SaschaSalamander

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Thema: Rezensionen Buch

Getrieben

altmann_getrieben_1_1_1.jpgAUTOR

Ende letzten Jahres lernte ich den Autor >Andreas Altmann< in seinem damals neuen Werk >DAS SCHEIßLEBEN MEINES VATERS< kennen, habe hier und da Beiträge und Artikel von ihm gelesen, auch das Buch >TRIFFST DU BUDDHA, TÖTE IHN< hat mich sehr angesprochen. Inzwischen liegen weitere Bücher von ihm in meinem Regal und warten auf mich. Sogar eine >Lesung< mit ihm durfte ich besuchen, die mir sehr dabei half, einen Zugang zu diesem doch recht ungewöhnlichen Schriftsteller zu gewinnen.

Seine Biographie hier zusammenzufassen würde den Rahmen sprengen, Altmann spricht am besten für sich selbst, man lernt ihn über seine Bücher kennen. Durch seinen schonungslos offenen Stil gewährt er dem Leser nicht nur Einblick in fremde Länder und neue Erfahrungen, sondern auch in seine Gedankenwelt, sein Innerstes. Das Lesen eines seiner Bücher ist eine Begegnung mit dem Menschen Altmann und eine berauschende Erfahrung.

Der >Solibro-Verlag< hat sein Werk >GETRIEBEN< von 2005 zu meiner großen Freude neu aufgelegt und sich zur Vertreitung des Titels auch an einer Aktion bei >BloggDeinBuch< beteiligt. Daher freue ich mich, nun auch dieses Buch in den Händen zu halten und Euch vorzustellen.


INHALT, AUFBAU

In GETRIEBEN lässt Altmann den Leser an den unterschiedlichsten Erfahrungen teilhaben. Er gibt Schreibtipps, erzählt von Potenzproblemen, Versicherungsbetrug, homosexuellen Selbstversuchen, vielfachem Diebstahl, dem Reiz unerreichbarer Sehnsucht und der für ihn nicht erfüllenden greifbaren Liebe, singt ein Loblied auf die deutsche Sprache, wettert in auszugsweise veröffentlichten Briefen gegen Redakteure. Manche seiner Texte sind gerade einmal drei Seiten lang, andere dreißig. Zwar sind die Erzählungen inhaltlich grob strukturiert, dennoch passen viele seiner Beiträge auch in andere Kategorien, es gibt keinen konsequenten roten Faden abgesehen von dem steten Drang nach Erfüllung. Wer Altmann als Reiseschriftsteller schätzt und ausschließlich von fernen Ländern lesen möchte, der wird hier enttäuscht werden, von Reisen erzählt er hier kaum. Dieses Buch richtet sich vielmehr an Menschen, die das Leben ausschöpfen wollen. Wofür anderen der Mut fehlt - Altmann riskiert, lebt und teilt es. Durch ihn kann der Leser neue Erkenntnisse sammeln und über Dinge staunen, über die andere nur hinter vorgehaltener Hand sprechen. Tabulos und direkt, ungeachtet der Moral unzähliger Gutmenschen. Er kostet das Leben aus, ist getrieben vom Kick nach Neuem, nach Abenteuer und Freiheit, und davon handeln seine Worte.


SPRACHE, STIL

Wie auch im Leben vermeidet er in seinem Schreiben das Gewöhnliche. Seine Sätze empfinde ich als Erotik, als Lust, und wie diese sind sie schmeichelnd, lüstern, zärtlich, verheißungsvoll, abwechslungsreich, manchmal auch dreckig, wild, ungestüm, verdorben, grenzüberschreitend, provokant. Altmanns Sprache ist Tango mit der  Geliebten, durchdrungen von Feuer und Leidenschaft. Doch anders als viele Autoren ist er dabei nicht vulgär, sondern setzt den verbalen Dirty Talk als Stilmittel ein, um seine Aussagen zu betonen und den Leser ganz persönlich zu treffen. Er öffnet sich, gibt sich exhibitionistisch, und er erwartet vom Leser ebensolche persönliche Beteiligung, buhlt um seine Aufmerksamkeit.

Für mich sind Bücher gut, wenn sie mindestens unterhalten oder bereichern. Altmann gelingt beides. Ich teile seine Meinungen nicht, würde selbst oft anders halten und kann viele seiner Taten nicht gutheißen. Doch gerade deswegen liebe ich seine Bücher: weil sie mir eine neue Denkweise aufzeigen, weil sie mich über meinen Horizont hinaustragen und mir seine Welt zeigen, die so völlig anders ist als meine.


FAZIT

GETRIEBEN ist das Portrait eines rastlosen Mannes, es ist die Gier nach der Fülle des Lebens. Ich könnte Altmanns Buch nicht besser zusammenfassen als er es mit einem Zitat von André Gide selbst sagte: "Ich will dabei sein, und koste es das Leben".

Wertung: entfällt, da ich mir nicht anmaße, die intimen Gedanken eines Menschen zu beurteilen, gleich in welcher Form sie dargeboten werden.

SaschaSalamander 30.10.2012, 09.17 | (1/1) Kommentare (RSS) | PL

Ihr unschuldiges Herz

INHALT

Staatsanwältin Inga Jäger ist neu und gerät gleich am ersten Arbeitstag mit Hauptkommissar Gebert aneinander. Doch um den Fall zu lösen, müssen sie sich zusammenfinden und miteinander arbeiten: eine Frau wurde brutal ermordet, nach dem Tod ihr Herz aus dem Brustkorb geschnitten. Der Ehemann ist verdächtig, doch im Zuge der Ermittlung findet Inga Jäger heraus, dass im Abstand von jeweils 13 Jahre immer wieder Frauen auf exakt die gleiche Weise an genau dieser Stelle getötet wurden ...


CHARAKTERE

Inga Jäger und Kai Gebert werden intensiv geschildert. Der Leser erfährt sehr viel über die Beweggründe der beiden, und es macht Spaß sie in ihrem Alltag zu beobachten. Beide wuchsen mir rasch ans Herz, besonders Gebert mit seiner manchmal etwas grob-unbeholfenen Art war mir sympathisch. Ich finde, der Autor hat ein gutes Gleichgewicht geschaffen: nicht überpsychologisiert wie gerade in den nordischen Krimis, aber auch nicht so plump und klischeebeladen wie manche deutschen Regionalkrimis. Ein perfektes Mittelmaß, um einerseits Raum für eigene Interpretation zu lassen und dennoch vielschichtige und gut durchdachte Figuren zu präsentieren.

Es gibt weitere Nebencharaktere, denen man im Laufe der hoffentlich folgenden Bücher begegnen wird: Inga Jägers Tochter, ihre Sekretärin, die Wissenschaftlerin Elli Falkenstein und Geberts Gehilfin "die Otto". Auch sie wurden mit Liebe zum Detail erdacht. Die fallbezogenen Figuren (Verdächtige, Angehörige etc) passen gut in die Geschichte und haben entsprechend interessante Lebensläufe, die nach und nach offengelegt werden.

Zugegeben, eigentlich sind Ermittler in Krimis Charaktere, mit denen ich mich selten verbunden fühle und denen ich wenig abgewinnen kann. Dies ist tatsächlich einer der wenigen Titel, wo ich sie dagegen richtig mochte. Vielleicht lag es an ihrer Darstellung. Oder vielleicht verbindet mich einfach, dass die beiden genauso leidenschaftlich wie ich kochen und backen und dies teilweise sehr ausführlich und herzlich beschrieben wird? ;-)


SPRACHE

Die Sprache ist in diesem Buch etwas, an das ich mich herantasten musste. Die ersten zwei, drei Kapitel fielen mir etwas schwer, die Sätze waren teilweise recht sperrig. So gibt es zu Beginn gelegentlich einmal Konstrukte über 8 oder 9 Zeilen mit mehreren Einschüben und Nebensätzen, die das flüssige Lesen etwas erschwerten. Dies legt sich aber sehr schnell. Teils, weil der Autor seinen Text bald darauf fließender formuliert, teils weil man sich an diesen Stil gewöhnt und nun locker über die Seiten fliegt.

Ebenfalls auffällig ist, dass Ivo Pala immer wieder sein recherchiertes Wissen einbringt. Zu Beginn vieler Kapitel finden sich kurze Passagen, die nicht aus Sicht eines der Ermittler geschrieben sind sondern allgemeine Aussagen über die Location oder Einrichtung geben, etwa das Gefängnis, die Staatsanwaltschaft, das Forensische Institut, die psychiatrische Klinik und viele andere.

Von den ersten kleinen Schwierigkeiten abgesehen liest sich das Buch äußerst flüssig. Man merkt, dass der Autor Übung im Schreiben hat und weiß, wie er seine Leser packen kann. Ich habe IHR UNSCHULDIGES HERZ abends gelesen und konnte es nicht beiseite legen, bin wieder einmal sehr viel später ins Bett als geplant (was nur wenige Bücher bei mir schaffen).


