SaschaSalamander

Blogeinträge (Tag-sortiert)

Tag: Jugend

Doppelrezension - Vollendet

INHALT

Der 16-jährige Connor hat ständig Ärger. Risa lebt in einem überfüllten Waisenhaus.Lev ist das wohlbehütete Kind strenggläubiger Eltern. So unterschiedlich die drei auch sind, eines haben sie gemeinsam: Sie sind auf der Flucht. Vor einem Staat, in dem Eltern ihre Kinder im Alter von 13 bis 18 Jahren „umwandeln“ lassen können.

Die Umwandlung ist schmerzfrei. Jeder Teil des Körpers lebt als Organspende in einem anderen Organismus weiter. Aber … wenn jeder Teil von dir am Leben ist, nur eben in jemand anderem ... lebst du dann, oder bist du tot?


Neal Shusterman: VOLLENDET, Sauerländer 2012;
Original: Unwind, Simon and Schuster 2007



KATZE MIT BUCH SAGT:



Die Geschichte hat mich in ihrer Umsetzung zwar an einigen Stellen angeekelt und vor den Kopf gestoßen, aber für mich hat der Autor hier ein Thema überspitzt und grotesk dargestellt, um Kritik an Gesellschaft und Religion eindringlich und nachhaltig zu vermitteln. Seine verwendeten Stilmittel haben die Aussagen noch unterstützt und sein distanzierter Schreibstil visualisiert, wie wenig der Mensch als Person wert ist. In "Vollendet" zählt nur die Hardware, nicht das Innere des Menschen, deshalb fand ich die Kälte und stellenweise Abgebrühtheit, mit der er einige Szenen schildert, nicht nur angemessen, sondern absolut notwendig.

Wertung: 5 von 5 Fischgräten
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SARA SALAMANDER SAGT:



Die Geschichte ist spannend zu lesen, die Grundidee ist hervorragend. Thematisch ist das Buch großartig. Doch in seiner Machart wirkt es lediglich wie eine Aneinanderreihung von verschiedenen Szenen, Themen und Momenten. Vordergründig spannend, dahinter fehlt jedoch das Konzept, das der Geschichte eine solide Basis verleiht und das Grundgerüst mit Fleisch und Leben füllt. Sprache und Umsetzung der Themen bleiben oberflächlich und distanziert, eine Beziehung zu den Charakteren kann der Leser dadurch nicht aufbauen. Es wurden sehr viele Möglichkeiten verschenkt. Unterhaltsam zu lesen, mehr leider nicht.

Wertung: 3 von 5 Haifisch-Tattoos
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SaschaSalamander 21.08.2012, 09.18 | (0/0) Kommentare | PL

Der Junge, der Gedanken lesen konnte

boie_gedanken_1.jpgINHALT

Valentins Vater und seine restliche Familie blieben damals nach dem Tod seines Bruders Artjom in Kasachstan, nur er und seine Mutter kamen nach Deutschland. Und nun heißt es wieder umziehen, denn seine Mutter hat eine Stelle als Marktleiterin bekommen. In seinem neuen Zuhause muss er sich erst zurechtfinden, hat noch keine Freunde. Auf dem Weg in die Bücherei begegnet er Mesut, der in seiner Straße wohnt und der ihm nicht geheuer ist. Und auf dem Friedhof lernt er Herrn und Frau Schelinsky kennen, Herrn Schmidt, "Dicke Frau" und den Friedhofsgärtner Herr Bronnislav, eine gesellige Runde. Mit ihnen versteht er sich gut, er kommt nun immer öfter auf den Friedhof. Bald freundet er sich auch mit Mesut an, der ihn begleitet. Eines Tages erfährt Valentin von einem Verbrechen, und Herr Bronnislav könnte darin verwickelt sein, aber das will Valentin nicht glauben und beginnt auf eigene Faust zu ermitteln. Dabei ist ihm seine neuentdeckte Gabe, Gedanken lesen zu können, sehr hilfreich.


