passt also auch gut in die Hosentasche. Das Cover in zartem Rosa und Grün glitzert leicht metallisch, springt sofort angenehm ins Auge. Das Papier ist sehr dünn, wie man es von Minibüchlein (vor allem Bibel, aber auch andere) kennt. Das sagt natürlich alles noch lange nichts über den Inhalt des Buches, aber es wirkt schon vor dem Lesen sehr ansprechend, wie ein kleines Tagebuch, es lädt vor allem weibliche Leser ein, es aufzuschlagen, sich in den Worten darin zu verlieren.


SPRACHE, GESTALTUNG, AUFBAU

Das Buch ist klein und dünn, die Seiten sind auch nicht wie gewohnt komplett bedruckt. Statt dessen ist das Buch in freier Versform geschrieben. Es reimt sich nicht, sieht jedoch hübsch aus und vermittelt Poesie, Lyrik. Dennoch ist die Sprache nicht einem Gedicht entsprechend gewählt oder gehoben, es liest sich normal und flüssig wie jedes andere Buch dieser Art auch. Vielmehr erinnert es mich an die Tagebucheinträge junger Mädchen, die ihren Gedanken auf diese Weise Form verleihen. Der Zielgruppe des Buches entsprechend ist das eine wunderschöne Idee, für mich hätte es das allerdings nicht gebraucht, mir ist die Aufmachung eines Buches und die Gestaltung der Textform egal, ich bin da ganz pragmatisch. Trotzdem, eine hübsche Idee, die Blicke auf sich zieht und gefällt. Mir ist aktuell kein anderes Buch bekannt, das in dieser Form veröffentlicht wurde.

Es liest sich insgesamt sehr flüssig, wie ein normaler Roman. Was mir besonders gefällt ist der Subtext. Die Geschichte wird hier zum geringsten Teil durch Worte erzählt als durch das, was ungesagt bleibt. Das Buch enthält sehr viele Symbole, und man merkt, wie im Laufe des Buches immer häufiger schöne, angenehme Symbole auftauchen - auch ohne dass Brooklyn erwähnt, dass es ihr besser geht, erkennt der Leser ihre langsam wieder aufkeimende Lebensfreude alleine anhand kleiner Symbolbilder. So spielen Comics zu Beginn eine sehr wichtige Rolle, werden immer seltener, bis Brooklyn es eines Tages ganz vergisst. Dafür kommen die Blumen wieder in ihr Leben, beginnt sie das Laufen. Auch Hunde zu Beginn als Sinnbild für Vergänglichkeit und Tod, Zwang und Unstimmigkeit, bis sie am Ende nach und nach zu einem Sinnbild des Lebens und der Freude, der freien Entscheidung und des Miteinanders werden. Auf diese Weise erzählt die Autorin die Geschichte auf hintergründige Weise, es gibt sehr viel zu interpretieren, assoziieren, es fällt leicht, sich einfach fallenzulassen und ganz dem Fluss der Handlung zu folgen.

Mit Fortschreiten der Handlung ändert sich nicht die Sprache, jedoch die Art und Form der Texte sowie deren Zusammenhang. Anfangs  liest man lediglich die Tagebucheinträge von Brooklyn und Nico sowie Brooklyns Briefe an den verstorbenen Lucca. Ein Mail von Nico an Brooklyn ist der Wendepunkt: bis dahin verfolgte man die Leben der beiden parallel, nun beginnt es sich zu verstricken, oft spielen sie sich gegenseitig den Ball zu. Nico erzählt den Beginn eines Treffens, Brooklyn beendet es, Nico reflektiert es anschließend. Die Briefe an Lucca werden seltener. Lisa Schroeder ist es in der Tat gelungen, ein durch und durch in sich stimmiges Buch zu schreiben, bei dem das Äußere, die Sprache, der Aufbau und die Charaktere eine wundervolle Einheit bilden.


CHARAKTERE

Brooklyn und Nico gehen unterschiedlich mit ihrer Trauer um. Als Leser erlebt man beide sowohl von außen (aus Sicht des jeweils anderen betrachtet) als auch von innen (durch ihre Tagebucheinträge). Zwei grundverschiedene Menschen, die in kleinen Schritten zueinanderfinden. Nico ist nach außen hin locker, er trainiert, arbeitet, erfüllt seine Pflichten, doch in ihm nagt die Trauer, er fühlt sich als Sohn vernachlässigt, gibt sich stark doch fühlt sich schwach. Brooklyn dagegen ist innen wie außen zerbrechlich, sie weint, ist hilflos und ist kurz davor, sich aufzugeben. Doch der Leser wird von Selbstmitleid und Gejammer verschont, vielmehr sind es melancholische Gedanken, denen man gut folgen kann.


FAZIT

IN LIEBE BROOKLYN überzeugt durch sein ungewöhnlich hübsches Aussehen ebenso wie durch seinen filigranen Text und die hervorragend aufgebaute Geschichte. Ein in sich absolut stimmiges Buch, hervorragend geeignet für einen Nachmittag mit Tee und Keksen.

SaschaSalamander 07.07.2012, 14.20 | (0/0) Kommentare | PL

Mr Gum und der fettige Ingo

stanton_ingo_1.jpgINHALT

Die Essenszeit-Kriege wüten vernichtend über Bad Lamonisch an der Bibber. Wie kam es dazu? MR GUM geht fürs Abendessen nicht mehr zu seinem besten Freund, dem ebenso gemeinen und fiesen Metzger Willi Wilhelm III ff, sondern statt dessen zum fettigen Ingo und dessen Affen "Philipp der Horror". Das kann Willi Wilhelm III ff nicht auf sich sitzen lassen! Und Polly kann nicht einfach tatenlos zusehen, wie die beiden Stinkstiefel die Stadt vernichten, also muss sie sich etwas einfallen lassen.


BAND 6 DER REIHE UM MR GUM

DER FETTIGE INGO ist der sechste Band einer erfolgreichen Kinderbuchreihe um den miesepetrigen MR GUM. Zwar lassen die Bücher sich unabhängig voneinander lesen, trotzdem ist es natürlich schön, wenn man sich bei den Charakteren auf frühere Bücher beziehen kann, und viele Witze sind umso lustiger, wenn man den Hintergrund versteht. Man begegnet alten Freunden wie dem elektrischen Lebkuchenmann Björn Schneyder oder der angetrunkenen Omimi, es kommen aber auch neue Bewohner der Stadt hinzu, so der titelgebende Ingo Fettig und sein bösartiger Affe.