AUFBAU, TEMPO

Der Prolog ist ziemlich brutal, blutig und temporeich, der Leser wird sofort mitten in den grausamen Mord katapultiert, bereits der erste Satz lässt erschrocken die Luft anhalten. Doch zur Entwarnung für alle, die lieber Handlung als Gewalt lesen: damit hat es sich auch schon an brutaler Darstellung erschöpft. Ivo Pala schließt sich nicht den deutschen Bestsellern an, die sich gegenseitig mit Gräueltaten übertrumpfen. Er wendet seine Energie lieber auf die Ermittlungsarbeit, die Charaktere und ganz besonders das Gewicht des Themas (was das Thema des Buches, also das Motiv für die Morde ist, möchte ich hier jedoch nicht spoilern).

Nach dem Einstieg werden die Charaktere vorgestellt, treten in Interaktion, erste Verdächtige werden verhört, der Leser tappt ebenso wie Jäger und Gebert im Dunkel. Bald kommen mehr Informationen hinzu, die Handlung verdichtet sich. Das Tempo ist angenehm ausbalanciert, ruhigere Szenen wechseln sich mit spontanen und handlungsreichen Momenten ab.

Etwas nach der Hälfte häufen sich die Hinweise, die Richtung wird immer geradliniger, und bald ist klar, worauf der Autor hinauswill. Ein sehr schweres Thema, dem er sich gewidmet hat und das er mit entsprechender Ernsthaftigkeit darstellt. Noch bevor dies klar war, habe ich bereits im Internet nach einer Szene des Buches im Internet gesucht, um für mich selbst den Wahrheitsgehalt des Buches zu überprüfen, dadurch hatte ich mir einen Teil der Spannung genommen und wusste nun also bereits, auf was es hinauslaufen würde. Also ein Tipp für alle, die keine Spoiler wünschen: besser nicht googeln, erst nach der Lektüre ;-)

Zum Schluss wartet das Buch mit einem gewaltigen Showdown auf, das Tempo zieht straff an. Die letzten 80 Seiten, also den letzten großen Abschnitt "Nemesis", sollte man am besten lesen, wenn man auch sicher zu Ende lesen kann ohne zu unterbrechen. Hier einen Cut zu machen fällt schwer, man rast über die Seiten und kann nicht mehr aufhören. Obwohl man zuvor dachte, das wahre Motiv zu kennen, ergibt sich hier eine zusätzliche Wende, mit der man nicht gerechnet hätte. Danach keine unnötigen Worte mehr, keine Erklärung, nur ein kurzer Epilog und Ende, perfekt abgerundet.

Es wird während des Lesens und rückblickend klar, dass der Autor großen Wert auf einen von Anfang bis Ende gut durchdachten Plot gelegt hat. Die Hinweise, wenn man sie nun kennt, liegen auf der Hand. Auch die im Buch verwendeten Charaktere sowie einzelne kleine scheinbar für die Handlung nicht relevante Alltagsmomente führen alle auf ein gemeinsames Ziel und runden den Roman ab.


REGIONAL

IHR UNSCHULDIGES HERZ spielt im >Rheingau<. Es gelingt dem Autor, die Landschaft für ortsunkundige Leser wie mich anschaulich zu beschreiben. Auch das Verhältnis einzelner Ortschaften zueinander und deren Lage spielt eine nicht zu vernachlässigende Rolle bei der Zusammenarbeit früherer Ermittlungen. Geschickt wurden realistische Hintergründe mit den für das Buch erfundenen Geschehnissen gemischt, alles wirkt aus einem Guss, sodass die Fiktion oft nicht mehr zu trennen ist. Daher ist der ansonsten eher floskelhaft erwähnte Satz "alle Figuren etc erfunden" hier wirklich von großer Bedeutung.


FAZIT

Ein packender Rheingau-Krimi mit erschreckend realem Hintergrund. Die Charaktere sind sympathisch, der Hintergrund wurde sauber recherchiert, das Buch baut perfekt aufeinander auf und ist in sich durchweg stimmig. Mein aktueller Lesetip für alle Krimi-Freunde :-)

'Wertung: 4,5 von 5 kross gebratene Hackfleischbällchen

SaschaSalamander 16.10.2012, 08.43 | (0/0) Kommentare | PL

Treue ist auch keine Lösung

lendtfischbach_treue_1.jpgEine Inhaltsangabe zu diesem Buch lässt sich nicht schreiben, schließlich gibt es keine Handlung. Daher möchte ich gleich zum Genre übergehen: TREUE IST AUCH KEINE LÖSUNG versteht sich nicht als Ratgeber, sondern als Thesenbuch. Wer wissen möchte, wie man am besten einen Seitensprung vertuscht, wie man sich als gehörnter Partner verhalten sollte oder warum man das Konzept der Monogamie über Bord werfen sollte - falsches Buch, hier gibt es keine Tipps, lediglich Argumente, Anregungen und Ideen rund um das Thema Treue, Untreue und Liebe, ob nun zu zweit oder mehreren.

Es werden verschiedene Lebensmodelle beleuchtet, von der momentan gesellschaftlich anerkannten Monogamie hin zu anderen Formen wie Polygamie, Polyamorie, Cuckold, Swinger und einige weitere. Dabei soll es keinesfalls darum gehen, eines als besser oder schlechter darzustellen. Aber bevor ich das Ziel des Buches selbst formuliere, überlasse ich dies den Autoren:  "Wir möchten zeigen, [...], dass das Dogma der Treue Menschen und Beziehungen auf dem Gewissen hat, obwohl die Treue einen wundervollen Kern hat und würden dann gerne gemeinsam mit Ihnen über die Liebe grübeln, streiten und herumspinnen." (S. 22)

Das Buch ist gegliedert in drei Hauptteile: Untreue, Treue und Liebe. Untreue wiederum wird unter biologischen, religiösen und kulturellen Aspekten betrachtet. Treue wird aus dem Blickwinkel der Natürlichkeit, Neurologie und Tragik (das Drama, wenn Treue enttäuscht wird) beleuchtet. Liebe wird unterteilt in die Aspekte der Heilung, Freiheit und Philophilia (Liebe zur Liebe).

Die Autoren haben einen recht lässigen Schreibstil, bringen nette Vergleiche ein, werden gelegentlich auch  mal flapsig, bleiben dabei aber immer seriös und belegen ihre Aussagen mit entsprechenden Quellen. Das führt dazu, dass die teils sehr komplexen Inhalten leichtgängig gelesen und verarbeitet werden können, Fallbeispiele sorgen für Abwechslung und besseres Verständnis. Und die Autoren zeigen besonders dann Humor, wenn es darum geht, sich selbst auf den Arm zu nehmen. Sie wissen um ihre Position und ihre teils sehr kontroversen Ansätze, vertreten diese selbstbewusst und ohne Scham, bleiben aber realistisch und gestehen dem Leser eine eigene Meinung zu. Eine Haltung, die mir sehr imponiert hat und die sich durch das gesamte Buch zieht: der Leser fühlt sich angenommen und hat die Möglichkeit, seine bisherige Sichtweise genau zu analysieren, für sich zu bestätigen oder neue Gedanken aufzugreifen, ohne sich dabei überrumpelt oder in die Enge gedrängt zu fühlen. Sehr sympathisch.

In ihren Thesen greifen sie auf viele Beispiele zurück. Sie ziehen die Bibel heran, werfen einen kritischen Blick ins Tierreich, berufen sich auf bekannte Soziologen, Psychologen, und immer wieder entkräften sie die Argumente der heute gelebten strengen Monogamie (die im Grunde keine lebenslängliche sondern meist eine serielle ist). Es werden die Mechanismen aufgezeigt, die einen Menschen zum Fremdgehen verleiten, und auch die Gefühle der Betrogenen werden ausführlich geschildert. Wie gesagt, ein Ratgeber ist das Buch nicht, dennoch lassen sich aus den geschilderten Situationen und Beispielen einige wichtige Grundlagen für eine funktionierende Beziehung herauspicken. Typische "Fallen" innerhalb einer langfristigen Beziehung werden geschildert, das Prinzip AMEFI ("alles mit einem für immer") wird zerlegt und entmystifiziert.

Auch, wenn Fischbach und Lendt niemandem eine Meinung aufdrücken, ist in jedem Kapitel spürbar, was sie selbst favorisieren: Lösungen ohne Lügen. Nicht aus moralischen Gründen, sondern weil sie sich in unserer Praxis als die entwicklungsträchtigeren erwiesen haben" (S. 115). Wie viele Personen in welcher Konstellation diese lügenfreie Lösung nun beinhaltet, das lassen sie dahingestellt, das soll jeder für sich entscheiden.

