SaschaSalamander

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Thema: Rezensionen Buch

Raum

donoghue_raum_1.jpgINHALT

RAUM ist geschrieben aus der Sicht des kleinen Jack. Was der Leser schnell begreift: Jacks Mutter wurde vor sieben Jahren entführt, der Täter hält sie seitdem in einem winzigen schallisolierten Schuppen gefangen und missbraucht sie. Jack ist der Sohn des Entführers. Inzwischen ist Jack fünf Jahre alt, und was für andere Menschen Folter ist, das ist für ihn die Normalität, er kennt es nicht anders, der RAUM vermittelt ihm Geborgenheit, und seine Mutter tut alles, dass der Kleine so gut als möglich aufwachsen kann, sie unterrichtet ihn, spielt mit ihm, fordert ihn. Doch an seinem fünften Geburtstag erzählt sie Jack, dass der Raum nicht die einzige Welt ist, und dass es außerhalb dieser vier Wände mehr gibt. Die Figuren im TV sind echt, und sie kommt ursprünglich von dort draußen, und dort möchte sie auch wieder hin, und gemeinsam mit ihrem Sohn schmiedet sie nun einen wagemutigen Plan, ihrem Gefängnis zu entkommen.



AUFBAU

Das Buch ist gegliedert in fünf Teile. Ich möchte nicht spoilern, deswegen gehe ich hierauf nicht ein. Da ich vorher keine Rezensionen las, hat der Fortgang des Buches mich sehr überrascht. Anhand der Kapitel hätte ich es erahnen können, aber im Nachhinein sind natürlich Dinge klar, die man vorher nicht verstand, sodass ich über die Wendung dann sehr erstaunt war, da ich mit einem anderen Buch gerechnet hätte (und der letzte Satz, den ich so gerne lese, in der Tat einen falschen Eindruck vermittelte. Clevere Schachzug der Autorin!)



JACK

Das Buch ist geschrieben aus der Sicht des kleinen Jack. Schon nach den ersten Sätzen war er mir so sympathisch, dass ich das Buch nicht mehr zur Seite legen konnte. Es ist der Autorin sehr gut gelungen, die kindliche Sprache wiederzugeben, und der Leser hat sofort ein klares Bild vor Augen, wenn er an Jack denkt. Er ist klein und blass, er kennt kein Tageslicht, seine Haare haben noch keine Schere gesehen. Aber er ist flink und intelligent. Seine Mutter hat rund um die Uhr Zeit, ihn zu unterrichten, und spielerisch erfährt Jack mehr als so manch andere Kind seines Alters. Doch so intelligent er in manchen Dingen ist, so überfordert ist er von anderen Bereichen, die außerhalb des Raumes liegen, und die Welt draußen ist eine Belastung für ihn.

Gemeinsam mit Jack betrachtet der Leser die Welt aus den Augen eines Kindes. Naive Fragen, unschuldig, rein. Was andere Menschen täglich sehen und begreifen, ist für ihn fremd und muss erlernt werden, und so stellt er alles infrage, was für uns Alltag ist.

Dem Leser wird schmerzlich bewusst, dass alles, was Jack als Spiel empfindet, grausame Realität für seine Mutter ist. Sie spielen "Schreien" und stellen sich an das Oberlicht des Schuppens und lärmen, soviel sie können. Ein witziges Spiel, bei dem Jack sich herrlich verausgaben kann. Für seine Mutter der verzweifelte Versuch, andere Menschen auf sich aufmerksam zu machen. Das Sparen und Haushalten mit den wenigen Besitztümern ist für die Mutter eine Qual, Jack dagegen macht es Spaß, die Eier nicht zu zerschlagen sondern auszublasen und daraus eine Schlange zu basteln, sodass er wenigstens ein kleines Spielzeug in seinem RAUM hat.


ANDERE CHARAKTERE

So deutlich Jack dem Leser ist, so klar er Einblick in seine Gefühle und Gedanken gibt, sosehr sind andere Figuren verschwommen. In die Mutter kann man nicht hineinsehen, Jack beschreibt sie, er liebt sie, sie ist alles, was er hat, aber er ist noch ein kleines Kind und sieht die Welt mit anderen Augen. Und so ist vieles für ihn unbegreiflich, was sie sagt oder tut. Er ist eben ein Kind, quengelig und trotzig, und wenn er gegen seine Mutter aufbegehrt, dann zerreißt es dem Leser schier das Herz, denn der Leser weiß, wiesehr seine Mutter ihm gerne ein normales Leben bieten würde, wie gerne sie ihm Kerzen auf den Kuchen geben würde, doch Jack verlangt nur und begreift nicht, was dies wirklich bedeutet.

Der Täter, von Jack "Old Nick" genannt nach einer Filmfigur, bleibt sehr unklar. Er vergewaltigt die Mutter, aber dies ist niemals voyeuristisch. Wie sollte es auch, weiß Jack nichts von der wahren Bedeutung und findet seine eigenen Möglichkeiten, mit diesen Momenten umzugehen und sie in seine kleine Welt einzufügen. Alles, was außerhalb von Jack liegt, bleibt zu einem großen Teil die freie Interpretation des Lesers, und das ist oft schlimmer, als wenn man den Dingen einen klaren Namen geben würde ...


SPRACHE, STIL

Die Autorin verfasst das Buch in der Sprache eines Fünfjährigen. So werden Vergangenheitsformen manchmal falsch verwendet (genimmt, geschneidet, etc), einige Wörter konsequent falsch gesprochen (Scherztablette). Auch sagt er z.B. immer "anstatt" statt "statt dessen", und manchmal musste ich schmunzeln, weil ich die Übersetzung sehr gelungen fand und die Darstellung der einzelnen Begriffe und Formulierungen sehr realistisch.

Außerdem personifiert er die meisten Objekte (was gesunde Fünfjährige wohl auch tun, aber keinesfalls in diesem Ausmaß, was ein Zeichen von Jacks Deprivation ist). So spricht er von Pflanze auf Schrank, er guckt aus Oberlicht, er schläft auf Teppich und spielt mit Eierschlange. Das ist anfangs niedlich (und erschreckend, wenn man den Grund dafür bedenkt), mit der Zeit wurde es für mich anstrengend, und nach etwa der Hälfte des Buches überlas ich es dann einfach und störte mich nicht mehr daran.


PERSÖNLICHE MEINUNG

Ich habe viel Gutes über das Buch gehört, mich zuvor aber nicht zu intensiv damit befasst, um keinen Spoiler zu erhalten. Deswegen hatte ich die Befürchtung, das Buch könnte möglicherweise voyeuristisch sein oder einfach nur auf einer Welle mitreiten, wo doch inzwischen immer mehr Fälle dieser Art bekannt werden. Dies war zum Glück nicht der Fall. Das Buch mag durch einen solchen Fall inspiriert sein, befasst sich jedoch einzig und allein mit der Wahrnehmung des betroffenen Kindes. Und diese hat mit Voyeurismus, Vergewaltigung, Folter, Freiheitsberaubung und dergleichen Dingen nichts zu tun.


FAZIT

RAUM ist ein Buch, das man kaum beschreiben kann. Man muss es erleben, um es zu begreifen und zu verstehen. Man muss bereit sein, sich auf die Sichtweise des Kindes einzulassen, darf nicht analysieren. Und man muss akzeptieren, dass gerade das, was viele eigentlich lesen wollen, in diesem Buch nicht zu finden ist, einfach weil es Jack nicht interessiert. Lasst Euch von Jack an die Hand nehmen, und er wird Euch zu vielen neuen faszinierenden Entdeckungen führen, wird Euch lehren, die Welt vorübergehend mit den Augen eines Kindes zu sehen.

SaschaSalamander 27.10.2011, 09.02 | (1/1) Kommentare (RSS) | PL

Venezianische Verführung

sera_venezianisch_1.jpgINHALT

Als Auroras Eltern sterben, bekommt Leandro die Vormundschaft über die gerade einmal volljährig gewordene Dame. Der gefällt das gar nicht, sie hat ihren eigenen Kopf, und der Weiberheld Leandro als Aufpasser sagt ihr so gar nicht zu, zumal er ein ebensolcher Tyrann wie ihr Vater scheint. Leandro möchte sie standesgemäß verheiten, und noch dazu soll sie lernen das Geschäft der Eltern weiterzuführen! Sie hat stattdessen anderes im Sinn, verfolgt ihn heimlich zu seinen Orgien, vergnügt sich mit ihrer Zofe und lässt sich von Männern umschmeicheln. Dass Leandro und Aurora sich zueinander hingezogen fühlen, möchte keiner von beiden sich so recht eingestehen. Leider bringt Aurora sich dadurch ihr naives Verhalten in Schwierigkeiten. Und Leandro trägt eine schwere Bürde: als die Vergangenheit ihn einholt, bringt er nicht nur sich, sondern auch sein Mündel in Gefahr.