NONSENS UND JEDE MENGE SPAß

Andy Stanton schreibt die Texte, die von David Tazzyman mit witzigen Kritzelzeichnungen illustriert werden. Und Harry Rowohlt als Übersetzer, ein perfektes Dreierteam! Das Buch ist ein gelungenes Werk unsinniger Fabulierkunst, die aberwitzigen Ideen das Autors sind einfach hinreißend. Völlig unzusammenhängende Metaphern und Vergleiche, unrealistische Aktionen und völlig unbedeutende Nebenstränge. Mitten im Buch findet der Leser plötzlich ein Kapitel über einen balzenden Flamingo, und einige Seiten später direkt in Folge der Entschuldigungsbrief des (fiktiven) Verlegers, welcher sich für den Fehler entschuldigt aber gleichzeitig einräumt, dass das statt dessen fehlende Kapitel sowieso völlig langweilig gewesen sei. Man muss, wenn man z.B. in der U-Bahn liest, wirklich aufpassen, dass man nicht überrascht die Augen aufreißt und laut loslacht, so absurd sind manche Szenen dargestellt.


ROWOHLTS ÜBERSETZUNG

Harry Rowohlt ist es wieder geglückt, das Buch im Sinne des Autors zu übersetzen, wobei natürlich einige Wortwitze nicht möglich waren und er diese umformulierte, dafür an passender Stelle andere Scherze einfügte. Ein gelungenes aber unübersetzbares Wortspiel hat er ausnahmsweise mit Fußnote erklärt (die Aufforderung "Duck", also "duckt Euch", als eine Ente angeflogen kommt). Während das erste Buch eine insgesamt trotzdem weitgehend fortlaufende Handlung hatte und vor allem die Charaktere aus Lamonisch an der Bibber einführte, ist der sechste Band vor allem geprägt von Wiederholungen und freien Versen teils in Reimform sowie sehr viel Lautmalerei.


SCHWÄCHE DES 6. BANDES

Zugegeben, dabei hat Andy Stanton ein wenig übertrieben. Wiederholung mag ein Stilmittel der Nonsensliteratur sein, trotzdem sollte sie maßvoll angewendet werden. Als der stinkende Fiesling Willi Wilhelm III ff das erste mal (nicht) auf einem magischen Einhorn einherreitet, mag man noch losprusten bei der Vorstellung, das zweite Mal schmunzelt man, aber spätestens beim sechsten oder siebten Mal ist es wirklich genug. Außerdem gibt es im Buch diesmal fast keine Handlung, sie erschöpft sich bereits in der Inhaltsangabe des Klappentextes. Doch sie wird enorm in die Länge gezogen durch die freien Verse, die sich teils über 6 oder mehr Seiten erstrecken, jedoch einen Inhalt widergeben, der in einem Satz abgeschlossen wäre und teilweise nur aus sich wiederholenden Lautmalerei besteht. Während im ersten Band die Darstellung einzelner Worte wie BUMM, WATSCH, WACK etc lustig war, wurde auch diese Möglichkeit etwas über Maß strapaziert (wenngleich es einige wirklich witzigen Momente gibt wie etwa KA-WUMM, KA-BLAMM, KA-PITELENDE!). Das "Schnatter! Schnatter! Schnatter! Schnatter! Schnatter! Schnie!" des Affen ist gefühlt auf beinahe jeder dritten Seite zu lesen, was bei der sowieso schon geringen Textmenge (teils nur 5 bis 10 Zeilen) pro Seite einfach zuviel ist, man fühlt sich als Leser doch etwas um den Inhalt betrogen.


TEXTBEISPIELE

Mit einem schrecklichen Geruch nach verbranntem Gummi und Lebkuchen drehte sich das Taxi mitten auf der Straße im Kreise und im Kreise und im Kreise. Ein Vorderrad ging ab, flog erst ins Ober-, dann ins Unterhaus und würde zufällig für die nächsten zehn Jahre Premierminister. (S. 150)

Sie waren die ganze Nacht gereist, aber jetzt erhob sich die Sonne über dem Meer, blendend in ihrer Herrlichkeit, wie die größtvorstellbare Pampelmuse, die sich aus ihrem Nest aufschwingt, um auf Zuckerjagd zu gehen. (S. 169)

Er war ein beängstigender Klumpen von einem Heini, Gesicht und Hirn über und über mit Furunkeln übersät. An seinem linken Arm hatte er eine lange Narbe aus der Zeit, als er noch Stacheldrahtvertreter gewesen war, und eine seiner Hände war aus Messing, Folge eines schrecklichen Unfalls, in den eine Kettensäge, etwas Zwei-Komponenten-Kleber und eine Messinghand verwickelt gewesen waren. (S. 40)


FAZIT

MR GUM ist eine grandiose Reihe, die absoluten Kultfaktor hat. Harry Rowohlt hat ein Händchen für herausragende Literatur und drückt ihr im Deutschen seinen ganz eigenen Stempel auf, man kann gar nicht anders als begeistert zu sein. Trotzdem ist DER FETTIGE INGO ein eher schwächerer Band der Reihe, der durch zu viele Wiederholungen und unnötige Längen auffällt. Was soll ich nun bewerten - die Sprache, die Idee, Rowohlts Genie? Oder einfach nur die Geschichte selbst? Na, ganz einfach:

Wertung:
15 von 10 Zitronenbaisers für die Übersetzung und
5 von 10 Pferde, die Rosinen in den Weltraum schnipsen für die Geschichte
ergibt summa summarum 3,7 von 5 Hunden, die keine Anrufe entgegennehmen ;-)

SaschaSalamander 02.07.2012, 08.41 | (0/0) Kommentare | PL

Beim ersten Sonnenstrahl 02

minden_sonnenstrahl02_1.JPGZum Inhalt der Geschichte möchte ich nichts mehr schreiben, es handelt sich hier um die Fortsetzung des dreigeteilten Romanes von Inka Loreen Minden, der bald als komplettes Taschenbuch erscheinen wird. Meine Eindrücke über den ersten Teil kann man >hier< nachlesen:

Der erste Teil dient vor allem der Einführung der Charaktere, dem zärtlichen Einstieg in die Liebesgeschichte und dem Aufzeigen der Verwicklungen. Im dritten Teil werden alle Fäden zusammenlaufen, es wird vermutlich einen Showdown geben und - das ist gewiss - ein Happy End. Worauf es hier im zweiten Teil nun ankommt ist die Überleitung von einem zum anderen. Hier besteht in der Regel die größte Gefahr, unnötige Längen einzubauen oder vor lauter Action die Charakterentwicklung zu vergessen. Dieser Fehler ist Inka nicht passiert: Sie hat es wieder einmal wunderbar geschafft, die Elemente aus Handlung, Erotik und Charakteren perfekt auszubalancieren. Keine Längen, keine überladene Story, und gleichzeitig wachsen dem Leser die beiden Protagonisten immer mehr ans Herz. Obwohl der zweite Teil etwas länger ist, empfand ich ihn als ungleich kürzer, konnte mich nur schwer von Zahar und David trennen. Der zweite Teil endet wie von der Autorin angekündigt mit einem heftigen Cliffhanger, aber ich muss zugeben, dass mich diesmal nicht sonderlich ärgert. Dafür weiß ich einfach zu gut, dass alles eine glückliche Wende nehmen wird ;-)

Was mir an der Erotik in diesem Buch besonders gefällt, das ist die Sanftheit. Worte wie "knisternd, prickelnd, heiß" und Co wären hier unangebracht. Ja, natürlich ist es leidenschaftlich. Doch was hier überwiegt sind zwei Seelen, die sich gefunden haben. Der Roman vermittelt das Gefühl des Nach-Hause-Kommens, die angenehme Wärme von Vertrauen und Geborgenheit. Statt zu erklären ein kurzes Zitat: "Sie sprachen kein Wort, endlose Minuten lang, sondern hielten sich an den Händen. Zahar kuschelte sich an Davids Schulter und deckte ihn mit einer Schwinge zu."

Der historische Aspekt ist wie schon im ersten Teil sehr gut recherchiert, und scheinbar  nebenbei fließen spannende Details ein. Für die Geschichte selbst unwichtig, doch genau das verleiht dem Text Leben und Fülle, lässt das Bild der damaligen Zeit greifbar werden.

Der zweite Teil ist wunderschön. Kein Sektprickeln, kein elektrisches Knistern. David und Zahars Liebe ist eine sinnliche, süße, wärmende Tasse Kakao ... 

SaschaSalamander 29.06.2012, 09.20 | (1/0) Kommentare (RSS) | PL

Kämpfe für Dein Leben

graf_kaempfe_1.jpgAUTOREN GRAF UND HIMMELRATH

>Charly Graf< wurde 1951 in Mannheim geboren und wuchs als uneheliches Kind eines US-Soldaten und seiner alleinerziehenden Mutter auf. Von Beginn an war sein Leben geprägt von Ausgrenzung, Gewalterfahrung und Angst, er lernte im wahren Sinne des Wortes "sich durchzuboxen" und auf diese Weise Anerkennung zu gewinnen. Schnell wurde er von profitgierigen Trainern verheizt, rutschte ab in die Kriminalität, rappelte sich wieder auf, stürzte erneut, sein Leben eine einzige Achterbahnfahrt.

>Armin Himmelrath<, Jahrgang 1967, studierte Sozialwissenschaft und Germanistik, arbeitet unter anderem als freier Journalist und erarbeitete nun gemeinsam mit Charly Graf dessen Biographie.


AUFBAU, SPRACHE

Das Buch steigt ein mit einem Ausschnitt aus Grafs aktueller Arbeit mit Kindern, wirft den Leser mitten hinein. Erst danach beginnt die eigentliche Biographie und geht voran bis in die Gegenwart. Ein sehr schöner Rahmen, durch den KÄMPFE FÜR DEIN LEBEN an Struktur gewinnt und die spannende Frage aufwirkt, welche Schritte ihn von damals bis nach heute führten. Während ich bei Biographien auch schon eine recht chaotische Schilderung erleben musste, ist dieses Buch dagegen klar chronologisch aufgebaut. Durch sein ereignisreiches Leben enthält KÄMPFE FÜR DEIN LEBEN sogar einen Spannungsbogen, was in diesem Genre ungewöhnlich ist. Wer bisher nichts von Charly Graf wusste, bekommt eine Geschichte geboten, die kein Autor besser hätte erfinden können. Doch auch für Freunde des Boxsports ist das Buch spannend, es bietet Einblicke in die Welt hinter dem Profiboxer, hinter die Kulissen des Sports.

Dem Schreibstil ist leicht zu folgen, Graf und Himmelrath spielen sich gegenseitig gekonnt den Ball zu. Graf erzählt aus seinem Leben, schildert seine Eindrücke und seine Sicht. Himmelrath (seine Texte heben sich kursiv von denen des Boxers ab) schildert dagegen sachlich die offizielle Seite: wie nahmen die Medien diese einzelnen Stationen wahr. Dadurch bildet sich ein interessanter Kontrast aus dem inneren Erleben und der äußeren Darstellung; sehr gut wird deutlich, wie leicht die Presse einen Sportler nach oben pushen, ihn jedoch auch stürzen kann. Es ist bedrückend zu lesen, wiesehr diese Berichterstattung Graf bedrückte, seinen Lebensweg dadurch auch beeinflusste.

Obgleich Himmelrath Graf unter die Arme griff, mit ihm bzw für ihn schrieb, ist dennoch ein deutlicher Unterschied zwischen der Ich-Erzählung des Boxers und der Schilderung des Journalisten zu erkennen. Grafs Anteil enthält eine deutlich einfachere Sprache, kommt ohne Fachbegriffe aus (erfreulicherweise auch ohne Fachbegriffe des Boxsports, was für Leser wie mich ideal ist), driftet niemals ins Umgangssprachliche, lässt aber dennoch seinen eigenen Stil erkennen.


CHARLY GRAFS LEBEN

Graf berichtet schnörkellos und direkt. Er beschönigt nichts, er verlangt kein Mitleid, kein Verständnis. Er entschuldigt sich auch nicht, schreibt ohne Reue. Sondern er nimmt die Dinge so an, wie sie waren. Er kommt aus der untersten Gesellschaftsschicht, erlebte Diskriminierung, Ausgrenzung. Er klagt niemanden an, obwohl er allen Grund dazu hätte. Die Frankfurter Rundschau schrieb 1971 von seinem "gefährlichen Hang zum Halbwelt-Milieu" und seiner "Trainingsfaulheit", rückblickend meint Graf "damals fand ich, dass die Einschätzung eine bodenlose Frechheit war. Heute weiß ich, da war was Wahres dran".