TREUE IST AUCH KEINE LÖSUNG ist ein Buch, das trotz seiner komplexen Inhalte flüssig und gut verständlich zu lesen ist. Die Autoren zeigen an verschiedenen Beispielen und Modellen, was der wahre Kern der Liebe ist und wie eine funktionierende Beziehung aussehen könnte. Wer nur die Monogamie anerkennt und nicht bereit ist, über den Tellerrand zu blicken, wird sich von diesem Buch in seinem Weltbild heftig erschüttert sehen. Wer allerdings kritisch hinterfragt und sein Leben aktiv entscheiden möchte statt stur den gesellschaftlich vorgegebenen Normen zu folgen, der wird hier sehr viele Denkansätze finden. Ein Buch, das jeden Leser bereichern wird.

SaschaSalamander 11.10.2012, 08.47 | (0/0) Kommentare | PL

Schwarz wie Schnee

wilke_schnee_1.jpegAUTORIN

Vor einiger Zeit stolperte ich über >HOLUNDERMOND< von >Jutta Wilke<. Das Buch hat mir außerordentlich gut gefallen, und ich wurde neugierig auf weitere Titel der Autorin. Einige Zeit später erschien >WIE EIN FLÜGELSCHLAG<, ebenso wie das neueste Buch nun ein Jugendroman, allerdings weniger düster und mit mehr kriminalistischen Elementen. >FLORENTINE< ist ein reines Kinderbuch, das mich wieder einmal richtig begeistert hatte. Ich mag es, wie die Autorin ihre Plots erarbeitet und den Leser durch den Roman führt. Sie nimmt ihre Leser ernst und vermag es, ihren Stil dem jeweiligen Genre - ob nun Kinder, Jugend oder All-Ager - anzupassen, ohne sich dabei zu verbiegen. Leichtfüßig bewegt sie sich zwischen den einzelnen Ebenen, schreibt mal humorvoll, mal düster. Ich bin gespannt, welches Genre mich als nächstes erwarten wird.

INHALT


Kira erwacht nach einem Unfall im Krankenhaus. Sie kann sich an nichts erinnern, erkennt nicht ihre Mutter und auch nicht den Klassenkameraden. Niemand außer den beiden besucht sie, viele Freunde schien sie nicht gehabt zu haben. Bald darf sie zurück in ihr altes Leben, doch sie ist unsicher, findet sich nicht zurecht. Warum erinnert sie sich an die "falschen" Dinge, warum fühlt sich ihre Kleidung an wie die einer Fremden, warum kann sie auf einmal Kuchen backen? Immer mehr "Fehler" findet sie, und sie fragt sich, was vor ihrem Unfall tatsächlich passiert sein mag. Der Arzt sagt, es läge an den Medikamenten, die eine Paranoia hervorrufen können, doch Kira spürt, dass es etwas anderes sein muss ...


GENRE

SCHWARZ WIE SCHNEE ist ein Jugendthriller. Bis kurz vor Ende ist es ungewiss, ob er in die dystopische, fantastische oder reale Richtung gehen wird. Sehr viele Mystery-Elemente sind enthalten, die den Leser lange Zeit auf verschiedene Fährten zu locken vermögen. Für mich war vor allem dieser Punkt das, was den Großteil der Spannung ausmachte. Mir fielen viele Szenarien und ähnliche Romane ein, welche eine Erklärung für Kiras Erlebnisse bilden könnten. Ich war froh, dass Jutta Wilke ihren eigenen Weg gewählt hat und nicht den xten Aufguss zweier inzwischen ausgenudelter Themen geboten hatte. Ein Novum ist die Antwort zum Schluss dennoch nicht. Was aber neu ist, das ist die Umsetzung des Themas in düsteren Thrillermomenten, was mir sehr gefiel und eine wirklich gute Idee ist.


CHARAKTERE

Die Handlung wird aus der Sicht der Ich-Erzählerin und Protagonistin Kira geschildert. Es ist vom ersten Moment an möglich, sich in das Mädchen hineinzuversetzen, die Angst und das Gefühl der Bedrohung gehen quasi nahtlos auf den Leser über. Es ist auffällig, wiesehr Kiras Leben und ihre Handlungen, Empfindungen im Konflikt stehen. Sie möchte helle Kleidung tragen, findet jedoch nur düstere Oberteile im Schrank. Nennt ihre Mutter nicht wie zuvor üblich "Mum". Und vor allem: hat keinerlei Bezug zum Rauchen oder gar zu Drogen, obwohl alles in ihrem Leben darauf hindeutet. Der Roman befasst sich also vor allem mit der Frage "wer bin ich" und "wodurch definiert sich mein Leben". Kira ist quasi von heute auf morgen eine scheinbar andere Person, und das passt nicht mit ihrer aktuellen Situation zusammen. Wiesehr wurde sie von ihrer Umwelt geprägt, und was geht tatsächlich von ihr aus? Nature or Nurture, Angeboren oder Erworben, das ist eine der indirekten Kernfragen des Buches und spiegelt sich hervorragend in Kiras Situation.

Andere Figuren werden lediglich aus der beobachten Position der Protagonistin heraus beschrieben. Die zwei wichtigsten Figuren sind die Mutter und Kiras Klassenkamerad Julian. Da Kira sich bedroht fühlt und in vielen Dingen Heimtücke erwartet, traut sie ihnen nicht, und auch der Leser wird mehrfach aufs Glatteis geführt. Was tatsächlich in den beiden vorgeht, bleibt verborgen. Andere Figuren wie die Lehrer, zwei Nachbarsmädchen oder weitere Klassenkameraden werden angerissen, nehmen wichtige Rollen in Kiras Identitätsfindung ein aber werden nur am Rande behandelt. Über sie erfährt man sogut wie gar nichts.


SCHREIBSTIL

Ein Ich-Erzähler ist von Natur aus sehr persönlich und eindringlich. Doch hier wird nicht nur das Innere beschrieben sondern auch das Äußere sehr stark vermindert. Selten ist ein Jugendbuch so intensiv auf das Innenleben eines Charaktes bezogen. Die Handlung spielt zwar eine wichtige Rolle in SCHWARZ WIE SCHNEE, der Großteil des Buches wird aber dennoch von Kiras Erleben getragen. Was wirklich passiert, erfährt man nicht, sodass sehr viele Fragen offenbleiben und auch nach Abschluss nicht geklärt werden. Kira kann ihrem Erleben nicht trauen, Wahn und Wirklichkeit, Erinnerung und Gegenwart prallen unvereinbar aufeinander. Dadurch entsteht für den Leser das Gefühl einer nicht greifbaren Bedrohung, ungewiss ob tatsächlich real oder nur von Kira empfunden. Das Buch liest sich extrem schnell, ist hochspannend, und man kann es vom ersten bis zum letzten Satz kaum aus der Hand legen.

Kira wirkt nach dem Krankenhaus sehr benommen, und entsprechend sind die Sätze im Buch sehr knapp, fast nur Hauptsätze. Abgesehen von der Schlichtheit, die sehr gut Kiras Orientierungslosigkeit widergibt, hat dies vor allem den Effekt der Atemlosigkeit: nicht nur die inhaltliche Spannung, auch der Schreibstil verleitet zum raschen Weiterlesen, "nur noch ein Satz, geht ganz schnell" ...

Jutta Wilke vermag es zudem, in sehr bildhaften Metaphern zu schreiben, ihre Sprache ist wohlklingend und trotz (bzw gerade wegen) der Schlichtheit sehr eindringlich.

Ein kursiv gedruckter Text zwischen einzelnen Kapiteln lässt den Leser im Unklaren, ob hier über Kira gesprochen wird oder eine andere Person. Die stete Frage, was es mit den kurzen Passagen auf sich hat, trägt ebenfalls zur Spannung bei.


AUFBAU

Das Buch beginnt mitten in der Handlung, Kira öffnet die Augen und befindet sich im Krankenhaus, weiß nicht was geschehen ist. Von ihrem Erwachen nach dem Koma hin zum finalen Showdown mit seiner Auflösung erfährt der Leser nun schrittweise immer mehr. Anfängliche Unsicherheit hin zu den ersten Unstimmigkeiten bis hin zu panischer Angst und völliger Desorientierung, sich stetig steigernd und das Lesetempo immer mehr erhöhend, äußerst gelungen.

Was mir bei den Büchern der Autorin immer wieder gefällt, ist der gut ausgefeilte Plot: die Lösung liegt auf der Hand, Hinweise sind von Beginn an vorhanden, und am Ende sagt man "mensch, das war doch sooo klar". Doch die falschen Fährten locken immer wieder in eine andere Richtung, und der Leser darf sich keinen Moment in Sicherheit wiegen. Viele kleine Hinweise liegen in belanglosen Nebensätzen, bieten sich dem Leser ganz offensichtlich an. Jutta Wilke schreibt die Art Bücher, die sich lohnen zweimal zu lesen, einmal zur Spannung und ein zweites Mal, um die Hinweise herauszupicken und sich an der gut aufgebauten Geschichte zu erfreuen.