FANTASY (GEDANKENLESEN)

Obwohl Valentin Gedanken lesen kann, ist dies nicht der Kern des Buches, den Leser erwartet kein Fantasy. Der weise Herr Schmidt kommentiert es treffend, wenn er meint, er habe schon so viel gesehen und erlebt, warum also nicht auch einen Jungen, der Gedanken lesen kann? Außerdem ist Valentin gar nicht so begeistert, ihm wird übel dabei, und er fühlt sich wie ein Eindringling, wenn er die persönlichen Gefühle der anderen teilt, er vermeidet es nach Möglichkeit. Eigentlich hätte man diesen Aspekt komplett aus dem Buch weglassen können, es hätte nicht gefehlt. Trotzdem bietet es natürlich zusätzlichen Diskussionsstoff und ist eine nette Ergänzung zur eigentlichen Handlung.


KRIMI (VERBRECHEN)

Die Aufklärung des Verbrechens ist wichtig, aber nicht der Kern. Valentin vergleicht sein Vorgehen immer mit der Kinderbande, von der er schon viele Bücher gelesen hat. Das fand ich nett umgesetzt von der Autorin, nimmt es doch freundlich das Genre der Kinderdetektive ein bisschen aufs Korn, obwohl es ja selbst ein Jugendkrimi ist.


MULTIKULTI

Ganz nebenbei wird auch das Thema der Multikulti-Gesellschaft angesprochen. Valentin kommt aus dem Kasachstan, Mesut ist Türke, Bronnislav ist Pole (wie er niemals müde wird zu betonen, wenn Herr Schmidt wieder "Alter Schwede" von sich gibt). Es ist allen egal, woher sie kommen, und doch bringen sie alle ihre eigenen Geschichte mit. So besteht in Mesuts Familie z.B. die Frage, ob sie den Urlaub in der Türkei verbringen wollen oder doch auf Gran Canaria. Auch Mesut erinnert sich viel an seine alte Heimat und überlegt, wo er nun hingehört. Doch wie gesagt ist dies etwas, das nebenbei geschieht und auf diese Weise den jungen Hörern ganz entspannt aufzeigt, wie Menschen verschiedenster kultureller Hintergründe miteinander auskommen und ihren Alltag erleben.


TOD UND STERBEN

Was den Großteil des Buches ausmacht, ohne sich dabei unangenehm in den Vordergrund zu drängen, das ist das Thema Tod und Sterben. Hier gehen alle verantwortungsvoll und bewusst damit um, aber ohne Tammtamm, ohne Angst. Sterben wird als ein Teil des Lebens betrachtet. Natürlich stellt sich auch die Frage, warum junge Menschen sterben müssen und ob das gerecht ist. Durch die entspannte Grundhaltung der erwachsenen Protagonisten ist das Buch sehr informativ und interessant für Kinder zu lesen. Die Freunde treffen sich auf dem Friedhof, weil sie kein Geld für einen Schrebergarten hatten, also beschlossen sie ihr Grab schon zu Lebzeiten zu kaufen und dieses kleine Fleckchen vorab zu nutzen. Sie möchten ihre "Nachbarn" kennenlernen, sie genießen das Leben und akzeptieren den Tod, freuen sich an der Natur, den wiederkehrenden Besuchern, bringen sogar Würstchen und Salat mit, sitzen auf Klappstühlen. Ob dies eine lebensbejahende Einstellung ist oder verwerfliche Störung der Totenruhe, das ist ein ständiger Streitpunkt zwischen dem Antagonisten (Verwalter des Friedhofs) und Familie Schelinsky. Kindern und Jugendlichen wird dadurch gelehrt, dass der Tod nichts Beängstigendes ist. Man soll das Leben genießen und Feiern, darf sich vor dem Tod aber nicht verschließen.