AUFBAU

Das erste Drittel des Buches besteht im Grunde nur aus sexuellen Handlungen, und ich hatte die Befürchtung, dass die auf dem Klappentext benannte Handlung nur ein Alibi für alle möglichen wilden Ausschweifungen sein würde. Aber nach einiger Zeit kommt die Handlung dann doch in Gang, zwischen den einzelnen Sessions, Akten, Verlustierungen gibt es auch einzelne Momente, die das Geschehen vorantreiben und dem Leser Spannung vermitteln.

Das zweite Drittel ist hervorragend, sehr gut ausgewogen aus Sex und Handlung, es kommt zu Wirrungen und teilweise auch sehr humorvollen Einlagen. Ich mag Aurora, sie ist ein ziemlich verwöhntes Gör, das wenig Ahnung aber sehr viel Interesse hat, nicht nur in sexueller Hinsicht. Einige Male musste ich laut auflachen, wenn sie mit ihrem frechen Mundwerk den Freiern Kontra gibt, sie nimmt kein Blatt vor den Mund, und sie weiß sich nicht nur mit Worten zu verteidigen.

Leandro und Aurora begehren sich, lieben sich, doch beide sind zu stolz, dies zuzugeben, sodass der Leser wieder einen Tick mehr weiß als die Protagonisten und nicht selten schmunzelt, wenn die Situation wieder einmal völlig aus dem Ruder läuft aufgrund der fehlenden Kommunikation der beiden.

Im letzten Drittel wird das, was zu Beginn leider versäumt wurde, ziemlich abrupt nachgeholt: die Handlung wird gerafft und überschlägt sich regelrecht, so als hätte man Knall auf Fall das Buch beenden müssen. Das Ende ließ sich bereits erahnen, und ich hätte es schön gefunden, wenn es sich etwas besser über das Buch verteilt hätte.


SEXUELLE ASPEKTE

Als Erotikroman möchte ich VENEZIANISCHE VERFÜHRUNG nur ungern bezeichnen. Ja, es gibt Gefühle, aber die sind hier Nebensache, ich empfinde dieses Buch vielmehr als Pornographie denn als Erotik. Und dieses Buch beweist, dass Porno sehr wohl Handlung, Niveau und Charakter haben kann!

Es wimmelt nur so von Sexszenen, in denen mal Männlein und Weiblein, mal Weibchen und Weibchen sich mit- oder aneinander verlustieren. Sie besuchen Orgien, beschäftigen sich alleine, sehen einander zu, beobachten die anderen heimlich oder vergnügen sich zu zweit oder mehreren. Ein buntes Treiben im wörtlichen Sinne. Dadurch bieten sich sehr viele Möglichkeiten, und der Leser darf fasziniert erfahren, wie viele sexuelle Handlungen doch möglich sind, ohne dass die noch unschuldige Aurora dadurch ihre Unschuld verliert. Holla, und was alles erst geschieht, nachdem sie diese verloren hat! ;-)

Verschiedenste Spielarten werden angedeutet oder explizit erwähnt. Was erwähnt wird, sind gängige Praktiken und Varianten. Was angedeutet wird, das geht in den härteren Bereich und befasst sich mit Seilen, Spielzeugen, Dominanz und unfreiwilligen Momenten. Von daher ist das Buch aufgrund der Freizügigkeit auch für diejenigen Leser geeignet, die es gerne derb und wild mögen, der dennoch niveauvollen Sprache und der soften Praktiken wegen jedoch auch passend für Leser, die lieber auf gewohnten Gewässern segeln. Ein Spagat, den ich in dieser Form noch nicht allzu oft gelesen habe und äußerst gelungen finde!


EIGENE MEINUNG

Zu Beginn hielt ich das Buch für einen einfachen Porno, es entpuppte sich jedoch recht bald als humorvolle und zugleich anregende Lektüre, die dann flink an Fahrt gewinnt und den Leser zu fesseln versteht. Ich hätte mir gewünscht, dass das Buch etwas länger gewesen wäre, um einigen angedeuteten Phantasien mehr Raum zu verleihen und um die Handlung ein wenig in den Vordergrund zu rücken.

Diese Rezension ist wieder einmal der Grund, dass ich überlege, eventuell eine Ü 18 Rubrik mit Passwortschutz im Blog einzuführen. Es gibt eine Menge, was ich hier gerne geschrieben hätte, ohne es umständlich zu umschreiben und was ich gerne näher ausgeführt hätte. Aber man muss ja nicht übertreiben, und die Zeit lässt es leider nicht zu, dass ich Rezensionen doppelt schreibe. Daher einfach als Hinweis für die Leser: dieses Buch bietet mehr, als ich es hier im jugendfreien Bereich wiedergeben könnte ;)


FAZIT

VENEZIANISCHE VERFÜHRUNG ist ein historischer Erotikroman, der ziemlich deutlich zur Sache kommt. Ich kann ihn aufgrund seiner angenehmen Sprache, des saftigen Inhalts und der insgesamt betrachtet recht spannenden Handlung eindeutig empfehlen. Zum Einstieg in das Genre ist er allerdings nicht geeignet, man sollte schon einige erotischen Titel gelesen haben ohne rot zu werden, sonst wird man hier schnell überfordert. Also ideal für alle, die mal etwas anderes möchten als das übliche brave Spiel :-)

SaschaSalamander 26.10.2011, 09.06 | (0/0) Kommentare | PL

Eine dunkle und grimmige Geschichte

gidwitz_grimm_1.jpgVORABGEDANKEN

Märchen mochte ich als Kind, und ich mag sie noch heute. Es gibt Märchensammlungen zu Themen (Verwandlungen, Königreiche, Frauen, Kinder, Tiere usw) und von Personen (Andersen, Grimm, Bechstein etc) sowie aus verschiedenen Kulturen (besonders gefielen mir die Märchen aus dem Orient). Aber trotz allem behalten die Gebrüder Wilhelm und Jakob Grimm einen Status hier in Deutschland inne, der mit nichts zu vergleichen ist. Wenn man "Märchen" sagt, meint man eigentlich "Gebrüder Grimm". Sie sind so berühmt, dass es sogar japanische Mangas gibt, etwa Kaori Yuki oder Kei Ishiyama, kürzlich stellte ich GRIMMS MANGA >hier im Blog< vor.

Ich weiß nicht, warum immer behauptet wird, die modernen Märchen seien verwaschen und harmlos? War das vor 30 Jahren in meiner Kindheit anders? Vielleicht gehöre ich zu den wenigen Kindern, die vor 30 Jahren mit "echten" Märchen aufwuchsen. Denn in den Märchen, die ich am liebsten hörte, wurde ein Mensch zur Strafe in ein mit nach innen gerichteten Nägeln beschlagenes Faß den Berg hinabgerollt, da wurde ein abgetrennter Pferdekopf in einen Tunnel gehängt und sprach zur Königstochter, da tanzte man in rotglühenden Metallschuhen, und unter der Brücke begrabene Gebeine sangen ein Totenlied. Na, harmlos finde ich das nicht. Mein Favorit, aber das wurde mir als Kind dann doch nicht erzählt, darauf stieß ich erst selbst als Erwachsene: >Wie die Kinder Schlachtens miteinander gespielt haben<.

>EINE DUNKLE UND GRIMMIGE GESCHICHTE< ist nun also nun ein modernes Märchenbuch im Stil der alten Gebrüder Grimm. Umso mehr freute ich mich, als der Verlag >ArsEdition< bei der Aktion von >BloggDeinBuch< nicht wie sonst üblich 10 Rezensenten auswählte, sondern ALLEN über 80 Bewerbern ein Exemplar dieses Buches zukommen ließ! Eine Form der Werbung, die viele Leser glücklich gemacht hat, ein herzliches Dankschön hierfür, das war eine klasse Überraschung!


INHALT

EINE DUNKLE GRIMMIGE GESCHICHTE erzählt Märchen auf eine ganz besondere Weise: die Königskinder Hänsel und Gretel fliehen vor ihren Eltern und begeben sich auf eine gefahrvolle Reise. Dabei schliddern sie von einem Märchen in das nächste, sind die Protagonisten. Das Märchen mit der Hexe und dem Ofen kommt natürlich vor. Aber die beiden sind zugleich auch die Hauptfiguren der Geschichten "Brüderchen und Schwesterchen", "die sieben Schwalben" und anderen. Als sich die Wege der beiden zeitweise trennen müssen, muss Hänsel alleine in der Geschichte "die drei goldenen Haare" dem Teufel begegnen, Gretel findet sich einem seelenraubenden Mörder gegenüber. Wie die Geschichten zusammenhängen, wäre zuviel verraten, die Handlung lässt sich vorab also nicht wirklich beschreiben, aus den Kapitelüberschriften des Inhaltsverzeichnisses lässt sich der Weg der beiden jedoch schon erahnen.