Inhaltlich lässt sich das Buch für mein Empfinden in drei bzw vier Teile gliedern: die Zeit im Krankenhaus, anschließend die Zeit erst zu Hause und dann in der Öffentlichkeit / Schule, zum Abschluss das Finale. Der zweite (und dritte) Teil nehmen 95 Prozent des Buches ein, für den Anfang und das Ende wurde kaum Raum belassen. Den Anfang hätte man ausbauen können, gerne hätte ich einige zusätzlichen Dinge gelesen, aber das war nicht notwendig. Das Ende allerdings ist sehr, sehr knapp gehalten, lässt extrem viele Fragen des bisherigen Geschehens und der weiteren Entwicklung offen, zack aus vorbei.


EIGENE MEINUNG

Ich fand das Buch sehr spannend zu lesen und habe es aus zeitlichen Gründen zwar nicht in einem Rutsch aber ebenso atemlos gelesen. Immer weiter, immer schneller, voll dabei und mitten im Geschehen. Ich bin froh, dass die Autorin nicht eine andere Lösung wählte und das Ende auf diese Weise umsetzte. Allerdings gibt es etwas, an denen ich mich im Nachhinein doch gestoßen habe. Viele Fragen bleiben unbeantwortet. Für die Zukunft ist mir das egal, denn ich mag offene Enden, die den Leser zum Nachdenken anregen. Doch das Geschehen des Buches mag ich lieber in sich geschlossen und gut erklärt. Gerne hätte ich erfahren, was manche Szenen nicht aus Kiras Sicht darstellten, sondern wie sie sich tatsächlich abgespielt hatten. Wüsste gerne, was es mit einigen Dingen auf sich hatte, hätte gerne mehr über das Lebensfeld und die Sichtweise anderer Charaktere erfahren. Eine weitere Frage, die mich seitdem nicht mehr loslässt, kann ich hier aus Spoilergründen nicht umschreiben, doch die Unschlüssigkeit dieses Punktes schmeckt mir nicht, da fehlt für mich einfach etwas.

Um das Buch objektiv zu bewerten, muss ich aber fair sein: das Buch hat als Ziel, vor allem Kiras Zwiegespaltenheit und ihre Angst, und die Frage nach ihrer Identität, ihrer Entwicklung ist Dreh- und Angelpunkt des Romanes. Alles andere ist nicht relevant und muss daher auch nicht geschildert werden, es wäre ein Bruch mit der Intention und dem Genre. Bereits die intensive Schilderung des Innenlebens zeigt, wie wenig von Belang das ist, was mit den Personen um sie herum geschieht. Auf die Frage, wie man es anders und gar besser hätte machen können, kann ich keine Antwort geben, denn in sich ist der Roman absolut stimmig und hätte nicht anders sein dürfen. Es geht halt nicht immer nach meiner Nase ;-)


FAZIT

SCHWARZ WIE SCHNEE ist ein sprachlich und inhaltlich packender Jugendroman, der bewusst von den gängigen Klischees abweicht und von dem man keinen klassischen Aufbau erwarten darf. Klare Empfehlung für alle, die spannende Unterhaltung lieben.

Wertung: 4,6 von 5 Stoffhasen

SaschaSalamander 09.10.2012, 08.37 | (0/0) Kommentare | PL

"Das Fenster" und "Heiße Beute"

Gestern habe ich mir DAS FENSTER und HEIßE BEUTE von Natalie Rabengut gegönnt. Erotik genieße ich gerne in Kurzgeschichten, ideal für zwischendurch, und da kamen diese beiden Titel gerade recht.

DAS FENSTER erzählt von zwei Freundinnen. Sie beobachten gerne den Nachbarn gegenüber, denn er gewährt ihnen durch sein offenes Fenster regelmässig Einblicke in sein recht aktives Sexualleben. Als Mona nun gelangweilt und mit gebrochenem Bein frustriert am Fenster sitzt, sieht sie plötzlich Mandy, die mitten in die Kartenrunde des Nachbarn und seiner Kumpel platzt. Bald fallen Hüllen und Hemmungen, und es scheint, Mandy inszeniert das alles nur für ihre Freundin ...

In HEIßE BEUTE ist Sarah recht enttäuscht von ihrem Freund. Der gemeinsame Urlaub wurde kein Liebeswochenende, sondern einfach nur eine Sauftour mit seinen Kumpels. Sie ist kurz davor, sich von ihm zu trennen. Bei einer gemeinsamen Bootstour plötzlich werden sie von Piraten überfallen, und sie wird entführt. Aber natürlich ahnt Sarah schnell, dass mehr dahinter steckt, die Situation wirkt doch sehr aufgesetzt. Es wird ein "Urlaub", den sie wohl nicht so schnell vergessen wird ...

Beide geschickten lassen sich angenehm lesen, kurz und ziemlich direkt zur Sache in angenehmen Formulierungen. Kein Drumrumgerede, sobald es zur Sache kommt, aber auch kein Obszönitäten. Einfach zielstrebig und lustvoll. Das Setting beider Geschichten ist gelungen. Einmal das voyeuristische Element, der Leser fühlt sich selbst fast schuldig, all das so schamlos zu beobachten. Und in der anderen Story die Idee mit den modernen Piraten, das hat was, eine Entführung ist ein spannendes Szenario. Aber keine Sorge, hier ist dennoch alles einvernehmlich ;-)

Schade finde ich insbesondere bei der Piratenstory, dass man die Geschichte noch ein wenig hätte ausbauen können, sie bot einiges Potential an Charakteren und Setting, die Rahmenhandlung war ziemlich anregend, leider wurde das Augenmerk nur auf die erotischen Momente gelegt. Aber gut, das ist klar Geschmackssache, der eine mag Erotik pur, der andere braucht die Story dazu ...

Sprachlich merkt man, dass die Autorin noch am Anfang steht. Es lässt sich flüssig und angenehm lesen, und wer gerne komplett in der Handlung versinkt, wird auch nicht viel zu bemängeln haben. Wer allerdings wie ich gerne genauer hinsieht, der entdeckt doch hier und da Grammatik- und Tippfehler oder mal ein Wort zuviel. Der Stil zeigt, dass sie um gute Sprache bemüht ist, meist gelingt es auch, doch hier und da rutschen Umgangssprache oder künstliche Elemente dazwischen. Auch an der Perspektive muss zukünftig noch etwas gefeilt werden, im Eifer des Gefechts gibt es da in beiden Geschichten einige Verwechslungen.

rabengut_fenster_1.jpg 

SaschaSalamander 05.10.2012, 08.51 | (0/0) Kommentare | PL

Fast nur ein Spiel

gruen_spiel_150_1.jpg2008 las ich FAST NUR EIN SPIEL von Nele Grün. Hatte damals noch nicht den Überblick über erotische Literatur und war quasi auf der Suche nach Autoren und Verlagen, die meinem Geschmack entsprechen. Dabei bin ich über viele Bücher gestolpert, mit denen ich wirklich so gar nichts anfangen konnte. Dies hier ist eines davon gewesen ;-)

(Die Rezension ist also von damals. Wie immer bitte beachten: Zeiten ändern sich, bitte diesen vermeintlich aktuellen Beitrag also bitte dennoch als das sehen, was es ist, nämlich ein fast fünf Jahre alter Text)

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Klappentext:

Eines Nachts wird Andrea auf der Straße von einem Mann angesprochen, der ihr ein eindeutiges Angebot macht. Zu ihrer eigenen Überraschung nimmt sie den Unbekannten gegen Bezahlung mit in ihre Wohnung. Es beginnt eine heftige erotische Liaison, deren unwiderstehlichem Sog sich keiner von ihnen entziehen kann. Bald stellt sich jedoch heraus, dass die beiden weit mehr verbindet als ihr aufregendes Spiel. Denn beide hüten ein düsteres Geheimnis aus ihrer Vergangenheit ...


"Fast nur ein Spiel" ist das faszinierende Psychogramm einer jungen Frau, die den Mut hat, die Fesseln der Konvention zu sprengen und ihren ganz eigenen Weg zu gehen - und eine mitreißende erotische Geschichte über die Verstrickungen von Liebe, Sex und Lust an der macht, prickelnd und abgründig.


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Wie üblich bei Goldmann: jede Menge Rechtschreib- und Grammatikfehler, die mir vor die Flinte kamen. Ansonsten dachte ich mir ein paarmal "oh Gott, ist das Buch scheiße übersetzt". Bis ich später dann mal nachschlug und feststellte, dass die Autorin Nele Grün in Tübingen lebt und das Buch in Deutsch verfasst wurde. Wie peinlich (für Autorin, Lektorat, Verlag) ...