Da jedoch sein Bruder noch als Jugendlicher starb, hat unser Junge nun mit vielen Fragen zu kämpfen. Er trägt das Gefühl in sich, dass Artjom der bessere von ihnen war und er nun schlechter ist, seinen Bruder niemals ersetzen kann. Er fühlt sich schuldig, weil er kurz vor dem Unfall einen Streit mit ihm hatte, ohne den es vielleicht nie passiert wäre. Und sein Handeln richtet er stets danach, was sein großer Bruder getan hätte, denn der war klug und mutig. Während die Familie nicht mit ihm über diese Probleme reden kann und will, findet er in den Freunden auf dem Friedhof und in Mesut nun endlich Menschen, die ihm weiterhelfen. Besonders der alte Herr Schmidt gibt ihm Kraft und hilft ihm, sich von der Vergangenheit zu lösen und nun endlich vorwärts zu leben.

Und all das - ohne Zeigefinger, ohne umständliche Erklärung, sondern zwischen den Zeilen, verpackt in einen gemütlichen Krimi mit sympathischen Charakteren und zwei gewitzten jugendlichen Identifikationsfiguren.


CHARAKTERE

Zu den Charakteren habe ich im Abschnitt Genre ja eben bereits einiges erzählt. Sie wachsen dem Leser sofort ans Herz. Jugendlichen, weil sie sich in den beiden Jungs wiederfinden und von den Erwachsenen verstanden fühlen. Und den erwachsenen Lesern, weil die Kids wirklich sehr realitisch und kindlich - gewitzt dargestellt sind und die Erwachsenen mit ihrer aufgeschlossenen, lebensbejahenden Art gefallen. Jeder von ihnen trägt sein Päckchen mit sich, viele kleine Geschichten verbergen sich hinter den einzelnen Lebensläufen.

Schön zu beobachten ist auch, wie Valentin sich im Laufe der Handlung verändert: seine Einstellung zum verstorbenen Bruder überdenkt, sich mit dem anfangs von ihm gefürchteten Mesut anfreundet und wie er lernt mit seiner Gabe des Gedankenlesens umzugehen. Mit Valentin, Mesut, Schelinsky, Schmidt (samt Hund Jiffles) und Bronnislav hat Kirsten Boie Charaktere geschaffen, die mir seit dem Lesen vor einigen Tagen noch immer durch den Kopf gehen. Ich habe sie liebgewonnen, als wären es gute Freunde, und nur ungern habe ich mich am Ende von ihnen getrennt.


SPRECHER

Can Acikgöz ist ein sehr junger Sprecher, Jahrgang 2000. Er gewann 2012 den Lesewettbewerb des Deutschen Buchhandels und bekam nun die Möglichkeit, dieses Hörbuch zu sprechen. Und ich war wirklich begeistert! Mag sein, dass er erst 12 ist, dass er kein professioneller Sprecher ist, aber dafür macht er seine Sache wirklich großartig. Und ich finde es eine wirklich mutige und vor allem begrüßenswerte Idee, dass der Verlag keinen professionellen Sprecher engangiert hat sondern eben Can. Dadurch ist die CD den Kindern näher, als würde ein jugendlicher oder gar erwachsener Sprecher den Text einlesen.

Ja, hier und da macht er kleine Fehler, und natürlich hört man, dass er sich Mühe gibt (bei einem professionellen Sprecher klingt es locker und selbstverständlich). Aber gerade das macht es auch überaus sympathisch, ich habe ihm sehr gerne zugehört. Ich habe etwa eine Drittel CD gebraucht, um mich an seine Betonung zu gewöhnen (da er eben noch sehr bewusst liest, betont er genau und oft etwas zuviel, sodass die Sprachmelodie sehr ungewohnt ist im ersten Moment), und danach war ich wie gesagt ziemlich begeistert über das, was er da an Leistung abgeliefert hat. Seine Aussprache ist wirklich sehr gut und ohne weitere Beanstandungen, ein klar verständliches Hochdeutsch ohne große Ausrutscher. Sein Sprachtempo ist optimal, die Stimme klingt angenehm im Ohr und hat einen recht guten Wiedererkennungswert.