Bewegt hat mich insbesondere, wie er ohne Scham von seinen Ängsten berichtet. Er wurde von den Liebhabern seiner Mutter geschlagen, einmal sogar hatte er solche Angst vor ihrem Geliebten, dass er die Mutter und den ihm fremden Mann nicht in die Wohnung ließ. Seine Mutter drohte ihm an, dass sie sich unter den Zug legen würde, wenn er die Tür nicht öffnete. Dann ging sie und kam nicht wieder, er suchte sie stundenlang an den Gleisen, bis sie später erst nach Hause kam. Eine kleine Episode, die keiner weiteren Worte bedarf und nichts rechtfertigt, nichts entschuldigt aber Vieles erklärt.


ACHTERBAHN

Geschlagen von den Liebhabern der Mutter, verheizt von egoistischen Trainern, Anerkennung erlebt im Rotlichtmilieu, musste er ins Gefängnis. Nachdem er eine Meuterei anzettelte, wurde er nach Stammheim verlegt, ein Hochsicherheitsgefängnis, wo auch der RAF-Terrorist Peter-Jürgen Boock inhaftiert war. Zwei Menschen, so verschieden wie zwei Menschen nur sein können. Graf trainiert Boocks Körper, und Boock gelingt, was kein Sozialarbeiter bisher vermochte: er zeigt ihm auf, wie wichtig es ist, nicht den Körper sondern auch den Geist zu trainieren. Bildung ist wahre Freiheit, und so beginnt der Boxer zu lesen, von Dostojewski über Faulkner und Hesse.

Doch der Stempel leuchtet auf seiner Stirn: Neger, uneheliches Kind, Benz-Baracken, Zuhälter, Krimineller, Unterschichtler. Es ist faszinierend, auf welch unrechte aber dennoch clevere Weise er dagegen ankämpfte, sich die Möglichkeit erschlicht, aus dem Gefängnis heraus zu trainieren und dann sogar einen Boxkampf zu initiieren. Ein Ding der Unmöglichkeit, doch es gelang ihm, und sosehr ich den Kopf schüttle über die Unverfrorenheit und die Lüge, sosehr bewundere ich insgeheim den Wagemut und die Dreistigkeit dieses Unterfangens. Es ist teilweise absurd zu lesen, mit welchen Mitteln er die Zeit im Gefängnis verbrachte, wie er Dinge zu seinem VOrteil drehte und andere für sich arbeiten ließ. Da wird ein Bordell schnell mal als Hotel deklariert, und ein Inhaftierter sitzt an der Seite des Gefängnisdirektors und trifft Entscheidungen über andere Mitgefangene. Wäre es ein Roman, so würde man ihn abstrafen als unrealistisch, an den Haaren herbeigezogen und völlig hanebüchen, doch was Graf schreibt, ist wahr, und es ist kaum zu glauben.


ARBEIT MIT KINDERN

Charly Graf ist auf jeden Fall ein Sympathieträger, und dieses Charisma ist im Buch deutlich zu spüren. Indem er sich selbst nicht schont, kommt er an Kinder heran, die von Lehrern und Sozialpädagogen bereits aufgegeben wurden. Er versteht die Ängste der Kinder, wie es andere Erwachsene nicht können. Sie fassen vertrauen zu dem Mann, der ohne Scham von seiner eigenen Angst erzählt und davon, dass Gewalt und Kriminalität lediglich Ausdruck der eigenen Hilflosigkeit darstellen. In der Talkshow des NDR sagt er "Aggressivität kommt von Lebensängsten". Um die Aggressivität abzubauen hilft also nicht die "Sozialpädagogenscheiße" (wie er es drastisch in seinem Buch formuliert, was mich schmunzeln ließ. So ungern ich es zugebe, aber als Sozialpädagoge muss ich ihm dennoch zustimmen), sondern die Bewältigung dieser Ängste. Sein Boxtraining ist mehr als nur ein schlagender Sport, es ist ein Wegweiser zu selbstbestimmtem Denken und Handeln, zu einem Leben in Freiheit ohne Angst.

Wäre KÄMPFE FÜR DEIN LEBEN ein Roman, so müsste ich ihm bescheinigen, dass dem Autor eine herausragende Charakterentwicklung voller Intensität und Komplexität gelungen ist. Da es eine Biographie ist, neige ich mein Haupt vor Charly Graf und zolle ihm meinen Respekt. Einmal dafür, wie er vom kriminellen Underdog den Schritt in ein neues Leben wagte, das dennoch geprägt ist von Enttäuschung, Einsamkeit und Armut, aber erfüllt von Stolz und Selbstbewusstsein. Aber vor allem dafür, dass er diese Erfahrungen nun weitergibt an Kinder, die in ihm ein Vorbild sehen. An Kinder, die durch ihn nun eine neue Chance bekommen.

Graf erzählt in knappen Sätzen von einzelnen Kindern, deren Lebenslauf schrecklich ist. "Es gibt Biographien, da habe ich keine Antwort". Wenn auch nur einem dieser Kinder geholfen werden kann, hat er ein Wunder gewirkt, und einige Male ist es ihm bereits gelungen.


FAZIT

KÄMPFE FÜR DEIN LEBEN ist ein Buch, das jeder Leser anders wahrnehmen wird. Biographie eines Sportlers. Das Märchen vom Underdog zum Helden. Die Zeit in Stammheim und die Begegnung mit Broock. Die Kriminalität im Rotlichtmilieu und der Ausstieg aus der Szene. Oder einfach nur ein packender Lebenslauf. Doch egal, aus welchem Grund man das Buch liest - es lässt niemanden kalt.

SaschaSalamander 28.06.2012, 09.09 | (0/0) Kommentare | PL

Klassentreffen

meerling_klassentreffen_1.jpgJedes Jahr konnte Christoph sich vor dem Klassentreffen drücken, doch diesmal lässt Nina nicht locker. Widerwillig geht er auf diese Veranstaltung und trifft - Benny! Sie erinnern sich an alte Zeiten, die erste Begegnung, den ersten Kuss, und sie beschließen sich vor aller Augen zu outen und endlich zu ihrer Liebe zu stehen.

Die Geschichte ist knapp und direkt, im Präsens und der ersten Person geschrieben. Mit der Inhaltsangabe ist im Grunde schon alles erzählt, die Handlung wird in sinnliche Worte verpackt und bereitet ein kurzes aber durchaus lustvolles Vergnügen. Was mir besonders gefiel war das Outing vor den Klassenkameraden. Klar hatte man das ausbauen können, aber darum ging es eigentlich nicht, und mir genügte allein der Gedanke, ich konnte mir die Reaktionen voller Möchtegern-Toleranz (Zitat Christoph) sehr gut vorstellen.