Handlung, well, da könnte man was draus machen, der Klappentext klingt wirklich vielversprechend, oder? Und die beiden Protagonisten sind nicht ohne, aus ihnen könnte man prima Antihelden machen, mit denen man so richtig mitfiebert. Die eiskalte Femme Fatal, der knallharte Geschäftsmann. Klischee, aber wir lassen uns ja gerne unterhalten, muss ja nicht immer hochwertige Literatur sein.

Die Charaktere gewinnen für mich einfach keine Tiefe, zwar ist einiges aus dem Gedankenspiel von Andrea dargestellt, aber es ist seit langem das erste Mal, dass ich eine Hauptperson vor mir habe, mit der mich ab-so-lut nichts verbindet. Es gibt zuviel Gerede Drumherum, welches weder zur Handlung beiträgt noch die Charaktere vertiefen noch die Spannung erhöhen würde. Frauen, die zusammensitzen und über ihre Lover klönen, ohne dass die Leserin sich davon angesprochen fühlt.

Sodom und Gomorrha, Andrea betrügt Frau Schmidt mit deren Mann Cord, Frau Schmidt betrügt ihren Mann mit Andreas Freund Steffen, Deborah hat was mit Chris, und der alte Geliebte von Andrea wurde über den Jordan gegangen, Cord hat einmal etwas sehr Schlimmes getan, Andrea natürlich auch, und während Cord weiß, dass er Andrea eigentlich hassen müsste, will er sie am liebsten von hinten vor dem Schlafzimmer vögeln. Sorry für die Wortwahl, aber diese entspricht dem Niveau des Buches ...

ich hatte wirklich gehofft, dass das Buch wenigstens offenbaren würde, was die beiden Schlimmes getan haben. Aber Cords Tat wird am Anfang schon nebenbei und banal abgehandelt, und ihr Vergehen erst auf den letzten zwei oder drei Seiten mal kurz angerissen, auch wenn der Leser es eh schon von Beginn an wusste. Was für ein Glück, dass ich das Buch nur überflogen habe, sonst hätte ich noch mehr Rechtschreib- und Logikfehler gefunden und mich womöglich richtig gelangweilt ...

Was den "erotischen" Teil des Buches betrifft: naja, es wird halt beschrieben, wie er sie mal hart rannimmt und ihr dann 1000 Euronen auf den Tisch blättert ... oder ihr die Augen verbindet und durchknallt (wie gesagt: wer die Rezi nicht verkraftet, sollte das Buch dringend meiden, und ich habe wenig Lust, extra für diesen Roman irgend etwas zu umschreiben) und sie darüber gar nicht amused ist und ihm ihre hochhackigen Stiefel an die Schläfe donnert, was ihn widerum nicht sonderlich amused. Einmal treiben sie es sogar so, dass beide zufrieden sind, nämlich nachdem sie seine Frau aus dem Rennen haben und ... ach, neeeee, hör auch, von Erotik ist nicht wirklich die Rede. Ich finde, Erotik ist in der Literatur SEHR von der Sprache abhängig, und in diesem Fall musste ich während der Sexszenen einige Male lachen. Und die Vergleiche, einfach zum Brüllen. "Ich fühlte mich wie eine Wüstenblume, eine Rose aus Jericho, und meine vertrockneten Stängel rollten sich ihm entgegen" und ähnlich schwachsinniger Wulst ... jede Menge "will und kann nicht" ...

nein, mir fällt niemand ein, dem ich das Buch empfehlen könnte. Wirklich, Sinn und Zweck meines Blogs soll ja eigentlich sein, Euch zum Lesen zu animieren, und ich kann wirklich fast jedem Werk etwas Gutes abgewinnen, zumindest sagen "diese oder jene Zielgruppe wird es bestimmt ansprechen", aber in diesem Fall: Finger weg, nutzt Eure Zeit besser ...

SaschaSalamander 01.10.2012, 09.03 | (0/0) Kommentare | PL

Vakuum

wagner_vakuum_1.jpgINHALT

Kora ist im Gefängnis und erhält eine seltsame Botschaft. Hannes geht regelmässig auf den Golfplatz und kann nach einem schrecklichen Vorfall seiner besten Freundin nicht mehr in die Augen sehen. Tamara ist adoptiert und will etwas über ihre leibliche Mutter erfahren. Alissa und Leon sind Geschwister, verbunden durch ein tragisches Ereignis, doch dieses Wochenende wollen sie nichts als mit ihren Freunden ein gemütliches Picknick zu veranstalten. Doch um 15.07 geschieht etwas, mit dem keiner von ihnen gerechnet hätte, und plötzlich sind sie alle auf sich allein gestellt. Sie begeben sich auf die Suche, finden einander und versuchen gemeinsam herauszufinden, was geschehen ist und warum das Schicksal gerade sie zusammengeführt hat. Dabei müssen sie sich ihren größten Ängsten stellen und lernen, dass sie nur gemeinsam etwas erreichen werden.


GENRE, THEMEN


Die Autorin verwendet archetypische Symbole, um ihre Geschichte auf einer sehr intimen Ebene zu erzählen. Daher fallen mir sofort einige Filme ein, etwa LANGOLIERS, FLATLINERS, THE FOG, DIE WAND, THE STAND und andere, die mit ähnlichen Elementen spielen und die Urängste der Menschen aufgreifen. Doch statt einen Horrorroman für Erwachsene zu schreiben, richtet sie sich hier an Jugendliche: Identitätsfindung, Ängste und der Umgang mit inneren und äußeren Konflikten. Leser der Zielgruppe werden sich sehr gut in einem oder mehreren der Protagonisten wiederfinden, ja vielleicht sogar mit dem gleichen Problem zu kämpfen haben. Um nicht zu spoilern, kann ich leider die Themen nicht aufgreifen, doch soviel kann ich sagen: die Gesellschaft tabuisiert, und die Menschen glauben daher "stark" sein zu müssen, statt um Hilfe zu bitten, zu weinen, zu trauern oder einfach nur darüber zu reden. Hier wird Jugendlichen Mut gemacht, offen zu sein und die Probleme zu teilen statt mit ihnen alleine zu bleiben. Spannung, Drama, Unterhaltung und eine wichtige Botschaft.

Und was mich schmunzeln lässt: in jedem ihrer Bücher ist versteckt oder direkt ein Genderthema eingebaut, in diesem Fall die beiden Mütter eines Nebencharakters. Ich mag das, dadurch halten diese Themen immer mehr Einzug im Bewusstsein, werden als etwas Alltägliches dargestellt, das gesondert zu benennen gar nicht erforderlich ist und daher nur als Erwähnung am Rande einen Platz erhält. Sehr schön. Danke :-)


SPRACHE

Wie bereits gesagt, greift Wagner besonders auf Symbole (Farben, Objekte, Geräusche, Musik, etc) zurück, die tief im menschlichen Bewusstsein verwurzelt sind. Auch ohne die Gefahr zu benennen, zaubert sie eine Gänsehaut und sorgt für ein Gefühl der Beklemmung, Enge und Angst. Die Orte, an denen sich die Protagonisten befinden, werden greifbar, der Leser fühlt sich inmitten des Geschehens, kann umso intensiver mitfühlen und sich vor allem fragen, wie er selbst in dieser Situation gehandelt hätte.

Ein weiteres Stilmittel neben den Symbolen sind sehr viele Metaphern und Vergleiche. "Die Stille war eine Faust. Sie kam aus der leeren Kantine geschossen und schlug ihr mitten ins Gesicht" (S. 201). Die Sprache ist malerisch und detailreich. Während die Autorin in >UNLAND< und >SCHATTENGESICHT< manchmal etwas versteckt und in >MOTTENLICH< äußerst subtil vorging, ist VAKUUM dagegen sehr direkt, der Leser weiß, woran er ist. Dadurch fehlt ein bisschen von der Leichtigkeit und Interpretationsfreiheit. Andererseits ist das Buch dadurch sehr viel leichter verständlich, was bei einem solch komplexen Thema, wie Wagner es hier aufgreift, kein Nachteil ist. Im Gegenteil werden auf diesem Weg mehr Jugendliche erreicht, eignet sich das Buch sogar als anspruchsvolle aber doch verständliche Schullektüre und stellt die Grundlage für lebhafte Diskussionen.


CHARAKTERE

Die Beschreibung der Charaktere ist eines der wichtigsten Elemente in diesem Buch. Zu Beginn erfährt der Leser kaum einen Hintergrund, wird direkt in die Ist-Situation geworfen und bekommt erst nach und nach eröffnet, was die einzelnen Personen antreibt. Die Frage "was ist es, das ihm / ihr solche Angst macht" bzw "was hat er / sie getan" ist das, worauf ein großer Teil der Spannung aufbaut.