Der Autor hat nicht die bekanntesten Märchen geschnappt sondern vor allem weniger bekannte Titel genommen, was mich sehr freut. So gehören die Märchen >Der Räuberbräutigam<, >der getreue Johannes< oder >die sieben Raben< nicht unbedingt zum Allgemeingut, und ich bin froh, dass man hier nicht Rapunzel, Schneewittchen und Konsorten wählte sondern etwas ausgefallenere Titel, die junge Leser ganz sicher neugierig machen auf weitere originale Märchen der Gebrüder.


AUFBAU

Das erste Märchen "der getreue Johannes" erzählt die Vorgeschichte der beiden Königskinder und wie es dazu kam, dass sie von ihren Eltern flohen. Der Autor erlaubt sich sehr viel dichterische Freiheit, es gelingt ihm hervorragend, den originalen Erzählstil zu übernehmen, den Inhalt beizubehalten und die Märchen doch so abzuändern, dass sie eine fortlaufende Geschichte erzählen.

Besonders gelungen finde ich den Anfang und das Ende im Kontext. Adam Gidwitz schafft einen Rahmen, der sich um die Geschichten herum spannt und dort endet, wo er anfing. Die Ausgangssituation ist die gleiche wie zu Beginn des Märchens. Doch nun, herangewachsen, gereift und voller neuer Erfahrungen nehmen der Leser und die Protagonisten ihre Situation nun anders wahr. Ein tragisches Ende, und zugleich auch ein Happy End, es gab - was sonst, es ist ja ein Märchen - viele Tote, viele Verluste, doch nun sind alle fröhlich vereint. Das Leben ist ein immerwährender Kreislauf, und ich könnte mir sogar eine Fortsetzung vorstellen ;-)


CHARAKTERE

Die Charaktere sind etwas deutlicher ausgebaut als im Märchen. Während Hänsel und Gretel im Original nur in einem einzigen Märchen erscheinen, müssen sie hier gleich mehrere Abenteuer bestehen, sodass sie natürlich eine eigene Persönlichkeit erhalten. Während mir früher immer Hänsel der sympathischere von beiden war, ist es hier Gretel, die ich mochte. Die anderen Figuren bleiben im Hintergrund, es ist nicht nötig, ihnen Gewicht zu verleihen, denn es ist einzig das Buch der beiden Geschwister, ihnen gebührt die Aufmerksamkeit.


SPRACHE, STIL

Gidwitz schreibt im Ton eines klassischen Märchenerzählers, wenn auch etwas moderner, sodass es für Kinder kein Problem gibt beim Verständnis einzelner Worte. Zudem ist der Text in zwei Teile geteilt: der "normale" Text erzählt das Märchen des Geschwisterpaares, in fettgedruckten Lettern fügt der Autor seine Kommentare ein. Immer wieder weist er darauf hin, dass es JETZT an der Zeit wäre, die kleinen Kinder zu Bett zu bringen, denn gleich würde es gruselig. Er fügt ironische Randbemerkungen ein, er informiert den Leser über Gebräuche, philosophiert über den Wahrheitsgehalt von Märchen und hebt manches Mal auch den moralischen Zeigefinger.

Insgesamt ist das Buch trotz seiner teils sehr brutalen Stellen eher humorvoll gehalten, einige Male musste ich herzlich lachen, denn das Buch ist sehr ironisch. Für Jugendliche ist es bedenkenlos geeignet, für Kinder bedingt. Ich denke, Eltern sollten selbst einschätzen, ob sie ihren Kindern dies zumuten können oder nicht, sie sollten das Buch auf jeden Fall vorher selbst gelesen haben, bevor sie die erste Geschichte vorlesen ;-)


PRÄSENTATION

Der Schutzumschlag springt mit seinem dunklen Cover sofort ins Auge, scherenschnittartig erheben sich schwarze Figuren vor einem dunkelblauen Nachthimmel. Das Motiv passt sowohl vom Inhalt wie auch von der Atmosphäre her sehr gut zum Inhalt des Buches.

Das Buch innen hat nur Zeichnungen zu Beginn jedes Kapitels, auch hier finden sich düstere Scherenschnitte. Aus erzähltechnischen Gründen wird hier nicht mit Platz gespart: ein Kapitel schließt ab mit dem Wort "Ende", auf der folgenden Seite liest man "fast", man blättert um, auf der nächsten Seite ein paar Zeilen, danach "Ende", auf der nächsten Seite "beinahe". So blättert man sich rund 10 Seiten durch das Buch fast ohne Text. Ein Effekt, der trotzdem klasse ist, den Leser an der Nase herumführt und den Humor des Autoren sehr gut verdeutlicht. Zum Glück wird dies nicht überbeansprucht und geschieht nur einmal.


PERSÖNLICHE MEINUNG

Ich habe das Buch in einem Rutsch gelesen und bin absolut begeistert. Zugegeben, dieses Märchen ist mindestens so blutig wie mancher aktuelle Thriller, durch den Erzählstil des Märchens jedoch wirkt es etwas abgeschwächt. Ich fand es wirklich gelungen, wie Gidwitz die einzelnen Märchen verbindet und daraus eine neue Geschichte entstehen lässt. Stellenweise musste ich zugeben, dass ich nicht so recht wusste, wo nun das Märchen anfing und die freie Interpretation begann, sodass ich direkt im Anschluss an das Buch ausgiebig recherchiert habe.

Die Anmerkungen des Autores gefielen mir sehr, ich mag es, wenn der Leser direkt angesprochen wird, der Erzähler mehr weiß als der Leser, und wenn er dann mit dramatischer Stimme den Leser vorwarnt, das hat so etwas Absurdes, finde ich, erinnert mich ein wenig an Lemony Snicket.


FAZIT

EINE DUNKLE GRIMMIGE GESCHICHTE ist erfrischend anders als die bekannten Märchenadaptionen, die Brutalität übersteigt nicht das Maß der mir damals bekannten Märchen. Jugendlichen und märchenbegeisterten Erwachsenen kann ich dieses spannende Abenteuer uneingeschränkt empfehlen. Lasst Euch in das düstere Königreich Grimm entführen. Es gibt keinen Ausweg, und nur die Mutigsten werden am Ende den Drachen besiegen und das Königreich retten ... 

SaschaSalamander 24.10.2011, 09.11 | (0/0) Kommentare | PL

Doktorluder

minden_drluder_1.jpgDOKTORLUDER

Normalerweise schreibt Inka Loreen Minden homoerotische Literatur oder Historische Erotik, "normale" heteroerotische Literatur veröffentlicht sie unter dem Pseudonym Lucy Palmer. Dieses Mal hat Inka jedoch eine Geschichte geschrieben, wie man sie in dieser Form noch nicht von ihr kennt. Sie wollte sich auf neues Gebiet wagen, und so entstand "Doktorluder".

Ein Frauenarzt bittet seine Mitarbeiterin um ein paar "Experimente", sie lässt sich gerne darauf ein, und so erwarten den Leser einige netten Spielzeuge auf dem Gynstuhl.

Das für Inka Neue an dieser Geschichte ist die männliche Zielgruppe, wo sie sonst aus Sicht der Frau schreibt. Und so gibt es hier Dinge, die man sonst eher in männlichen Erotikbüchern liest: rieeeesige Spielzeuge von fast schon beängstigendem Ausmaß, Mehrere Höhepunkte hintereinander, Nylons, Rollenspiel, eine an sich selbst spielende Frau, weniger Gefühl als vielmehr das Hervorheben der Lust, Dauerrolligkeit. Eine gewisse weibliche Note ist allerdings dennoch erkennbar, Inka kann sich selbst einfach nicht leugnen, und an ihrer Wortwahl erkennt man klar, dass wohl eine Frau den Text geschrieben hat.

Ich finde die Geschichte einen gelungenen Spagat zwischen den unterschiedlichen Bedürfnissen der Geschlechter, hier kommt jeder auf seine Kosten. Kurz, lüstern und heiß ;-)


BONUSGESCHICHTE

Als Bonus gibt es eine zweite Geschichte, die unabhängig vom Hauptroman "Der Freibeuter und die Piratenlady" zu lesen ist. Es ist quasi eine Vorgeschichte über die erste Begegnung der beiden späteren Protagonisten. Obwohl ich das Hauptwerk (noch) nicht kenne, fand ich großen Gefallen an dieser Bonusstory, sie gefiel mir sogar einen Tick besser als die Hauptgeschichte, und sie macht große Lust auf das Buch.