Glatt, vorhersehbar, romantisch und ohne Verwicklungen, einfach eine perfekte kleine Wohlfühlstory :-)

Wertung: 8,5 von 10 heimliche Jugendlieben

SaschaSalamander 27.06.2012, 12.53 | (0/0) Kommentare | PL

Sie sind ein schlechter Mensch, Mr Gum

INHALT

Mr Gum ist ein alter Ekelbatzen, fies und gemein. Alles an ihm und um ihn herum strotzt vor Hässlichkeit, nur sein Garten ist wunderschön. Denn in Mr Gums Badewanne lebt eine Fee, die täglich den Garten kontrolliert und Mr Gum zur Strafe mit der Bratpfanne verdrischt. Eines Tages kommt Jakob der Hund und beginnt regelmässig das Grün zu verwüsten, also muss Mr Gum zur Tat schreiten. zu einer fiesen, gemeinen Tat. Die kleine Polly möchte Jakob retten, aber was kann ein kleines Mädchen alleine schon gegen diesen Fiesling tun?


NONSENS

Um das Buch zu beschreiben, möchte ich vorab erklären, dass es sich um Nonsense-Literatur handelt. Ich liebe dieses Genre, leider gibt es viel zu wenige intelligente Bücher dieser Art, allen voran ALICE IM WUNDERLAND von Lewis Carroll, gegenwärtig denke ich z.B. an die EDDIE DICKENS Trilogie von Philipp Ardagh oder OTTOLINE von Chris Riddell. Diese Werke zeichnen sich unter anderen dadurch aus, dass es eben non-sense ist, also keinen Sinn ergibt. Der Autor schreibt unlogische Dialoge, erfindet neue Wörter, zieht unpassende Vergleiche aus dem Hut und widerspricht sich sogar selbst. Warum? Was der Sinn davon ist? Nein, zu sagen "das macht keinen Sinn" wäre unpassend. Indem der Autor den Dingen ihren gewohnen Sinn entzieht, wird die Phantasie angeregt, rein passiver Konsum ist kaum möglich, man ist zum Mit- und Umdenken gezwungen. Wie reich der Mensch, der sich vom Erwarteten lösen kann und an das Unmögliche glaubt



AUFBAU

Zurück zu Mr. Gum. Es ist schwer, etwas an diesem Buch konkret zu benennen, denn dazu müsste es ja einen vergleichbaren Sinn ergeben. So ist also auch der Handlungaufbau schwer zu beschreiben. Der Autor hält sich nicht mit wichtigen Details auf, bewahre! Er verliert sich in seinen Ausschweifungen und Belanglosigkeiten, und trotzdem gelingt es ihm irgendwie, die Handlung voranzutreiben und eine Art Showdown zu gestalten. Abzusehen ist das Ende lediglich insofern, als ein Kinderbuch in der Regel positiv endet, doch ansonsten kann sich der Leser auf jede Menge Überraschungen gefasst machen. Und wenn das Buch vorbei ist, wird auf mehreren Seiten angekündigt, dass keinesfalls eine Bonusgeschichte folgen wird, die am Ende natürlich dennoch folgt.


CHARAKTERE

Auch die Charaktere sind abstrus. Etwa ein Mädchen namens Peter. Friday O Leary, der am Ende des Satzes immer sagt "die Wahrheit ist ein Zitronenbaiser". Die Fee mit der Bratpfanne. Der Geist des Regenbogens. Ganz zu schweigen von dem Mädchen namens "Jammy Grammy Lammy F´Huppa F´Huppa Berlin Stereo Eo Eo Lebb C´Yepp Nermonica Le Straypek De Crespin De Crespin De Spespin De Vespin Die Schupp die Wupp de Brönckel Frohe Weihnachten Lenoir" (Freunde dürfen sie Polly nennen, deswegen ist jeder gerne mit ihr befreundet). So wunderlich sie alle sein mögen, eines ist gewiss - gut ist überaus gut, und böse ist böse. So böse, dass es keine Zauberschokolade isst aber dafür Popel.


ZEICHNUNGEN / BUCHGESTALTUNG

Die Reihe um Mr Gum spielt mit Sprache, Sprache wird jedoch auch als optisches Mittel genutzt. Daher hält sich die deutsche Gestaltung nahezu identisch an das Original von Stanton. Die Seite ist nur zu einem knappen Drittel mit Sätzen gefüllt, manchmal bleibt dieser Platz frei, häufig bietet er Raum für Zeichnungen oder hervorgehobene Wörter, die in zigfach vergrößerter Schrift und anderem Schriftsatz (teils wie von Hand gekrakelt) zu lesen sind. Gelegentlich werden Lieder nicht auf Zeilen sondern in Wellenlinien geschrieben. Zudem sind die Seiten des Buches nicht weiß sondern mit grauen Flecken übersät. Einige Male erwischte ich mich dabei, wie ich in Gedanken über die Seiten strich, um den vermeintlichen Staub abzuwischen.

Die Zeichnungen sind witzige Kritzeleien, immer passend zum Inhalt des Buches. Für die deutsche Version wurden einige Dinge geändert, da die Bilder häufig Worte enthalten (etwa die Beschriftung der Milchflaschen, das Städteschild am Bahnhof etc). Tazzyman verleiht der Geschichte eine weitere witzige Note, die die Bücher zu etwas ganz Besonderem macht.


SPRACHE / ÜBERSETZUNG

Übersetzen ist eine Kunst für sich. Doch wie soll man etwas übersetzen, das aus Wortschöpfungen, Wortspielen und ungewöhnlichen Satzkonstellationen besteht? Ich war gespannt auf die Umsetzung und habe mir deswegen sowohl die englische als auch die deutsche Ausgabe gekauft, um diese miteinander zu vergleichen. Und ich bin begeistert:

Harry Rowohlt ist dieses Kunststück hervorragend gelungen, er hat die Eigenheiten Stantons aufgefangen und mit seinem ihm eigenen Stil ins Deutsche übertragen, ohne den Grundton des Buches zu verändern. Manches Mal musste er dafür Sätze umstellen. Einige Wortwitze fielen leider unter den Tisch, dafür hat er an passenden Momenten eigene Feinheiten eingebaut, die widerum in der englischen Sprache nicht möglich gewesen wären. Auch er kreiert Wortneuschöpfungen, wendet Lautmalerei an und spielt mit der Sprache. Zudem verwendet Rowohlt gerne alte, teils fast ausgestorbene Worte udn spielt mit ihnen, was dem Text einen ganz eigenen Reiz verleiht. So wird aus "fürbass" (vorwärts, voran) das Verb "fürbasseln" (vorwärtsgehen). Auch begegnet man so herrlich seltenen Wörtern wie "kabolzen" oder "schlumpeln", für Sprachfreunde sind Rowohlts Übersetzungen wie üblich ein Festmahl.