Was ich besonders anmerken möchte ist sein Talent, verschiedene Sprechweisen, Dialekte und Sprachmuster zu imitieren. Jeder Charakter hatte eine eigene Stimme, eine eigene Melodie, einen ganz eigenen Akzent. WOW! Das ist etwas, das selbst unter den geübten Sprechern nicht alle beherrschen, und Can scheint da wirklich eine natürliche Begabung dafür zu haben. Mesut mit seinem "ey Alder" ebenso wie die verwirrte "Dicke Frau" oder Bronnislav mit seinem polnischem Akzent, der bedächtige alte Herr Schmidt, sie alle bekommen ihre eigene Note verpasst, das Hören war für mich ein richtiger Genuss.


FAZIT

Ein herausragendes Kinderbuch, das wirklich allen Anforderungen von Pädagogik und Unterhaltung gerecht wird. Ich bin ja immer sehr kritisch in der Vergabe meiner Punkte, aber ich wüsste wirklich nicht, wo ich hier etwas abziehen sollte. Im Gegenteil, gerne lege ich noch ein bisschen drauf, als kleinen Bonus für Can, der hier wirklich eine bemerkenswerte Leistung erbracht hat. Can, super gemacht, ich hoffe auf weitere Kinder- und bald auch Jugendhörbücher von Dir!

Wertung: 12 von 10 Golddollar


SaschaSalamander 20.08.2012, 16.37 | (1/1) Kommentare (RSS) | PL

Über uns Stille

morton_stille_1.jpgVORAB

Der Autor ist für mich ein Garant für gute Bücher. Egal was, ich freue mich es zu lesen. Auch das Thema fand ich dieses Mal wieder interessant. Einen Atombunker habe ich selbst einmal besichtigt, natürlich keinen privaten, aber einen öffentlichen unter unserer Stadt, es war sehr beklemmend und hat nachhaltig sehr großen Eindruck bei mir hinterlassen. Ich war gespannt, was Rhue Morton aus diesem Thema machen würde.


AUTOR

Rhue Morton (eigentlich Todd Strasser) arbeitete als Straßenmusiker, Journalist und später als international erfolgreicher Autor. Am bekanntesten dürfte wohl der inzwischen auch verfilmte Roman DIE WELLE sein. Mir persönlich gefielen >BOOT CAMP< und ASPHALT TRIBE auch sehr gut, ebenso habe ich bereits ICH KNALL EUCH ALLE AB, GHETTO-KIDZ und WISH U WERE DEAD gelesen, FAMEJUNKIES habe ich noch vor mir. Markenzeichen seiner Bücher ist es, dass sogar Lesemuffel begeistert seine Titel verschlingen, er schreibt perfekt für Jugendliche, nimmt sie ernst und klärt sie zudem über wichtige Themen auf, er unterhält und regt zum Nachdenken an. Ein Autor, den ich immer wieder gerne empfehle, wenn Eltern nach Büchern fragen, die pädagogisch sind, Spaß machen und auch einen gewissen Anspruch haben.


INHALT

Eines Tages muss Scott mit seiner Familie in den Atombunker. Doch als der Alarm losgeht, kommen auch die Nachbarn, und es gelingt Scotts Vater nicht, sie aus dem nur für 5 Leute gedachten Raum fernzuhalten. So sind sie nun zu zehnt unter der Erde, zwei Wochen müssen sie warten, bevor sie wieder über die Erde dürfen. Die Nerven liegen blank. Wie sollen die Vorräte nur so lange reichen? Wie mag es gerade über der Erde aussehen?