Jiasia Wylde betritt eine Schänke, hat natürlich nur die dralle Wirtin im Sinn, als sich ein junges Mädchen zu ihm an den Tisch setzt, verkleidet als Mann. Sie will von ihm nähere Informationen über "das Phantom", aber er lässt sie recht schnell abblitzen, die Wirtin wartet bereits auf ihn, er hat anderes im Sinn, was der Leser dann auch ausführlich beschrieben bekommt.

Mit dieser Story nimmt Inka sich selbst und das Genre nicht ganz so ernst, bringt einige witzigen Anspielungen auf Hamburger, Coca Cola, Johnny Depp, den Fluch der Karibik sowie das Genre der historischen Liebesromane an sich auf die Schippe. Mein Lieblingssatz: "Liebe ist doch nur was für Schnallenschuhträger!"


FAZIT

Für 99 Cent wirklich geschenkt, ich finde es toll, wenn Autoren kleine "Betthupferln" veröffentlichen und freue mich schon auf Inkas nächstes Titel.

SaschaSalamander 22.10.2011, 09.12 | (0/0) Kommentare | PL

Sieben Minuten nach Mitternacht

VORABGEDANKEN

Normalerweise habe ich beim Lesen eines Buches bereits Gedanken im Kopf, was ich in die Rezension schreiben möchte. Dieses Mal nicht, ich fühle mich leer. Das Buch hat mich komplett eingenommen, sodass ich an nichts anderes denken konnte währenddessen. Und ich weiß auch nicht wirklich, wie ich das, was ich nun fühle, in Worte fassen soll. Manchmal fällt es so unendlich schwer, seinen Gedanken Gestalt zu verleihen. Es gibt Dinge, die man selbst erleben muss, weil andere sie nicht erzählen können. Und doch hat der Autor in diesem Buch es geschafft, unaussprechliche Gefühle in klare, kindgerechte Worte zu packen. Ich ziehe meinen Hut vor dieser Meisterleistung und möchte SIEBEN MINUTEN AN MITTERNACHT als ein ganz besonderes Buch für Leser aller Altersklassen empfehlen.

Die letzten beiden Kapitel dieses Buches musste ich mehrfach unterbrechen. Ich musste sosehr weinen, dass der Text vor meinen Augen verschwamm, und ich hätte gerne laut aufgeschrien über die Ungerechtigkeit, und zugleich fühlte ich mich so erleichtert und frei, als zum Schluss endlich die Wahrheit ausgesprochen wurde und das Buch zwar kein glückliches aber ein erlösendes Ende fand.


VORGESCHICHTE DES BUCHES

Patrick Ness ist Literaturkritiker beim GUARDIAN. Siobhan Dowd war Redakteurin und freischaffende Autorin, sie verstarb 2007 an Krebs. Zuvor erarbeitete sie das Exposé des vorliegenden Buches, doch sie kam nicht mehr zu ihrer Ausarbeitung. Dies hat Patrick Ness für sie übernommen, er erzählt im Vorwort die bewegende Geschichte dieses Buches.


INHALT

Conor hat jede Nacht einen schrecklichen Albträum. Und um 00.07 kommt das Monster, er fürchtet sich. Bis er sieht, dass das Monster nach Mitternacht gar nicht das Wesen aus seinem Albtraum ist. Das Monster macht ihm keine Angst, denn er hat schon viel schlimmere Dinge gesehen, und so beginnt eine seltsame Freundschaft zwischen den beiden. Bald beginnt das Monster Conor drei Geschichten zu erzählen. Der Junge versteht den Inhalt der Geschichten nicht, und die vierte Geschichte soll er erzählen, denn in ihr steckt die Wahrheit. Der Grund, warum das Monster ihn jede Nacht besucht. Doch vor dieser Wahrheit hat Conor Angst:

Conors Mutter leidet an Krebs, sie hat die Hoffnung nicht aufgegeben, doch bald wird sie sterben. In der Schule wird der Junge deswegen gemieden, die Lehrer fassen ihn mit Samthandschuhen an, er wird von Mitschülern gemobbt, seiner Freundin kann nicht verzeihen, dass sie damals den anderen von der Krankheit seiner Mutter erzählte. Er ist alleine, sein Vater ist in Amerika, und seine Großmutter mag er nicht. Das Monster ist gekommen, um ihm zu helfen. Aber helfen wobei? Kann es seine Mutter gesund machen? WOBEI das Monster ihm helfen will, erfährt Conor erst am Schluss, als er endlich in der letzten Geschichte die Wahrheit aussprechen muss.


ERZÄHLSTIL

Die Geschichte ist in sehr schlichten, kindgerechten Worten erzählt. Kurze Sätze, die umso eindringlicher auf den Leser wirken. Keine Fremdwörter, keine komplizierten Formulierungen. Dafür ein umso intensiverer Text, dessen Inhalt sich gerade jüngeren Lesern nicht unbedingt sofort erschließt. Aber das ist in Ordnung, denn auch Conor gibt zu, dass er die Geschichten nicht versteht. Erst am Ende erschließt sich die komplette Bedeutung, als der Leser Conors Albtraum erfährt. Und dieser ist weit schlimmer als das Mobbing, als der nahende Tod, als die mitleidigen Blicke der Lehrer.

Gerade, weil dieses Buch so schlicht geschrieben ist, berührt es so tief. Der Leser, gleichwelcher Altersklasse, kann sich problemlos in Conor hineinversetzen, spürt mit ihm die Hilflosigkeit, die Wut, die Angst. Und noch ein starkes Gefühl, welches ich nicht verraten möchte, weil es erst am Ende zur Sprache kommt. Es hängt unausgesprochen über dem ganzen Buch, der Leser spürt es, will es jedoch ebenso wie der Junge nicht wahrhaben, weil die Wahrheit so schmerzlich ist und weil es ein Tabuthema innerhalb des Themas sterbende Angehörige ist.


BILDER

Die Bilder empfinde ich persönlich als sehr beängstigend aber dennoch kindgerecht, da sie sehr von der jeweiligen Interpretation abhängig sind. Dürre Äste, dunkle Wälder, ein riesiger Baum-Mann, zerstörte Ruinen einer Kirche, alles in Schwarz, Weiß und Grau. Bilder, die direkt aus Conors Albtraum zu kommen scheinen. Keine klar umrissenen Konturen sondern Silhouetten, Schemen, bedrohliche Klauen, die aus der Dunkelheit nach dem Leser greifen. Sie passen sehr gut zu dem entsprechenden Text und unterstreichen die Kernaussage der jeweiligen Kapitel, vermitteln eine sehr gute Atmosphäre.

Manche Bilder sind auf einer kompletten Doppelseite vertreten, andere Bilder sind um den Text herum gemalt, der Text in die Zeichnung integriert, verwoben zu einer Gesamtheit, die Geschichte in einen passenden Rahmen setzend.


PÄDAGOGISCHER ASPEKT

Es ist harter Tobak, auf jeden Fall. Und manch einer wird sagen "das kann man einem Kind nicht zumuten". Kann man nicht? Man kann. Denn einem Kind wird es auch zugemutet, dass die Mutter stirbt, das ist tägliche Realität. Und es ist wichtig, dass Kinder sich mit solchen Themen auseinandersetzen. Conor litt in dem Buch vor allem darunter, dass die Lehrer nur mitleidig wegblickten, dass die Eltern ihm das wahre Ausmaß der Krankheit verschwiegen, dass die Großmutter ihn nicht für seine bösen Taten bestrafte. Und so wie Conor geht es vielen Kindern, die doch eigentlich darüber reden möchten. Die begreifen wollen, was geschieht. Die ihre Gefühle nicht aussprechen können, wenn die Erwachsenen um sie herum die Wahrheit leugnen. Und die Gefühle sind nicht schön, sie sind urgewaltig, glühend und mächtig, so wie das Monster. Kinder brauchen einen Erwachsenen, der sie an die Hand nimmt, der mit ihnen über Schuld, Verantwortung, Trauer, Angst, Wut, Zorn, Hass, Hilflosigkeit redet. Sie müssen erfahren, dass diese Gefühle gestattet sind, und dieses Buch kann ihnen dabei helfen, endlich über das Unaussprechliche zu reden, wofür die Erwachsenen keine Worte haben.

Allerdings sollte man gerade jüngere Kinder nicht alleine mit diesem Monster lassen. Es werden sehr viele Fragen hervorbrechen, und nicht auf alles wird es eine Antwort geben. Die Geschichten sind stellenweise verwirrend, und es wäre vielleicht sogar gut, wenn der Vorleser das Buch zuvor selbst gelesen hat, um den Inhalt der Geschichten im Gesamtkontext zu begreifen und dem Kind Fragen zu beantworten, die erst im späteren Verlauf der Handlung erklärt werden.