Sowohl im Englischen wie auch im Deutschen sprudelt der Text über von kreativen Ideen, und MR GUM ist eines der wenigen Bücher, bei denen die Entscheidung "Original oder doch lieber Übersetzung" viel zu schwer fällt.


ZIELGRUPPE

MR GUM ist ganz klar ein Kinderbuch und kann bedenkenlos auch vorgelesen werden. Und trotzdem ist es auch ein Buch für die Großen, denn hier können Alt und Jung gemeinsam lachen. Die Kinder über so schräge Vorstellungen wie eine Fee, die mit ihrer Bratpfanne in der Badewanne lebt, Erwachsene über das kongeniale Sprachgenie von Stanton und Rowohlt. Außerdem - wer geistig jung bleiben will, der macht es wie die Herzogin aus ALICE IM WUNDERLAND: "ich denke schon vor dem Frühstück an sechs unmögliche Dinge". Das Buch ist einfach für alle geeignet, die Spaß haben an folgenden Sätzen:

Jakob war eins dieser großartigen Tiere, die weder Furch noch Zögern noch das Rezept für Rühreier kannten. (S. 110)

Er kratzte nachdenklich seinen Bart, nicht den Bart, der auf seinem Kinn wuchs, sondern einen Ersatzbart, der an der Wand wuchs und den er von Zeit zu Zeit zum Kratzen benutzte. (S. 56)

Die Raupen waren so froh, ihn zu sehen, dass sie sofort zu Schmetterlingen metamorphosierten. Eine der Raupen war sogar so froh, dass sie zu einem Esel metamorphosierte. Die Maulwürfe quiekten, und die Schmetterlinge brüllten vor Vergüngen. (S. 113)

Er tanzte einen grausamen Freudentanz wie ein gehässiges Flaschenteufelchen, welches am 1. Weihnachtstag auf alle Geschenke gerotzt hatte. (S. 86)

Mr. Gum hatte keine Zeit, kurz herinzuschauen [...]. Er hatte wichtigere Igel zu kämmen. (S. 78)


FAZIT

MR GUM strotzt nur so vor Einfallsreichtum und Lebensfreude, und niemand hätte das Buch besser übersetzen können als Harry Rowohlt. Wer sich davon also nicht begeistern lässt, ist selbst schuld ;-)

Wertung: 127,538 von 12,539 Schmetterlingen, die triumphierend ihre kleinen Fäuste in den Himmel recken

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SaschaSalamander 27.06.2012, 09.18 | (0/0) Kommentare | PL

Lustpunkte

minden_lustpunkte_1.jpgWer regelmässig bei mir liest, dürfte inzwischen gemerkt haben, dass ich zu ihren Fans zähle und mich sofort auf all ihre Titel stürze. Sei es als Lucy Palmer (bevorzugt hetero-Erotik soft oder mit SM-Anteil), Loreen Ravenscroft (Jugend, Dystopie) oder eben als Inka (nicht nur aber vor allem Gay, gerne als Thriller oder historisch). Ihr neuester Titel ist nun ein Buch, das ich im Grunde schon besitze, das ich aber unbedingt im Regal haben muss. Denn:

LUSTPUNKTE ist eine Sammlung von Kurzgeschichten, die jeweils einzeln als Ebook erhältlich waren. Nun gibt es natürlich Leser, die keinen Reader haben. Und Leser wie mich, die zwar gerne elektronisch lesen aber doch das Printmedium bevorzugen. So ein schickees Buch im Regal ist einfach schöner als ein paar 0 und 1 und Bits und Bytes auf der Festplatte.

Da ich die einzelnen Geschichten schon weitgehend vorgestellt habe, kann ich das Buch kaum rezensieren. Trotzdem, ich kann die Geschichten kurz vorstellen und ggf auch innerhalb meines Blogs verlinken. Ansonsten ist zu bemerken, dass Inka zwar meistens homoerotische Geschichten schreibt, in LUSTPUNKTE finden sich allerdings die wenigen "klassischen" Stories. Außerdem gefällt mir die Vielfalt: von Doktorspielen über Historisches, ab in den Wilden Westen, dazu Dämonen, Baustelle, immer lässt sich Inka etwas Neues einfallen.


>DOKTORLUDER<
Ein Arzt führt mit seiner Mitarbeiterin einige "Experimente" durch. Die Geschichte ist in ihrer Sichtweise etwas männlicher gehalten und dadurch eine interessante Abwechslung zu Inkas ansonsten eher femininer Schreibweise.


GELIEBTER FEIND
Claire und Justin sind von Kind an befreundet, später verliebt. Doch ihre Familien sind verfeindet. Als Erwachsene begegnen sie sich wieder, Claire ist bereits verheiratet. Niemals dürften sie sich ihre Liebe gestehen. Ich bin sehr angetan. Historischer Hintergrund, eine vermeintlich unmögliche Liebe, sanfte Verführung und unausgesprochene Gefühle - wunderschön, romantisch und seeeeehr erotisch :-)


>WILDES BEGEHREN<
Trish interessiert sich für ihren Chef, dieser allerdings würdigt sie keines Blickes, zumindest bis zu dem Tag, als sie überfallen wird. Eine eher einfach gestrickte Story, die mir sehr gut gefiel. Das Ende ist süß, und ich mag es, wenn eine Geschichte mich zum Lächeln bringt.


DAS PRAKTIKUM DER LÜSTE
Antonia soll ein Praktikum auf der Baustelle des Vaters machen. Sie hat keine Lust auf die Arbeit, doch einer der Mitarbeiter weckt andere Lüste in ihr. Habe ich gelesen, jedoch nicht rezensiert. Mein Geschmack war sie nicht, die Meinung der anderen Leser allerdings ist begeistert, das Buch stand lange Zeit auf Platz 3 der Bestseller in der Kategorie Kindle-Erotik.


>DÄMONENBRAUT<
Ryan hat einen ungewöhnlich heißen Traum um eine dämonische Domina. Als er im Büro erscheint, erlebt er allerdings eine Überraschung. Diese Geschichte fand ich spannend, denn der Handlungsverlauf bietet eine außergewöhnliche Wende, mit der ich nicht gerechnet hatte im Rahmen einer Kurzgeschichte. Ryan hätte einen eigenen Roman verdient.