Jeder einzelne von Ihnen hat Schlimmes erlebt. Es stehen viele Schicksale und Lebenswege nebeneinander, sie werden nicht gegeneinander gewertet, keiner hebt sich als besser oder schlechter aus der Masse hervor. Sie alle haben etwas erlebt, mit dem sie nun lernen müssen umzugehen, und da ist es ganz gleich, ob man für seine schreckliche Tat sogar ins Gefägnis musste, oder ob man "nur" nagende Zweifel in sich spürt. Das ist etwas, das ich an den Büchern dieser Autorin sehr mag: man spürt beim Lesen regelrecht, wie sie sich auf ihre Figuren einlässt, ihnen Leben einhaucht, sie liebt, auch wenn sie soviel erleiden mussten. Sie behandelt die Charaktere wie eine Mutter ihr Kind: egal, was es getan hat, es wird geliebt und ist gut, so wie es ist. Der Leser spürt diese Wärme, fühlt sich, wenn er sich mit dieser Figur identifiziert, angenommen und geborgen, soll ebenso wie die Helden dieses Buches lernen sich anzunehmen und selbst zu lieben.
   

AUFBAU

Der Klappentext verrät bereits sehr viel vom Inhalt des Buches, was erst recht spät klar wird. Denn der Aufbau von VAKUUM ist recht ungewöhnlich: die Autorin nimmt sich extrem viel Zeit, ihre Protagonisten einzuführen, widmet jedem zwei bis drei Kapitel. Erst nach ziemlich genau zwei Dritteln werden alle Fäden zusammengeführt. Dadurch ist es kaum möglich, eine Beschreibung vom Kern des Buches zu geben, ohne nicht schon einen großen Teil vorwegzunehmen.

Ich hatte mit einem langen RoadTrip gerechnet, auf dem sie viele Abenteuer erleben, doch das ist nicht der Fall. Statt dessen gibt es ein klares Ziel, eine gemeinsame Richtung, und bis auf einen kurzen Zwischenhalt ist dieses Ziel auch bald erreicht. Das Ende ... nun, das Ende wird einigen Lesern gefallen, die anderen eher enttäuschen. Es ist sehr gut inszeniert und klärt die offenen Fragen, lässt aber dennoch einen Interpretationsspielraum für das, was danach kommt. Wer jedoch Handfestes erwartet, dem wird etwas fehlen, der wird sich etwas abgespeist fühlen. Es geht alles recht schnell, der geübte Leser konnte das Ende bereits erahnen und lehnt sich nun zufrieden zurück. Der Gelegenheitsleser könnte sich fragen, ob das nun etwa alles war. Ja, das war alles.

Dennoch muss ich zugeben, dass der Aufbau das ist, warum ich dem Buch nur fast die volle Punktzahl gebe. Obwohl es von Beginn an sehr spannend ist und man schon nach der ersten Seite gar nicht anders kann als atemlos weiterzulesen, finde ich den Aufbau etwas eigenwillig. Das Verhältnis von Einleitung zu Hauptteil und Schluss fand ich unausgewogen. Zugegeben, mir fiele aber auch keine bessere Lösung ein, denn die Charaktere müssen vorgestellt werden, schließlich ist es genau das, worum es in diesem Buch geht. Man könnte vielleicht einen oder zwei Personen entfernen, das Buch dadurch straffen und den Hauptteil etwas strecken. Doch vielleicht ist die Figur, die für mich am wenigsten interessant war, gerade die Lieblingsrolle eines anderen Lesers?


NOCH ETWAS

Noch etwas, das ich gerne aufgreifen möchte: es ist unglaublich, wie gut die Autorin die Situation Koras im Gefängnis geschildert hat. Ich habe schon viele Bücher zu diesem Thema gelesen, ob nun Fachliteratur, Erfahrungsberichte oder seichte Unterhaltung. Jeder beschreibt auf seine Weise das Leben hinter Gittern, und dabei stechen natürlich die Erfahrungsberichte hervor. Doch was Antje Wagner in VAKUUM gelungen ist, finde ich herausragend. Während Erfahrungsberichte meist die Äußerlichkeiten beschreiben und selten so tief ins Innere gehen (da die Autoren sonst zu viel von sich preisgeben würden) und Romane das Innere nur selten realistisch beschreiben können, dringt dieses Buch bis ins Mark. Schildert das Leben in dieser Parallelwelt auf beeindruckende Weise, geht auf Kleinigkeiten ein, benennt Trigger und malt ein Bild, wie ich es in noch keinem anderen Buch gefunden habe. Ein ganz großes Plus für diese außerordentliche Leistung!


FAZIT

VAKUUM ist ein Buch, das die Probleme Jugendlicher aufgreift und geschickt mit den Ängsten, Sorgen und Befindlichkeiten zu spielen vermag. Die Handlung wird unmittelbar dargestellt, sodass man sich sehr schnell mit den verschiedenen Personen identifizieren kann. Einmal angefangen, konnte ich den Titel nicht mehr aus der Hand legen. Und so kann ich ihn uneingeschränkt allen Jugendlichen als ernsthafte und gleichzeitig spannende Lektüre empfehlen :-)

Wertung: 4,5 von 5 W-förmige Zacken

SaschaSalamander 17.09.2012, 09.10 | (0/0) Kommentare | PL

Kavaliersdelikt

rolls_kavaliersdelikt_1.jpgLeandro trifft in der Schule auf Henny, sie fasziniert ihn, es ist Liebe auf den ersten Blick. Henny schwärmt schon lange für Leandro und kann kaum fassen, dass ausgerechnet er nun auf sie zukommt. Auf sie? Nicht ganz, denn eigentlich heißt Henny Hendrik, und seine langen Haare sowie sein eher androgyner Körperbau führen dazu, dass er manchmal für ein Mädchen gehalten wird. Zuviele schlechte Erfahrungen hat Henny bereits gesammelt, er hat Angst davor, dass Leandro seine netten Worte, seine Einladungen, seine Geschenke zurücknimmt. Immer wieder zögert er es hinaus, seinem Freund endlich die Wahrheit zu sagen. Denn Leandro ist heterosexuell und interessiert sich nicht für Männer. Eine Liebe, die aussichtslos scheint ...

Als ich die Beschreibung las, dachte ich anfangs, es ginge um eine Transgendergeschichte. Hätte mir gefallen, ist ein spannendes Thema. Aber schon auf den ersten Seiten erfährt der Leser, dass es einfach eine Verwechslung war und Henny sich in seiner Rolle als vermeintliche Frau gar nicht so recht wohlfühlt. Und es gefällt mir, wie die Autorin das umgesetzt hat: von Leandros Seite ist die stete Frage, wie man sich einem Mädchen gegenüber verhält und warum er Henny so besonders findet, obwohl sie doch so ganz anders ist als die anderen Mädels auf der Schule. Er steht bald vor der Frage, ob er den Mensch liebt, seine Eigenheiten, die Person, oder doch sein im Kopf festgesetzte Bild eines nicht existenten Mädchens. Wie kann ein Kavalier und Gentleman wie er plötzlich so sexistisch reagieren, wie passt das zu seinem Selbstbild? Und Henny muss sich immer wieder damit auseinandersetzen, wie sich ein Mädchen nun am besten verhalten würde. Anfangs versucht er noch eine Rolle zu spielen und dem erwarteten Klischee zu entsprechen, bis er immer mehr er selbst wird, aber zugleich auch die Angst vor dem Outing wächst. Hier wird sehr viel mit den Klischees gearbeitet, sie werden hinterfragt, die Charaktere reflektieren ihr Verhalten und bringen auch den Leser zum Nachdenken über so manche eigenen Sichtweisen.

Durch diese Konstellation ergibt sich vom ersten Moment an eine Spannung, die sich bis zum letzten Drittel des Buches aufrechterhalt. Wann und wie wird Leandro es erfahren? Wie wird er damit umgehen? Die Handlung baut sich fast schon vorbildlich auf (was ideal für entspanntes Lesen ist, andererseits aber wenig Überraschung oder Abwechslung bietet): Einleitung, Vorstellung der Charaktere und der Situation, dann die steigende Spannung und eine Ankündigung des Konflikts, dann natürlich der große Knall, der Streit, viele Tränen und zum Schluss das ersehnte Happy End.