FAZIT

Dem Autor ist es gelungen, unaussprechliche Gefühle in greifbare Worte zu verpacken. Siobhans Geschichte, Patricks Umsetzung, das wurde zu einem ganz besonderen Buch, das ich nie wieder vergessen werde ...


SaschaSalamander 17.10.2011, 09.16 | (0/0) Kommentare | PL

7 Stunden im April

preusker_april_1.jpgEinen ausführlichen Text vorab habe ich >hier< bereits geschrieben, denn das "Dahinter" hat mich sehr bewegt. Nun habe ich das Buch abgeschlossen und möchte es Euch vorstellen und auch ans Herz legen als das Buch einer starken Frau, die sich entschieden hat, die ihr von der Gesellschaft auferlegte Opferrolle zu verlassen und sich statt dessen der Öffentlichkeit zu stellen.

Eine Inhaltsangabe des Buches kann ich nicht geben, da es kein Roman ist, sondern eine lose Sammlung an Gedanken, Erinnerungen und Meinungen. Daher möchte ich kurz beschreiben, worum es in dem Buch geht:


ANGABEN PERSON, INHALT DES BUCHES

Susanne Preusker arbeitete bis zum April 2009 als Psychologin in der JVA Straubing, bis sie von einem ihrer Klienten als Geisel genommen und mehrere Stunden missbraucht und bedroht wurde. Ihr bis dahin gelebtes altes Leben gab es nicht mehr, und die Frau, welche in 10 Tagen bereits ihre Hochzeit geplant hatte, stand vor einer komplett neuen Situation. In dem Buch 7 STUNDEN IM APRIL - MEINE GESCHICHTE VOM ÜBERLEBEN erzählt sie nun offen über die Zeit danach. In kurzen Kapiteln von jeweils rund 3 Seiten bringt sie verschiedene Themen und Gedanken zur Sprache. So erzählt sie zum Beispiel, wie eine Panikattacke sich anfühlt und in welchen vermeintlich normalen Situationen diese sie überfällt. Sie berichtet von ihren Gesprächen bei der neuen Therapeutin. Der Leser lernt ihren Ehemann, ihren Sohn kennen und erfährt, welche Auswirkungen die Geiselnahme im Nachhinein auch auf das Familienleben und die Wahrnehmung der Angehörigen hatte. Preusker lässt uns teilhaben an Treffen und Gesprächen mit Freunden, sie berichtet von einem Kontakt mit einer anderen Betroffenen. 7 Stunden sind eine vermeintlich kurze Zeit, und doch kann so viel passieren, können diese wenigen Stunden das Leben vieler Menschen komplett umkrempeln. Die alte Frau Bergmann, wie sie vor ihrer Hochzeit noch hieß, gibt es nicht mehr, nun gibt es nur noch Frau Preusker. Frau Bergmann war Psychologin. Frau Preusker ist eine Frau, die derzeit nicht mehr im Vollzug arbeitet und sich in einem neuen Leben zurechtfinden musste.

Da das Buch aus dem neuen Leben handelt (dieser Begriff des alten und neuen Lebens tauchen sehr oft im Buch auf), erfährt der Leser nichts über die fachliche Seite der Tat. Warum der Täter sie jahrelang belügen konnte, wie sie zum Thema Resozialisierung von Straftätern steht, mit welchen Gefühlen sie damals ihre Arbeit verrichtete, zu all diesen Dingen erfährt der Leser nichts. Das ist auch nicht notwendig, denn dies ist nicht das Ziel der Autorin.

Ihr Ziel ist es, anderen Menschen Mut zu machen. Sie sagt "Wenn es mir mit diesen Geschichten gelingen sollte, nur einem Menschen, der sich in einem ungewollten Leben wiederfindet, Mut zum Überleben zu machen, hat es sich gelohnt". Und im Vorwort schreibt sie "Ich werde jetzt also anfangen, meine Geschichte zu erzählen, ohne genau zu wissen, wie. Mir ist unklar und auch völlig egal, welchem literarischen Genre diese Geschichte zugeordnet werden kann. Mir ist egal, wie lange sie dauert. Mir ist eigentlich auch egal, ob sie jemals verlegt wird. Wichtig ist nur, dass ich anfange." Ihr ist es wichtig, dass ein Opfer sich nicht der Gesellschaft zuliebe verstecken muss, sondern sie will aufrütteln.


SPRACHE, STIL

Ursprünglich hatte ich geplant, das Buch an einem Stück zu lesen. Bei gerade einmal 160 Seiten kein Problem. Dachte ich. Aber ich habe es dann doch auf mehrere Tage ausgedehnt und nur einige wenige Geschichten am Stück gelesen. Manchmal ist es nicht einfach, dem Buch zu folgen, denn die Autorin spricht stellenweise bestimmte Personen an, sodass der Leser als Außenseiter die tiefgreifendere Aussage eher erahnt denn tatsächlich begreift. Dies ist jedoch kein Manko, da auch das, was man ohne Hintergrundwissen verstehen kann, sehr interessant zu lesen ist.

Sie schreibt in sehr kurzen Sätzen, welche ihre Gedankenfetzen hervorragend widerspiegeln. Manchmal schweift sie auch vom Thema ab, plaudert von scheinbaren Banalitäten, bevor sich deren Sinn bald darauf ergibt und aufzeigt, warum gerade dies für die Autorin von solch großer Bedeutung ist. Die Bedeutung einer Sache verschiebt sich, wenn jemand aus dem alten Leben geworfen wurde, dies macht sie dem Leser deutlich klar. Eine alltägliche Situation - in einer Menschenmasse angerempelt zu werden, eine Flasche Öl im Supermarkt zu kaufen - kann zu einer Bedrohung werden und in völlig neuem Licht erscheinen.

Ihre Texte enthalten häufig innere Monologe oder auch Dialoge mit anderen Personen, jedoch schreibt sie diese meist ohne Anführungszeichen. Eben Gedankenfetzen, in denen sie die Gespräche für sich wiederholt. Kein Dialog, sondern ein Gedanke über einen Dialog. Dies ist ungewöhnlich und hemmt zwar nicht den Lesefluss, sorgt jedoch dafür, dass man das Buch sehr genau lesen muss und dadurch tief in ihre Gedankenwelt hineingezogen wird, sich sehr gut in sie hineinversetzen kann.


FAZIT

Es gibt Dinge, die wird ein Mensch ohne entsprechende Vorerfahrung wohl niemals begreifen: das Gefühl einer Panikattacke. Die heftigsten Widersprüche zwischen Verstand und Gefühl. Die Reaktionen der Angehörigen. Aber Frau Preusker beschreibt dies alles sehr eindringlich, sodass man dies sehr gut nachvollziehen kann. Sie weckt Verständnis für Betroffene und dere Situation.

Betroffene Personen werden sich in diesem Buch wiederfinden. Natürlich erlebt jeder sein eigenes Trauma, geht anders damit um, reagiert auf andere Reize, doch vieles ist auch sehr typisch. Dieses Buch zeigt allen Frauen, die unter ähnlichen Problemen leiden, dass sie nicht alleine sind. Es macht Mut, dem neuen Leben selbstbewusst entgegenzutreten. Es zeigt der Öffentlichkeit: wir sind Opfer, und dafür müssen wir uns nicht schämen.

Mit ihrem Buch hat die Autorin einen großen Schritt gewagt, ich wünsche Ihr alles Gute für die weitere Zukunft in ihrem neuen Leben. Und ich danke ihr für dieses Buch.

SaschaSalamander 13.10.2011, 15.34 | (0/0) Kommentare | PL

Darf ich meine Oma selbst verbrennen

wilhelm_oma_1.jpgVORABINFO

Mit GETATTEN, BESTATTER veröffentlichte der Autor des erfolgreichen >Bestatterweblogs< im Dezember 2009 sein erster Buch. Wie auch schon in seinem Blog erzählte er unterschiedlichste Begebenheiten aus dem Alltag eines Bestatters, ich habe es damals begeistert gelesen und habe auch sonst nur allerbeste Rückmeldung bekommen. Er scheint eine "Marktlücke" entdeckt zu haben, oder besser gesagt, eine "Bedürfnislücke". Sterben ist ein Tabuthema. Jeder Mensch ist mehrfach in seinem Leben damit konfrontiert, wenn Angehörige oder Freunde von uns gehen. Doch es wird außer zu diesem Anlass kaum darüber gesprochen. Unzählige Mythen haben sich entwickelt, viele Fragen bleiben offen, und an wen kann man sich wenden in seiner Unsicherheit?