WIE DU MIR
Was sich liebt, das neckt sich. Doch Fredericks Neckerei ist verletzend, Ulrike ist sauer und will sich an ihm rächen. Aus Rache wird Lust, aus Lust wird Liebe. Die Leser haben entschieden: Amazon Jahresbestseller 2011 im Bereich Kindle-Erotik :-)


>RANCHERHERZEN<
Saloongirl Shelley ist das Geburtstagsgeschenk für Brad. Brad will das Geschenk gemeinsam mit seinem Bruder Jimmy genießen. Dieser hat allerdings nur Augen für die hübsche Indianerfrau Ayashe. Eine Story, die neben einem Dreier etwas Bondage bietet und auch sonst sehr abwechslungsreich ist.

9 von 10 Wildkätzchen

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SaschaSalamander 26.06.2012, 08.41 | (0/0) Kommentare | PL

Schweig still, süßer Mund

INHALT

Jana und Ella sind seit Kindertagen unzertrennliche Freundinnen, keine würde einen Schritt ohne die andere tun. Und dann, eines Tages, ist Ella einfach verschwunden. Sie hat ihre Termine nicht abgesagt, erscheint nicht zur Theaterprobe und ist kurz vor der letzten Abiprüfung weg, einfach weg. Doch da Ella bereits 18 ist, gilt sie nicht mehr als Jugendliche, und die Polizei sieht keine Notwendigkeit, eine Suchaktion ins Leben zu rufen. Also beginnt Jana mit ihren Freunden auf eigene Faust zu ermitteln. Doch je mehr sie über Ella zu erfahren versucht, desto mehr erkennt sie, dass ihre Freundin Geheimnisse vor ihr hatte. Je mehr sie herausfindet, desto größer werden ihre Zweifel, ob sie überhaupt das Richtige tut. Gleichzeitig kommt sie dem Täter immer näher und bringt sich damit selbst in Gefahr.


CHARAKTERE

Jana als Protagonistin ist gut ausgearbeitet. Das Buch ist in großen Teilen in der personalen Sichtweise verfasst, und gerade Jugendliche Leser werden schnell Zugang zu ihr finden. Stets erhält sie unterschiedliche Signale von Freunden, der Polizei, ihrer Familie, und immer wieder muss sie entscheiden, ob sie auf ihre Umwelt hört oder ihre innere Stimme. Dieser Zwiespalt trägt einen Teil der Spannung des Buches und ist gelungen umgesetzt.

Andere Charaktere werden aus Sicht Janas erlebt, sodass ihre Motive unklar bleiben. Viele sind im Laufe der Handlung verdächtig, niemandem kann man trauen. Auch Janas Familie wird eher am Rand behandelt. Lediglich die große Schwester bekommt eine wichtige Rolle, die jedoch lange Zeit ebenfalls unklar bleibt, die Mutter als mahnende Instanz und moralisches Gegengewicht zu Janas innerer, impulsiver Stimme.

Auch in die Sicht des Opfers (hier aus Spoilergründen keine Information) wie auch des Täters gewinnt man einen Einblick. Bald fragt man sich, ob es sich wirklich um eine Straftat handelt und was tatsächlich vorgefallen sein könnte. Entführung? Mord? Lösegelderpressung? Rache? Ein Unfall? Ein Missverständnis?


SPRACHE

Die Sprache und Erzählperspektiven machen das Buch abwechslungsreich, insgesamt liest sich SCHWEIG STILL, SÜßER MUND flüssig und direkt. Der Großteil ist aus Janas personaler Sicht geschrieben. Den Täter liest man als ich-Erzähler. In die Erlebniswelt des Opfers hat man zu Beginn wenig Einblick, der Stil wird immer intensiver, je näher Jana der tatsächlichen Lösung kommt. Dazu gibt es die Emails, die Jana an Ella schickt: Jana ist sich unsicher, ob sie das Richtige tut, und um Ella im schlimmsten Falle ihr Verhalten später zu erklären, schreibt sie diese Mails, rechtfertigt sich für ihr impulsives und nach außen hin unvernüftiges Verhalten. Der Sprachstil hier ist umgangssprachlich und passend für eine 17jährige. Gelegentlich schreibt Jana auch ein Mail an ihren Vater, diese sind in anderem Tonfall gehalten. Auch die Antwort des Vaters sowie einzelne Mails von möglichen Zeugen als Reaktion auf die Internetsuchaktion sind alle in eigener Sprache verfasst. Dadurch hebt sich das Buch für mich aus dem Einheitsbrei der Jungmädchenliteratur deutlich ab, die Autorin bringt Abwechslung in das Geschehen und vermittelt einen netten kleinen Einblick in ihre Schreibkünste.


AUFBAU, GENRE

Es braucht ein wenig, bis das Buch in die Gänge kommt. Da es sich um einen Thriller handelt, weiß der Leser natürlich, dass mehr hinter Ellas Verschwinden steckt, doch außer Jana sieht anfangs niemand wirklich einen Grund zur Sorge. Eine Wende kommt in dem Moment, als Jana über die ersten Ungereimtheiten stolpert und erkennt, dass sie vieles über ihre vermeintlich beste Freundin nicht wusste.

Immer mehr Puzzleteile erhält der Leser von Tag zu Tag (die Kapitel sind in Tage gegliedert), Jana leistet Detektivarbeit, sie forscht nach Hintergründen, befragt Betroffene, sucht Schauplätze auf, die Autorin hat die Möglichkeiten einer 17jährigen nachvollziehbar und glaubwürdig geschildert. Durch die unterschiedlichen Erzählperspektiven erfährt der Leser mehr, als Jana selbst weiß. Während sie also von Selbstzweifeln geplagt wird, weiß der Leser um die drohende Gefahr. Dennoch erfährt der Leser nur Bruchstücke, sodass oft die Frage auftaucht, ob Janas Handeln hilfreich ist oder für sich und das Opfer alles noch schlimmer macht.

Janet Clark legt viele falschen Fährten. Erfahrene Bücherwürmer ahnen schnell, wer der Täter ist, noch bevor dies aus seiner Erzählperspektive ersichtlich ist. Trotzdem ist die Geschichte clever aufgebaut und bietet ebenso Hinweise wie auch Tricks. Es ist erkennbar, dass die Autorin ausführlich geplottet hat, denn oft fallen Andeutungen, die später aufgegriffen werden, Nebensätze vom Anfang des Buches gewinnen an Bedeutung, der rote Faden ist klar erkennbar. Mir fielen trotz der vielen Stränge keine Fäden auf, die ins Leere führten.

Einen geschickten Schachzug finde ich auch, dass dem Leser die Gefahr umso bewusster wird, je mehr Jana an sich selbst zweifelt und ihre Aktivitäten zurückschraubt, sich auf andere Dinge konzentriert. Man möchte fast ihr fast zurufen, selbst eingreifen und ihr Mut zusprechen.