Erotik findet sich im ersten Drittel kaum, es knistert gewaltig und ist stellenweise sehr sinnlich, doch Henny hat verständlicherweise Angst vor engerem Körperkontakt und zögert diesen so lange als möglich hinaus. Auch diese sexuell aufgeladene Atmosphäre ohne tatsächliche Berührungspunkte trägt sehr zum Lesevergnügen bei. Diese Stellen haben mir am besten gefallen. Danach - nun ja, zugegeben, das Ende hätte man in meinen Augen kürzen können. Ich bevorzuge Handlung gegenüber der Darstellung der Erotik. Andererseits - es ist ein erotischer und romantischer Roman, da darf ich nicht meckern, wenn es dann auch mal zu dem kommt, was der Leser sich noch vor dem Lesen der ersten Seite erhofft und worauf es am Ende hinausläuft ;-)

Die Sprache passt sehr gut zum Stil des Buches: die Dialoge sind stellenweise etwas flapsig und sehr umgangssprachlich, aber locker zu lesen und recht eingängig, es wirkt sehr realistisch. Ein sprachlich literarisches Meisterwerk liegt nicht vor, aber das ist auch nicht das Ziel der Autorin, hier geht es um Romantik, Liebe, eine packende Geschichte und ein herzwärmendes Happy End, um gelungene Unterhaltung. Mir persönlich war es vor allem gegen Ende etwas zuviel von "total irre", "irre geil", "scheiße Mann, Du bist echt geil darin", "obergeil", "wie geil", "voll irre". Anfangs alle paar Seiten passte es gut in den Kontext, doch gerade weiter hinten hätte, als es dann richtig "zur Sache geht" hätte man das statt zu intensivieren gerne etwas reduzieren können. Es zeigt zwar einen realistischen Stil, ist damit nicht so überzogen wie mancher romantische Schinken, der vor schnulzigen Begriffen nur so trieft, trotzdem wurd hier das andere Extrem gewählt, die überzogene Lässigkeit. Allerdings denke ich, dass die meisten Leser sich nicht daran stören werden. Und auch ich habe es dann einfach überlesen und mich weiterhin an der Story erfreut.

Gelegentlich wurden ein paar Kleinigkeiten an Grammatik oder Rechtschreibung übersehen, etwas häufiger als in professionellen Veröffentlichungen üblich aber nicht wirklich markant und für eine private Publikation wirklich sauber überarbeitet, nichts was den Lesefluss markant stören würde.

Alles in allem hat mir KAVALIERSDELIKT sehr gut gefallen und mich neugierig auf weitere Titel der Autorin gemacht. Dieser Titel war einfach perfekt, um gemütlich abzuschalten und sich mit viel Knistern und Gefühl unterhalten zu lassen. Und was mir besonders gefiel war der Aspekt des Genderbender, der für angenehme Abwechslung in einem derzeit recht aktuellen Genre sorgt.

Wertung: 7 von 10 Rosen zum ersten Date

SaschaSalamander 12.09.2012, 08.21 | (0/0) Kommentare | PL

Solange die Nachtigall singt

INHALT

Die Handlung ist sehr komplex und schwer widerzugeben, wenn man nicht zuviel verraten möchte. Deswegen hier nur der Klappentext:

Ein Haus, abgeschieden von der Zivilisation.
Ein Wanderer, der sich verirrt.
Ein Wald mit zu vielen Gräbern.

Völlig unverhofft trifft der achtzehnjährige Jari auf die geheimnisvolle Jascha, deren Schönheit er sich nicht entziehen kann. Er folgt ihr in das abgeschiedene Haus mitten im Wald, wo sie lebt. Und das, obwohl er spürt, dass dieser Ort ein düsteres Geheimnis birgt. Etwas ist geschehen. Etwas, das schrecklicher ist als alles, was Jari sich je hatte ausmalen können. Etwas, das ihn in tödliche Gefahr bringt


GENRE

Inzwischen wissen die Fans der Autorin, dass sie sich auf kein Genre einstellen sollten. Antonia Michaelis ist eine Meisterin darin, die Grenzen der vorgegebenen Erzählmuster und Plotstrukturen aufzubrechen und eigenständige Werke zu erschaffen.

Hier gibt es viele Elemente, die aufgrund ihrer Vielzahl und vermeintlichen Widersprüchlichkeit eine Zuordnung unmöglich machen: ein märchenartiges Setting zu Beginn, ein zahmer Fuchs, das Thema Schönheit, auf den ersten oberflächlichen Blick wirkt dieses Buch wie ein verträumtes Märchen. Doch bald erkennt der Leser, dass hinter der verspielten Fassade der Tod lauert. Spannend wie ein Mystery-Thriller steigt die Spannung an, verursacht Gänsehaut, bietet Sex and Crime, Erotik und Gewalt bis hin zu einem Plot-Twist, der die meisten Leser sehr überraschen dürfte (Vielleser können möglicherweise damit rechnen, ich hatte es an einigen Stellen bereits geahnt, die Hinweise sind versteckt aber vorhanden). Die Hintergrundgeschichte um die entführten Drillinge birgt ein Drama, nach und nach erfährt der Leser, was hinter diesem Erzählstrang steckt und wie er mit der eigentlichen Geschichte zusammenhängt. Michaelis rüttelt an den Tabus ihrer Leser, manches Mal überschreitet sie die Grenze und schreibt sehr gewagte Szenen, welche den Leser verstören und aufrütteln.

Wer SOLANGE DIE NACHTIGALL SINGT liest, muss sich einstellen auf einen psychedlischen Trip voller Verwirrungen und Fallstricke. Am Ende wird zwar alles erklärt, doch nicht jedes Detail wird beantwortet. Wie auch schon in ihren anderen Büchern wird sie mit dem Ende die Leserschaft spalten: die einen finden es unbefriedigend und hätten sich mehr Antworten erhofft. Die anderen finden ihre eigene Interpretation, ihre eigenen Antworten. Ich war begeistert, für mich blieb nichts offen, und die von vielen Rezensenten angesprochenen Lücken kann ich für mich selbst sehr gut füllen und erklären.


CHARAKTERE

Konkret kann ich nur über Jari sprechen, alles andere wäre ein Spoiler. Es tauchen mehrere Personen auf, doch ihre Identität bzw ihre Existenz ist unklar. Traum, Illusion und Realität werden geschickt gemischt. Ich hatte versucht, einen klaren Überblick zu bekommen, indem ich während des Lesens einen Notizzettel hatte, auf dem ich mir die Namen, körperlichen Merkmale, Eigenheiten und Talente der jeweiligen Mädchen notierte. Das war sehr hilfreich, allerdings zweifelte ich immer wieder an meinen Notizen: waren das Logikfehler des Buches, oder hatte ich beim Notieren etwas verwechselt? Ich empfehle Euch, selbst Notizen anzufertigen, Euch von den Fehlern (?) aber nicht verwirren zu lassen, am Ende klärt es sich alles auf. Diese nicht greifbaren Charaktere machen einen großen Reiz in diesem Buch aus, es ist, als läge es dem Leser auf der Zunge, und doch kann er es nicht benennen.

Jari dagegen ist einfach zu beschreiben: er ist Mattis Freund, der Sohn seiner Mutter, Tischler-Lehrling seines Vaters. Über diese Eigenschaften definiert er sich zu Beginn, und seine Selbstfindung ist ein wichtiger Prozess. Denn im Wald gibt es keinen Matti, keine Mutter, keinen Lehrmeister, hier ist Jari nur er selbst. Doch wer oder was ist er? Und was möchte er werden, wenn er so lange im Wald bleibt? Im Trailer (den ich zum Glück erst nach der Lektüre ansah) wird leider bereits gespoilert, wer oder was Jari werden soll. Wer ohne Vorkenntnisse an das Buch herangeht, für den ist die drohende Ahnung gerade zu Beginn ein tragendes Element. Immer wieder gibt es kleine Momente, die darauf hinweisen. Als man es auf Seite 188 endgültig erfährt, wird die bisher nur empfundene Bedrohung plötzlich Realität, wird der verwunschene Märchenwald zu einer tödlichen Gefahr. Und Jari beschreitet diesen Weg offenen Auges, denn er ist nun ein anderer.


HANDLUNGSAUFBAU, ERZÄHLTEMPO

Das Buch besteht aus zwei Handlungssträngen: Jaris Erlebnisse im Wald bilden den Großteil der Erzählung. Dazwischen gibt es immer wieder Einschübe um die drei entführten Schwestern. Im Laufe der Geschichte werden diese beiden Stränge zusammengeführt, bis sie am Ende eine gemeinsame Handlung ergeben und als ein Faden weitergesponnen werden.

Das Erzähltempo ist eher beschaulich. Keine Actionszene, keine hektischen Momente. Langsam, fließend und gemütlich führt die Autorin den Leser in die geheimnisvolle Welt des Waldes ein. Genaugenommen gibt es anfangs keine klare Handlung, eher eine Aneinanderreihung von Szenen und Tagesabläufen. Mal stellen sie Apfelmost her, pflügen den kleinen Acker, musizieren sie, unterhalten sich, machen einen Spaziergang im Wald, hacken Holz und viele anderen alltäglichen Dinge mehr. Dennoch geht es im Buch stets vorwärts, sorgen kleine Andeutungen und Geheimnisse dafür, dass die Spannung konsequent steigt und niemals abbricht. Es gibt keine Längen, kein Wort, kein Absatz ist unnötig, alles bildet eine perfekte Einheit und vervollständigt das Gesamtbild am Ende.