INHALT, AUFBAU

Peter Wilhelm schreibt nicht nur von seinen Klienten, von den Toten, von seinen Kollegen, seiner Familie, der Praktikantin und anderen Lebenden und Toten, sondern er geht auch auf seine Blogleser ein. Er beantwortet Fragen teils auch öffentlich, wenn sie von allgemeinem Interesse sind. In GESTATTEN BESTATTER erzählte er eher aus dem Alltag, ließ die Leser an vielen humorvollen, skurrilen, bewegenden oder schockierenden Momenten seines Berufslebens teilhaben.
In DARF ICH MEINE OMA SELBST VERBRENNEN hat er das Buch in drei Teile gegliedert:

Zuerst beantwortet er Fragen von Lesern, mal humorvoll, mal ernst. Im zweiten Teil lässt er den Leser an erzählenswerten Telefongesprächen teilhaben, die er mit Angehören führte. Abschließend gibt er vereinzelte Dialoge wieder, an denen er teilhatte oder deren Zeuge er wurde, während Angehörige über die Bestattung diskutierten. Das Ganze natürlich ein wenig "dramaturgisch aufgearbeitet", sodass er den Sinn und Inhalt widergibt ohne jedoch einen Kunden erkenntlich bloßzustellen.


SCHREIBSTIL, INFOTAINMENT

Es tut gut, dass der Autor so offen und vor allem unbefangen über dieses Thema spricht. Zwischen all den skurrilen Momenten gibt es sehr viele ernsthafte Fragen, sodass zwischen dem Humor und der Tragik des Buches auch sehr viel Wissen vermittelt wird. Seien es Mythen wie die wachsenden Haare des Verstorbenen oder das tödliche Leichengift, oder seien es auch wichtige Belange wie etwa die Besonderheiten einer Seebestattung, die Frage ob man Angehörige selbst unter die Erde bringen darf, welche Unterlagen beim Amt alles vorgelegt werden müssen, welchen Sinn eine Sterbeversicherung erfüllt, ob und wie man im Voraus seine eigene Beerdigung planen kann, und viele Dinge mehr. Dabei besteht ein Kapitel aus einer Frage und einer entsprechenden Antwort. Manchmal kann dies über mehrere Seiten gehen, meist jedoch ist es sehr kurz auf einer halben Seite beschrieben. Gerade deswegen lässt man sich leit verleiten, wenigstens schnell noch die nächste Episode zu lesen, und auf einmal hat man das Buch beendet, obwohl man vermeintlich gerade erst begonnen hat. Und das, obwohl es um ein solch vermeintlich langweiliges Thema wie die Arbeit eines Bestatters geht.

Als Bestatter hat der Autor gelernt, Menschen mit Respekt zu behandeln, und dies merkt man dem Buch an. Es ist spannend zu lesen, welche Gedanken die Menschen beschäftigen, wenn es um das Thema Tod geht. So stellt sich jemand die Frage, ob er ein amputiertes Bein bestatten lassen darf, ein anderer wüsste gerne, ob man das geliebte Haustier mit beerdigen darf (das sowieso krank ist und eingeschläfert werden müsste). Auch ist es "nett" zu erfahren, wie dringend die Sterbefälle sind und wie wenig dringend sie plötzlich werden, wenn der Zeitpunkt der Abholung sich mit der Sportschau überschneiden würde. Dringend wird es dagegen allerdings tatsächlich, wenn in einer Stunde Schlüsselübergabe an den Nachmieter stattfinden soll und der Tote noch in der Wohnung liegt. Und doch bleibt Peter Wilhelm stets gesetzt und würdevoll, sogar wenn die Witwe auf das unpassende Deckchen im Farbton "Rosa Luxemburg" besteht oder eine antiallergene Sargausstattung gewünscht wird.

Das Buch ist keinen einzigen Moment spröde oder trocken, niemals wird der Zeigefinger erhoben (wenngleich man die persönliche Meinung des Autoren deutlich heraushört, doch diese ist sympathisch und nachvollziehbar, selbst wenn er manchmal ironisch wird). Es ist schwer zu beschreiben, wie unglaublich fesselnd er sein Buch geschrieben hat. Die ernsthaften Themen sind zu lang, als dass ich sie in die Rezi einbinde, deswegen in aller Kürze meine zwei Favoriten unter den vermutlich wenig ernstgemeinten Anfragen:

S. 83
Frage: Ein Mann kommt zu Ihnen und will seine Schwester beerdigen lassen, also jetzt die Frau von seinem Bruder. Geht das in einem Reihengrab, oder müssen die Feuerbestattung nehmen?
Antwort: Ja.

S. 33
Frage: Mal eine besondere Frage, die mich und meinen Freund sehr beschäftigt. Hast Du schon mal einen Sarg mit einem Vampir beerdigt? Bitte antworten, ist kein Spaß!!!
Antwort: Vampire bekommen immer ein Urnenbegräbnis, weil durch das Kellerfenster Sonnenlicht in unseren Behandlungsraum fällt und die Vampire dabei stets zu Staub und Asche zerfallen. Ist wirklich so, ist kein Spaß!!!


FAZIT

Sterben ist ein ernstes Thema, aber noch nie wurde es humorvoller und sinnreicher aufbearbeitet als von Peter Wilhelm. Ein ideales Buch, ob nun als Geschenk oder für sich selbst, ob für die gesellige Runde oder auch gemütlich alleine auf dem Sofa. Infotainment, wie es besser nicht sein könnte.

SaschaSalamander 06.10.2011, 09.02 | (0/0) Kommentare | PL

Schwingen der Lust

blake_schwingen_1.jpgNachdem ich so begeistert von >BLUTLUST< war, musste ich natürlich sofort das neue Buch von Riccarda Blake lesen: SCHWINGEN DER LUST. Diesmal keine Vampire (sosehr ich noch immer auf den zweiten Teil dazu hoffe), sondern Engel. Dunkle Engel.

Maggie ist eine begabte aber leider nicht allzu erfolgreiche Autorin. Eines Nachts, als ihr letzter Traum nun endgültig geplatzt ist, fällt Ihr der attraktive Axel direkt auf die Motorhaube, überlebt den Sturz sogar unbeschadet. Er scheint die Lösung für Maggies Probleme, als Entschädigung für den Schaden am Auto bietet er ihr echte Diamanten, sie kann ihr Glück nicht fassen, und nicht nur sein Reichtum ist es, der ihn so anziehend macht. Als ihr plötzlich auch noch ihr Buch verfilmt werden soll, kann sie es kaum fassen, die Welt scheint perfekt. Sie ahnt jedoch nicht, dass sie nur die Marionette in einem Spiel der lichten und dunklen Engel ist, dass sie lediglich eine Prophezeiung erfüllen soll, welche das Schicksal der Menschen verändern wird. Sind die Guten wirklich gut? Und liegt das Böse nicht im Auge des Betrachters? Maggie steht zwischen den Fronten und muss am Ende ihre eigene Entscheidung treffen.

Das Buch liest sich ziemlich flüssig und spannend, ich habe es angefangen, als ich mir einen Tag Wellness in meinem Lieblingsbad gönnte, und ehe ich es mich versah, hatte ich am Stück über die Hälfte gelesen, es ist einfach genau das richtige für einen entspannten Nachmittag. Die Story ist nett, die Erotik ist ziemlich heiß, jedoch sprachlich und inhaltlich nicht zu vulgär. Die Autorin umschreibt nicht unnötig, wird aber auch nicht ausfallend sondern schreibt sehr direkt, was Sache ist.

Trotzdem stolperte ich während der erotischen Momente gelegentlich, da es einige Worte und Stilmittel gibt, die sich bei fast jeder Szene wiederholen, was manchem Leser kaum auffallen wird, anderen wie mir dagegen sofort ins Auge springt.

Auch etwas, das gefällt oder nicht: sehr viele Superlative. Nicht sprachlich, sondern inhaltlich. Ich finde es schön, wenn der Leser in eine fremde Welt entführt wird und der Autor für ihn Dinge möglich macht, die in der Realität nicht umzusetzen sind. Gerade beim Sex ist das sehr anregend, sich nicht nur auf menschliche Möglichkeiten beschränken zu müssen. Bezogen auf SCHWINGEN DER LUST heißt das:

Axel ist nicht nur reich, sondern er hat sogar Gebäude mit Bibliothek, eigenem Rummelplatz, er besitzt eine Diamantmine (klar, in all den Jahren auf Erden sammelte sich eine Menge Reichtum an), das regt die Phantasie enorm an, war mir selbst jedoch schon fast ein wenig zuviel. Dazu all die Naturgewalten, z.B. als Axel gegen Ende brüllt und selbst das Gebirge zum Erzittern bringt. Mmh, das ist mächtig, das ist gewaltig, für den einen genau richtig, für den anderen etwas ZU gewaltig.