INTENTION

Ich gebe zu, dass dies für mich ein Punkt ist, an dem ich etwas knabbere. In allen Büchern des Autors ist mir klar, was er den Lesern erzählen will. Hier habe ich mich oft gefragt, worum es ihm ging. Es werden viele verschiedene Konflikte angesprochen (siehe entsprechender Absatz). Auch das Thema Krieg, Atomkrieg, Kubakrise ist wichtig. Gerade nach Fukushima stellt sich die Frage nach der Gefahr von Atomwaffen und Atomkraftwerken, und das Thema Krieg ist leider auch immer wieder präsent. Aber worauf will der Autor hinaus? Will er aus Sicht von Scott zeigen, wie schlimm Krieg ist? Will erzeigen, wohin Schubladendenken und Kriegstreiberei führen? Oder will er einfach nur zeigen, wie es sich in einem Bunker anfühlen könnte?

Da ich das Buch ohne Vorkenntnis las (um Spoilern zu vermeiden) wusste ich auch nicht, worauf die Geschichte abzielte: da es in der Kubakrise ja nicht zu einem Atomkrieg kam - spielte das Buch in einer parallelen Realität, in der es doch passierte? Oder war am Ende alles ein Missverständnis, und die Familie war umsonst im Bunker? Dieses trug dazu bei, dass ich die 3 CDs über ständig diese ungewisse Frage im Kopf hatte. Das Ende hat klar gezeigt, welche von beiden Möglichkeiten der Autor nun gewählt hatte. Aber was er mir damit nun sagen wollte, ist mir noch immer nicht klar. Was nicht die Brisanz und Wichtigkeit des Themas infrage stellen soll. Aber beim Lesen höre ich dem Autor quasi zu, und ich möchte kein Gespräch führen bzw nicht lauschen, wenn ich mich frage wozu. Die Intention eines Buches ist für mich elementar.

Auch, wenn das Ende die Situation erklärt, ist dennoch sehr viel offen. Ich hätte mir gewünscht, dass etwas mehr geschildert wird als nur das abrupte Ende. Viele Konflikte werden nicht aufgelöst (natürlich, wie auch. Dennoch sehr unbefriedigend für den Leser), und hier am Ende könnte eigentlich direkt Teil 2 ansetzen, es wirkt wie die Pilotfolge für eine lange Serie.


CHARAKTERE

Mit Scott werden viele jungen Leser sich bestimmt gut identifizieren können. Er ist ein lebhafter Junge, baut mit seinen Freunden auch mal Unsinn, ist im Grunde aber vernünftig und weiß um Recht und Unrecht. Trotzdem geht er mit seinem Freund Torte aus der Garage der Nachbarn stehlen oder muss gelegentlich Prügel von seinem Vater einstecken für seine Untaten. Doch er beobachtet seine Umwelt genau, macht sich viele Gedanken über das Warum der Dinge. Es ist dem Autor sehr gut gelungen, die Gedanken eines Jugendlichen einzufangen und zu Papier zu bringen, realistisch und ohne sich durch irgendeine alberne Jugendsprache anzubiedern, ohne zu erwachsen zu wirken.

Die anderen Charaktere werden nur aus Scotts Perspektive geschildert, sodass man nur ihr Handeln sehen kann, nicht ihre Beweggründe. Doch auch ihr Handeln sagt sehr viel über sie aus, schnell bilden sich Sympathieträger und ungeliebte Figuren. Alle befinden sich in einer dramatischen Ausnahmesituation, und auf engstem Raum ganz ohne feste Regeln zeigt sich, was wirklich in ihnen steckt. Der Autor wertet nicht, Scott beobachtet nur, erstaunlich rational, doch immer altersgerecht.