SPRACHE

Antonia Michaelis ist eine Meisterin der zarten Andeutung. Es ist ihr möglich, schockierende Ereignisse in malerische Worte zu verpacken. Ein Tabubruch liest sich so zerbrechlich wie der Flügel der Nachtigallen, so weich wie der dunkle Samt der Kleider, so unschuldig wie der fallende Schnee. Dieser Widerspruch aus Worten und Inhalt ist der verstörende Kontrast, der das neueste Werk zu etwas Besonderem macht. Der Leser wird im Innersten gepackt, kann sich den schmeichelnden Worten nicht entziehen, nichtsahnend blickt er mit weit offenen Augen auf das Geschehen, und umso brutaler entfalten die dargebotenen Bilder ihre Wirkung.

Die Worte sitzen an den richtigen Stellen, sind perfekt gewählt, aus allen verfügbaren Synonymen das jeweils beste. Farben, Gerüche, Gefühle, sie alle haben eine Bedeutung und sorgen sowohl sprachlich als auch inhaltlich für eine dichte Atmosphäre.


ATMOSPHÄRE

Die Atmosphäre des Buches ist anfangs geheimnisvoll, mit Fortschreiten der Handlung wird sie immer bedrückender und beängstigender. Da die Autorin quasi "um die Handlung herum schreibt", nur andeutet statt beim Namen zu  nennen, ist die Bedrohung eher ein Gefühl als eine Gewissheit. Man spürt die Gefahr wie den berühmten Blick im Nacken, kann sie nicht zuordnen, bleibt in Lauerstellung, stets gespannt um vorbereitet zu sein. Wie bei einem guten Horrorfilm: je intensiver man die Handlung beobachtet, desto erschreckender ist ein unerwartet ins Bild springendes Objekt. Dies umzusetzen gelingt ihr mit Worten, wie es nur wenige Autoren vermögen.

SOLANGE DIE NACHTIGALL SINGT strahlt auch eine subtile Erotik aus, geeignet ab 16 Jahren aufgrund der Art der Darstellung, inhaltlich jedoch sehr erwachsen und erschreckend, ja sogar grenzwertig. Eine kleine Zungenspitze lugt zwischen den Lippen hervor, der Finger gleitet vielversprechend über einen Gegenstand, unschuldige Haut blitzt unter der Bluse hervor, Hände ertasten sich ihren Weg, die Silhouetten von Körpern bewegen sich wiegend im Dunkel. Ooh, der Leser hat Gänsehaut pur, teils aus Grusel, teils aus Lust, manchmal auch beides zugleich, und er kann sich nicht dagegen wehren, selbst wenn es ihm unmoralisch erscheint. Er ist eine Marionette, und die Autorin bewegt die Fäden, lässt uns hilflos zappeln und führt uns von einer Szene in die nächste.


FAZIT

Wieder hat Antonia Michaelis ein Meisterwerk erschaffen. Sie entführt uns in einen Wald, wo die Gesetze der Realität außer Kraft gesetzt werden und alles eine neue Bedeutung erhält. Düster, bedrohlich und doch feinsinnig, voller Zauber ist dieses Buch.

Wertung: 100 von 100 Fliegenpilze


SaschaSalamander 11.09.2012, 08.51 | (0/0) Kommentare | PL

Anubis

Cover Im September 2005 habe ich ANUBIS gelesen. Und weil die alten Rezis auch mal wegmüssen, weil ich "Zeitreisen" interessant finde (wie habe ich damals rezensiert, wie heute) und weil ich schon lange keinen Roman dieser Art hier vorgestellt habe - voilá, ANUBIS von Hohlbein. Damals habe ich sehr viel Hohlbein gelesen, aber dieser Titel war einer der letzten, bevor ich dann irgendwann aufgehört habe, weil ... naja, siehe Text ;-)

Und trotzdem - auch, wenn ich manchmal abfällig rede: ich finde, Hohlbein hat damals Großes geleistet, sein Beitrag als deutscher Autor ist kein kleiner, und er war in vielen Dingen Vorreiter, er hat mir unzählige Stunden voller Spannung beschert, und auch auch jetzt bin ch sofort neugierig, wenn ich höre "ein neuer Hohlbein ist draußen". Einziger Unterschied zu damals: ich wähle inzwischen sehr genau, was ich von ihm lese und was nicht ;-)

**********************

Eines der zuletzt gelesen Bücher von W. Hohlbein war "Anubis". Ich will doch schließlich auf dem Laufenden bleiben, was mein ehemaliger Lieblingsautor (viele, viele Werke lang ist´s her *smile*) heute noch so zu bieten hat. Wie viele Bücher aus dem Überreuther oder Lübbe - Verlag im klassischen Schwarz, auch von außen sofort als Hohlbein zu erkennen. Früher hielt ich das für eine Art "Gütesiegel", denn seine Schundromane sind meist nebenbei in kleinen Verlagen erschienen oder unter Pseudonym. Aber inzwischen schreibt er Billigware auch ganz offen in großen Verlagen unter seinem eigenen Nemen. Never mind, er kann es sich leisten. Vermutlich hat er schon längst ausgesorgt ;-)

Mogans vanAnt arbeitet als Professor in einer kleinen Stadt. Da tritt eines Tages Jonathan Graves in sein Leben, sein "Erzfeind". Jonathan ist der Grund, weshalb Mogans als Professor einer kleinen Universität versauern muss, anstatt seinen wahren Talenten gerecht zu werden und erfolgreich zu sein. Jonathan bittet ihn um Mitarbeit in einer großen Sache, und nach langem Überlegen willigt Mogans ein. Was er in den unterirdischen Katakomben bei den Ausgrabungen nahe der Stadt Francisco entdeckt, raubt ihm den Atem und später auch fast den Verstand!

Hm, was soll ich sagen? Ich kann nicht verstehen, warum Fans in letzter Zeit ständig enttäuscht sind von seinen Werken. Es war eine langsame, aber abzusehende Entwicklung, dass seine Romane immer oberflächlicher, langweiliger und breiter werden. Er muss Seiten füllen, soviele Handlungen für neue Romane kommen nicht aus heiterem Himmel. Also werden auch Ideen, die als Kurzgeschichte oder Novelle ausreichend wären, in die Länge gezogen. Platte Sprüche, ständige inhaltliche Wiederholungen, überflüssige Beschreibungen. Waren seine haarkleinen Schilderungen früher noch interssant, weitet er sie heute immer mehr aus. Die Dauer eines einzigen Atemzuges wird über mehrere Seiten gewalzt, bis der Leser entnervt das Buch beiseite legt. Ein Vergleich reiht sich an den anderen. Verständlich, dass sich auf diese Weise auch die Vergleiche immerzu wiederholen.

Spannung kommt auch nicht mehr wirklich auf. Hohlbein neigt dazu, inzwischen fast alles in der höchsten Klimax zu beschreiben. Er erzählt, dass es nicht schlimmer kommen kann, zwei Zeilen später schreibt er "doch es wurde noch schlimmer". So geschehen unzählige Male. Berstend, brechend, kreischend, ohrenbetäubend, atemberaubend, wahnnsinnig, überirdisch, krachend, tosend, zischend, tobend, überwältigend, furchteinflößend, unmenschlich, widerwärtig, furchterregend, ich kann diese Worte nicht mehr hören. Außerdem ist nahezu alles "falsch" oder "irgendwie nicht richtig". Dieses Wort kam im Hörspiel etwa alle 5 Minuten mindestens (!) einmal vor. Was jedoch nicht richtig ist, erfährt der Leser nie so wirklich.

Eine richtige Auflösung gegen Ende gibt es nicht, auch wenn alle Fragen weitgehend geklärt werden (für den Leser, der trotz allem eifrig bei der Sache war), manches bleibt in künsterlischer Freiheit offen für die Phantasie derer, die bis zum Schluß aushielten.

Wie gesagt, ich hatte nichts anderes erwartet. Auf den veröffentlichten Büchern von ihm werden die Titel immer kleiner, der Name immer größer. Das dürfte eigentlich ein deutliches Zeichen sein, oder? Von daher war ich nicht enttäuscht und hatte meinen Spaß. Ich habe das Hörspiel auf 6 CDs zu mir genommen, der Sprecher passte ganz gut dazu und hat mir vor allem den Protagonisten recht überzeugend dargestellt. Für eine langweilige Fahrt in der U-Bahn und ein paar Stunden Haushaltsarbeit kam mir dieser Roman gerade recht. Aber wer wenig Zeit zum Lesen hat und sich gerne mit einfacher aber dennoch bereichernder Literatur befasst, sollte besser zu etwas anderem greifen ;-)

SaschaSalamander 05.09.2012, 15.30 | (3/3) Kommentare (RSS) | PL

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