Es ist, abgesehen vom Thema Engel, die klassische Geschichte: eine selbstbewusste Frau trifft einen reichen Mann, verliebt sich, ahnt nicht, WIE reich und WIE mächtig er ist, es kommt zu Wirrungen, ein Nebenbuhler tritt auf, man fragt sich wie die Protagonistin sich da noch befreien kann und ob die Liebe trotz des Vertrauensbruchs Bestand haben kann, und am Ende löst sich alles wunderbar auf. Der Stoff, aus dem fesselnde Bücher sind.

Ein wenig schade finde ich, dass man aus diesem Buch mehr hätte machen können. In Ansätzen hat die Autorin sehr gut recherchiert und viele interessanten Aspekte eingebracht über Engel, Nephilim, die Elohim und das Machtgefälle des Himmels, ich hätte gewünscht, dass da etwas mehr gewesen wäre, denn die Geschichte hätte die Möglichkeit dazu geboten. Sie hat mich auf jeden Fall angeregt, selbst ein wenig zu recherchieren und mich über einige Figuren und Legenden zu informieren, das Buch macht Lust auf mehr von dieser Story.

Insgesamt hat mich das Buch sehr gut unterhalten, ich hatte es recht flink durchgelesen. Sosehr begeistern wie Blutlust konnte es mich nicht, trotzdem kann ich das Buch guten Gewissens allen empfehlen, die gerne klassische Liebesromane mit Fantasyelementen lesen und es mögen, wenn die Prinzessin am Ende gerettet wird und ihren dunklen Prinzen bekommt ;-)

SaschaSalamander 05.10.2011, 09.07 | (0/0) Kommentare | PL

Secret Passions

minden_secret_1.JPGDas neueste Buch aus der Feder von Inka Loreen Minden heißt "Secret Passions" und ist wieder ein Gay Historical. Diesmal spielt es um 1850 und handelt - abgesehen von einer Liebesgeschichte zwischen zwei Männern natürlich - von einem Lord, der erpresst wird sowie von einem brutalen Serienmörder, der nachts in London sein Unwesen treibt. Ein schönes Setting, das von Jack the Ripper inspiriert sein könnte, mit dieser Geschichte jedoch rein gar nichts zu tun hat. Dafür ein Schauplatz mit jeder Menge viktorianischem Flair, "very British", genau mein Ding.


INHALT

Derek lebte als Kind auf der Straße, bis ein Inspektor ihn unter seine Fittiche nahm. Nun ermittelt er tagsüber beim Scotland Yard bezüglich des Maskenmörders, seine Nächte verbringt er gerne in einem angesehen Herrenclub, der hinter seiner Fassade ein Treffpunkt für homosexuelle Männer ist. Dort begegnet ihm ein junger Mann, zu dem er sich hingezogen fühlt.

Simon ist ein Lord aus reichem Hause, der erpresst und bedroht wird und Hilfe von Polizeiseite anfordert. Doch nachts wagt er seine ersten Schritten in den Herrenclub, streng darauf bedacht, seine Identität zu wahren. Er trifft auf einen geheimnisvollen Mann, der ihn sofort in seinen Bann zieht.

Am nächsten Tag trifft Derek auf Simons Anwesen an, um ihm zukünftig Personenschutz zu gewähren und in der Erpressung zu ermitteln. Noch wissen die beiden nicht, wer der Gegenüber im Herrenclub war, und wieder entsteht zwischen ihnen ein Band der Zuneigung, das sie sich als angesehene Männer der Gesellschaft jedoch nicht anmerken lassen dürfen. In der Zwischenzeit geschehen weitere Morde, und nur Derek weiß, dass die Opfer allesamt Besucher des Clubs waren ...

Mmh, ein Genuss! Die Autorin hat sich wieder viele neue Ideen einfallen lassen, um ihren Lesern spannende Unterhaltung darzubieten :-)


EROTIK

Klar, Liebe ist Liebe, wie soll man das immer wieder neu verpacken. Man kann das Rad nicht ständig neu erfinden. Trotzdem gelingt es Inka, jedes Mal neue Möglichkeiten auszureizen. Mal bringt sie softe SM Elemente ein, ein andermal ist es eher reiner Sex, dieses Mal darf sich der Leser auf Tantra und fantasievolle, sanfte Berührungen mit und ohne Hilfsmittel freuen. Dennoch ist es keineswegs nur "kuschlig", sondern die Männer lassen sich gehen, und einmal wird Derek von seinen Emotionen gepackt und geht sogar fast zu weit. Von den bisher gelesenen Büchern von ihr fand ich persönlich dieses hier am intensivsten, konnte ich die Verbindung zwischen den beiden Protagonisten am besten spüren.

Dies liegt vor allem daran, wie gut sich die Geschichte entwickelt und wie gut die Anziehung zwischen beiden erklärt und auch in die Handlung verpackt wird. Zu Beginn musste ich noch etwas schmunzeln, weil ich es recht typisch fand: klar, man trägt eine Maske, und schon wird man nicht erkannt! Andererseits, es ist dunkel, und Inka beschreibt nachvollziehbar, wie man wirklich nur Schemen erkennt, nicht einmal die Augen des Gegenüber richtig sehen kann. Da ist es dann verzeihlich und sogar verständlich, wenn sie sich anfangs nicht erkennen ;-)

Außerdem beweist Inka, dass Dominanz keine Macht sein muss, keine lauten Befehle, sondern dass es auch leise geschehen kann, alleine durch Gesten und Handlungen. Man spürt als Leser regelrecht die machtvolle Ausstrahlung Dereks, ohne dass er ein Wort sagen muss. Die Perspektive wechselt sehr oft zwischen den zwei Protagonisten, sodass der Leser sich recht gut in beide hineinversetzen kann.


HANDLUNG, HISTORISCHER ASPEKT

Die Handlung besteht aus den zwei Hauptsträngen der Erpressung und des Maskenmörders. Ob dies ein und derselbe Täter oder zwei verschiedene Aspekte sind, ist eine Frage, die der Leser sich bis kurz vor Ende stellen wird und welche die Spannung des Buches aufrecht erhält. Neben diesen beiden Themen gibt es noch viele kleine Nebenplots, von denen manche im Laufe des Buches eine große Bedeutung erhalten werden und andere nur so nebenbei laufen aber doch alle zum Ende aufgelöst werden. So gibt es zum Beispiel das seltsame Verhalten von James (Simons langjähriger Freund), die schwer in eine Heirat zu vermittelnde Schwester, der getötete Mr. Tipps, den Tod von Simons Familie durch einen ungeklärten Brand, eine ehemalige Verlobte und deren neuer Ehegatte, Dereks geheimnisvolle Vergangenheit, Simons Bruder Benjamin, ein anonymer Brief für Simon mit der Adresse des Herrenclubs, Dereks Freunde aus Kindertagen, ein Schuss aus dem Hinterhalt. Und natürlich das Problem, dass Derek zu Beginn seiner Ermittlungen von Simons Identität im Herrenclub erfährt und nun vor der komplizierten Situation steht, dass er Privatleben und Arbeit trennen muss ...

Etwas, das die Sache besonders spannend macht: durch die wechselnde Perspektive erfährt der Leser beide Seiten und hat dadurch immer ein bisschen mehr Ahnung als die Akteure. Während Simon noch rätselt, was seine Schwester wohl vor ihm verbergen mag, hat Derek dies bereits in Erfahrung gebracht. Das lässt den Leser verschmitzt lächeln, ohne ihm jedoch die Spannung vorwegzunehmen. Denn die Hauptthemen bleiben ungeklärt, und alles, was man aktuell erfährt, könnte bereits ein neuer Hinweis sein. Obwohl man aufgrund des Genres und der Autorin weiß, dass das Buch ein Happy End haben wird, bangt man in jeder gefahrvollen Situation auf deren Ausgang.

Für einen normalen Roman ist das Buch mit rund 280 Seiten nicht gerade dick, aber doch ist sehr viel Handlung hineingepackt. Inka gelingt es, sehr viel Geschehen in nur ganz wenige Worte zu packen. Sie vermittelt dem Leser klare Bilder, sodass sich die Atmosphäre dicht und lebendig anfühlt. Die Regel "Show, don´t tell" ist etwas, das sie meisterhaft beherrscht: sie vermeidet unnötige Worte, indem sie anhand von Gesten und Gedanken wie nebenbei komplexe Zusammenhänge darstellt.