Trotzdem würde ich das Buch nicht als Thriller verkaufen. Gut, "Thriller" vermarktet sich vielleicht besser, aber es ist eine Irreführung. Ich empfinde SCHWEIG STILL, SÜßER MUND eher als Krimi, da der Schwerpunkt weniger auf der Bedrohung und Spannung als vielmehr der Ermittlung und Tätersuche sowie der Ausarbeitung Janas liegt. Jana erlebt eine Entwicklung in diesem Roman, sie wird von ihrer heilen Kinderwelt plötzlich in die harte Realität geworfen: ihr unbedachtes Handeln hat strafrechtliche Konsequenzen, sie muss existenzielle Entscheidungen fällen auch gegen den Willen ihre Familie, sie zweifelt an bis dahin grundlegenden Werten wie Freundschaft, Familie und Loyalität, ihre Welt gerät ins Wanken. Für wen Thriller gleichbedeutend sind mit Blut, Gewalt und stetiger Gefahr für Leib und Leben, der könnte enttäuscht sein. Wer aber die oben genannten Aspekte als spannend empfindet und sich begeistert auf die einzelnen Puzzleteile stürzt, wird das Buch lieben.


THEMEN

Freundschaft, Familie, Loyalität, erste Liebe, geschiedene Eltern, das sind die Dinge, die Jana beschäftigen und die somit auch einen Teil des Buches ausmachen. Doch In SCHWEIG STILL, SÜßER MUND werden noch weitere Themen angeschnitten, die besonders für Jugendliche aktuell und allgegenwärtig sind. Ein großes Thema möchte ich nicht konkretisieren, da es zum Tatmotiv hinführt. Es ist auf jeden Fall sehr schön herausgearbeitet, wie wenig Gedanken sich die Menschen machen über die Hintergründe, und wie schnell einzelne Personen aufgrund (Spoiler) verurteilt werden.

Insgesamt hervorgehoben ist auch die Bedeutung der Medien. Die Jugendlichen nutzen eine Homepage sowie verschiedene soziale Netzwerke für die Suche nach ihrer Freundin. Wertfrei werden dabei die Vorteile aufgezeigt, aber auch die Risiken und Probleme. Gerade der lässige Umgang mit dem Internet wird thematisiert. Die Autorin zeigt auf, was ein Mensch von sich alles unbedacht preisgibt, aber auch, wie die Presse und die öffentliche Meinung einen Sachverhalt verfälschen können. Jana trat, als sie die Polizei zur Suche nach Ella bewegte, eine Lawine los, mit der sie nicht gerechnet hatte, die Konsequenzen hieraus werden sehr schön ausgeführt.

Interessant finde ich auch die ethische Frage, was am Ende zählt: das Ergebnis der Tat oder deren Beweggrund. Sowohl bei Jana wie auch dem Täter wird diese Frage immer wieder gestellt. Die Antwort hierauf muss der Leser für sich selbst finden.

Es wird außerdem sehr schön dargestellt, wie leicht man einem fremden Menschen vertrauen kann. Verbrechen ist nicht schwarz-weiß, und jeder könnte der Täter sein. Sollte Jana deswegen alle Menschen meiden, sich verbarrikadieren und niemanden mehr an sich heranlassen? Aber wie kann sie auf der anderen Seite jemandem vertrauen, wenn sie doch weiß, dass der Täter jemand sein muss, dem Ella vertraute? Auch dies ist eine Frage, die nicht beantwortet wird.


ETWAS KRITIK

Ein paar Kleinigkeiten möchte ich, so begeistert ich insgesamt von dem Buch bin, dennoch anmerken. Besonders das Ende war sehr dramatisch, es kam alles geballt, und ich muss ehrlich sagen, dass ich nicht ganz einverstanden war mit dem Schluss. Ich verstehe die Botschaft dahinter, doch ich stehe dem sehr skeptisch gegenüber. Gerne würde ich näher darauf eingehen, aber es versteht sich, dass das nicht möglich ist

Ebenso die Frage, ob die Autorin nicht ein wenig übertrieben hat mit der Vorgeschichte einiger Charaktere. Über das Buch verteilt in Ordnung, doch hier ballt sich alles in den letzten wenigen Seiten, sodass es für mich etwas übersteuert wirkt. Es ist durchaus realistisch, und auch die Motive kann ich nachempfinden, trotzdem etwas zuviel des Guten.

Stellenweise hatte das Buch ein paar Längen. Die Treffen mit den Freunden, die Ermittlungsarbeit, ihre Selbstzweifel, die Gespräche mit der Schwester, das wurde sehr gut herausgearbeitet, mancherorts etwas zu gut, zu ausführlich. Etwa 50 Seiten hätte man das Buch gerne kürzen dürfen, ohne dass es an Substanz und Inhalt verloren hätte.

Etwas, wofür die Autorin nichts kann: die Vermarktung des Buches ist ziemlich daneben. die rosa Blumen auf dem Cover und der Titel lassen auf ein reines Mädchenbuch schließen (der Titel weniger in der Aussage als vielmehr in der Wahl seiner Worte und den hervorgerufenen Assoziationen). Das ist etwas, was viele ältere Leser sowie das männliche Publikum abschreckt, obwohl durchaus Erwachsene und auch junge Männer Gefallen an SCHWEIG STILL, SÜßER MUND finden werden. Auch die Klassifizierung als Thriller weckt Erwartungen beim Publikum, denen das Buch nicht gerecht werden kann. Es ist ein hervorragender Krimi und ein sehr schöner Einblick in Janas Entwicklung, jedoch kein Thriller. Sowohl die erwartete Romantik (Blümchen, "süß") als auch der Thrill bleiben aus. Das Buch ist hervorragend, allerdings etwas komplett anderes als erwartet.


FAZIT

SCHWEIG STILL, SÜßER MUND ist ein unterhaltsamer Jugendkrimi, der sich im Aufbau sowie der Klarheit und Aktualität seiner Themen deutlich aus der Masse der derzeitigen Jugendliteratur abhebt. Das Buch liest sich schnell, und oft wird der Leser angeregt, sein eigenes Verhalten zu hinterfragen. Der Inhalt des Romans lässt sich gut auf den Alltag übertragen. Ein Buch, das ich sowohl jüngeren Jungendlichen wie auch Erwachsenen bedenkenlos empfehlen kann.

SaschaSalamander 19.06.2012, 17.06 | (0/0) Kommentare | PL

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