Aufgrund der gerafften Handlung, der vielen Nebenplots und sehr vielen Personen muss man schon recht genau lesen, um den Überblick zu wahren, was ich für das Genre Erotik als großes Kompliment sehe und wohl der beste Beweis ist, dass Erotik und Handlung sehr wohl Hand in Hand gehen können. Ich gebe zu, dass ich anfangs etwas zu gierig auf die Story war und daher ein, zwei Hinweise überlesen habe, auf die später wieder Bezug genommen wurde. Vielleicht hätte ich mit diesen Hinweise schon etwas früher erahnen können, wer hinter der Erpressung und den Morden steckt, vielleicht hätte Inka mich dennoch in die Irre geführt. Auf jeden Fall webt sie sehr geschickt die Morde und die Erotik ineinander, sodass die Grenzen oft verschwimmen.

Auch die Zeit des alten England wird realistisch und detailliert geschildert. Wie oben erwähnt, benötigt sie dafür keine Handlung, sondern es gibt viele kleine Andeutungen, die alles lebendig werden lassen. Eingestreute Hinweise auf die neuen Automobile, auf das Ritual des Duellierens, die Versiegelung von Briefen, solche Kleinigkeiten verleihen der Story Flair und gefühlte Tiefe. Die Wortwahl trägt ihren Teil dazu bei, indem sie von Peelern, Blaustrümpfen, dem "Ton" und anderen Dingen erzählt, die damals übliche Begriffe waren. Für mich bot das einigen Anlass, selbst einmal bei Wikipedia und anderen Quellen nachzuforschen, ob das damals wirklich so war, was hinter der Bezeichnung steckte und wie manche Dinge gehandhabt wurden im Altag.

Die Autorin hat am Ende des Buches sogar ein Nachwort geschrieben, in welchem sie dieses Mal auf die Recherche eingeht und beschreibt, wie sie großen Wert auf detailgetreue Beschreibung einzelner Dinge Wert legte und bis zu letzt immer wieder ihren Text infrage stellte und nachprüfte, ob dies damals wirklich so war (z.B. auf welche Weise Wunden versorgt wurden). Dies bezieht sich sogar bis hin zu Redewendungen, die heute üblich sind aber in der damaligen Zeit nicht existierten und somit störende Anachronismen für den kundigen Leser darstellen würden.

Die Sprache ist in den erotischen Szenen wie ihre bisherigen Bücher, daher diesmal keine ausführliche Beschreibung, sondern eine kurze Erwähnung: Inka schreibt flüssig, sodass man nicht über allzu blumenreiche oder vulgäre Begriffe stößt. Sexualität ist etwas Natürliches, und so wird es auch geschildert, die Szenen sind anregend und gefühlvoll.

Was mich sehr freut: Inka liegen die Protagonisten all ihrer Bücher am Herz, sie haben ein Eigenleben, und so bekommen sie gelegentlich auch Cameo-Auftritte in anderen Titeln. In SECRET PASSIONS dürfen sich die Leser freuen, dem Adligen und seinem Stallburschen aus TEMPTATIONS zu begenen ;-)


FAZIT

Wieder einmal hat die Autorin sich selbst übertroffen. Von Buch zu Buch wird ihr Stil besser, werden die Protagonisten ein Stück lebendiger, wird die Handlung bildlicher, der Sex heißer. SECRET PASSIONS ist ein hervorragender historischer Krimi mit jeder Menge Erotik. Für Neueinsteiger von Inka eine absolute Empfehlung, für Fans ein Muss!

SaschaSalamander 19.09.2011, 09.20 | (0/0) Kommentare | PL

Verlockende Versuchungen

minden_versuchungen_1.jpgVERLOCKENDE VERSUCHUNGEN ist eines der älteren Bücher von Inka Loreen Minden, über viele Wochen hinweg habe ich verteilt mal hier, mal dort eine Geschichte daraus gelesen, immer wenn ich gerade ein wenig Aufheiterung brauchte. Und, anbei: zwischen all den Büchern, die ich lese und weitergebe ist dieses eines der ganz wenigen, die den Weg in mein Regal finden, denn ich finde die Ideen hinter den Kurzgeschichten einfach zu klasse.

Hier wird nahezu jedes Märchenelement geschnappt, das nicht bei drei auf den Bäumen war. Hier ein Drache, dort ein Dämon, Schneewittchen, Rapunzel und Dornröschen dürfen auch nicht fehlen, es gibt einen Zauberspiegel, Elben sind auch zu finden, und natürlich Vampire. Kunterbunt durcheinander, wild vermengt und das Ergebnis ist ein Buch, so humorvoll und zugleich auch erotisch, wie man es noch nicht gelesen hat. Ich habe versucht, einen roten Faden zu finden, doch gemeinsam ist allen Geschichten wohl wirklich nur, dass sie in einer fiktiven Märchen- oder Fantasywelt spielen und direkt oder indirekt mit Sex zu tun haben.

Da verliert ein Vampir seine Geliebte und findet sie nach langer Zeit zurück, doch gehört sie nicht einem anderen? Ein Engel und ein Dämon verlieben sich und verbringen gemeinsam ihre Zeit in den unteren Örtern, auf der Erde und im Kino. Das devote Schneewittchen wurde von den Zwergen leider an den falschen Prinzen vermittelt und klagt nun über fehlende Schläge. Die böse Moorhexe will ein unschuldiges (?!?) Mädchen verführen und wird von einem selbstlosen Jäger bezwungen. Wer ein zauberartefakt zu seinem eigenen Vorteil missbraucht, der macht Bekanntschaft mit Rapunzels lukrativem Nebenjob. Eine Elfenprinzessin soll den Prinzen des Nachbarvolkes heiraten, obwohl doch alle wissen, dass dessen Bewohner alle knollennasig und krummbeinig sind. Und einige weitere Geschichten, die den Leser ungläubig, lachend und begeistert mit dem Kopf schütteln lassen.

Was mich ein wenig störte aber meiner Begeisterung keinen Abbruch tut: die Geschichten sind stellenweise in zwei, einmal sogar drei Teile gegliedert, und diese Teile folgen nicht direkt aufeinander sondern bunt gewürfelt. Beim Lesen etwas lästig, weil man quasi ständig hin- und herspringen muss, wenn man eine Geschichte komplett lesen möchte. Dadurch habe ich, da ich das Buch ja über einen längeren Zeitraum gelesen habe, ziemlich den Überblick verloren, was ich nun alles bereits gelesen hatte und was nicht, sodass ich immer wieder nachblättern musste.

Die Stimmung des Buches erinnerte mich in nahezu jeder Geschichte an eine Disney - Parodie. Eine Prinzessin, zwitschernde Vögel auf dem Baum, dazu ein geträllerter Song im höchsten Sopran, bauschige Kleider und wunderhübsche Gesichtlein mit geröteten Wangen. Und dazu die witzigen Umschreibungen. Dazu muss man sagen, dass es wie bereits erwähnt ein älteres Buch von Inka ist, und man kann regelrecht mitverfolgen, wie ihr Stil sich schrittweise geändert und gebessert hat. Schon zu Beginn zeigte sich, dass sie talentiert schreibt, aber ein paar Schwächen gab es doch: Wortwiederholungen, klischeebeladene Worte, der Satzbau noch nicht ganz so geschliffen, trotzdem aber bereits großartige Unterhaltung.

Ich habe sehr oft gelacht über die absurden Situationen. Meine Lieblingsszene (kein Spoiler, bis zu diesem Moment der Geschichte erahnt man nichts) ist ein sterbender Mann, und zack puff steht plötzlich ein goldener Drache auf der Lichtung und bringt alles wieder ins Lot. Keine Ahnung woher, keine Ahnung wohin, aber sollten wir nicht alle so einen goldenen Zauberdrachen haben? Oder der selbstlose Jäger, der - wir sind ja im Erotikroman - der die Moorhexe mit seinem "Jagdgewehr" von hinten außer Gefecht setzt und dem wirklich außerordentlicher Dank für sein uneigennütziges Tun gebührt (wer will es schon mit einer Moorhexe treiben). Wie gesagt: skurril, völlig abgefahren und so ganz anders als alles, was man von einem Buch mit erotischen Kurzgeschichten erwartet.

Aufgeschlossen sollte man auf jeden Fall sein. Denn abgesehen davon, dass eine Menge Märchen und Fantasyfiguren aufs Korn genommen werden, gibt es hier auch so ziemlich alles: Gay, SM, Hetero, freiwillig und unfreiwillig. Wer also ausschließlich Heteroerotik sucht, oder wer sich nicht für SM begeistern kann oder eben etwas Spezielles sucht, der wird hier nicht fündig. Wer vielseitig ist und sich vorstellen kann, dass Humor und Erotik sich nicht gegenseitig ausschließen, der ist hier auf jeden Fall richtig. Absoluter Geheimtipp für alle Inka Loreen Minden Fans, die bisher nur die neueren Werke kennen ;-)

SaschaSalamander 16.09.2011, 15.28 | (1/1) Kommentare (RSS) | PL

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