ERZÄHLEBENEN UND DEREN WIRKUNG

Das Buch beinhaltet drei Erzählebenen. Die eine ist die erzählte Gegenwart, in der Scott, sein Bruder "Sparky", seine Eltern sowie sechs weitere Personen sich im Bunker befinden. Die Frage nach einem Anführer stellt sich, auch die Frage nach der Rationierung der Lebensmittel und Bedarfsartikel. Schwarze und Weiße, Frauen und Männer, der eher stille und zurückhaltende Erbauer des Bunkers und der wortgewaltige, körperlich starke Eindringling, sie alle sitzen sich gegenüber und müssen nun damit klarkommen: es ist nicht möglich, eingenässte Hosen zu wechseln. Die Verletzte kann nicht versorgt werden. Die Lebensmittel sind für die halbe Personenzahl gedacht, das Wasser ist unsauber und die Menge aus dem Tank nicht vorhersehbar. Bei der Notdurft können alle zusehen, und Scham muss überwunden werden. Am schlimmsten ist die Frage, was draußen vor sich geht, wo die verbliebenen Angehörigen sein mögen und wie die Welt nach dem Angriff aussehen wird (oder für den Leser: ob es überhaupt einen Angriff gab).

Weiterhin wird erzählt, wie Scott und seine Freunde die Torte stehlen, welche Konsequenzen das für sie hat. Zum ersten Mal in seinem Leben wird Scott nicht körperlich bestraft, sondern muss für seine Taten geradestehen, das ist eine sehr einschneidende Erfahrung für ihn. Auch der Streit mit seinem besten Freund ist wichtig, denn es geht um die Frage, ob sein Vater in Narr ist, solch einen vermeintlich unsinnigen Schutzbunker gebaut zu haben.

Zu guter Letzt ist da noch der Schulunterricht. Es gibt einen neuen Lehrer in Scotts Klasse. Der führt nicht einfach Frontalunterricht und vermittelt auf langweilige Weise seinen Stoff. Sondern er stellt den Schülern Fragen, die nicht so einfach zu beantworten sind, er will ihnen die Schwierigkeiten von Rassentrennung, Kriegstreiberei und eigenverantwortlichem Denken nahebringen. Diese Momente fand ich besonders gelungen, denn Morton Rhue schafft es, die komplizierten Themen in einfache Fragen zu packen, sodass die Jugendlichen sich die Antworten selbst erarbeiten können, ideale Lektüre für Schüler.

Die drei Ebenen unterscheiden sich in ihrer Farbe, ihrem Tonfall. Der Bunker ist beklemmend und erdrückend, die Erzählweise ist schwermütig, die Handlung legt sich schwer über das Gemüt. Der Unsinn erinnert ein bisschen an die alte Romantik von Tom Sawyer und Co, Lausebengel mit Herz eben, ich empfand es als bunt, quirlig und lebhaft. Die Zeit in der Schule war recht lebendig, erhellend und genau richtig für die Wißbegier der Zielgruppe, solch einen Lehrer kann sich jeder nur wünschen. Der Wechsel zwischen diesen drei Ebenen führt dazu, dass es selbst ohne konkrete Handlung niemals langweilig wird.


SPRECHER

Jacob Weigert hörte ich erstmals in dem Hörbuch >REBELLEN DER EWIGKEIT<. Seine Stimme sehr angenehm, für das Hörbuch damals nicht so ganz geeignet. Für ÜBER UNS STILLE allerdings ist er perfekt. Er spricht den Charakter des Protagonisten glaubhaft. Nicht zu emotional oder hektisch, sondern stets die stillen Gedanken des Beobachters. Die Sorgen Scotts über die gestohlene Torte, seine Gedanken zu den Fragen des Lehrers, aber auch seine bange Zeit im Bunker und die Zukunftsängste kann er hervorragend darstellen. Ich habe ihm gerne gelauscht, er war eine sehr gute Wahl als Sprecher für diesen Titel.


FAZIT

Dieses Buch gehört nicht zu meinen Favoriten von Rhue Morton, ist aber dennoch ein gelungenes Werk. In langsamem Tempo erzählt der Autor seine Geschichte, in der es weniger um die Handlung geht als vielmehr das Erleben des Protagonisten. Hätte er sich nicht zusehr in den vielen Themen verzettelt und die Aussage des Buches etwas klarer in den Vordergrund gerückt, wäre es ein Top Titel gewesen. So ist es eben ein Jugendbuch, spannend und sehr flüssig zu lesen / hören, für volle Punktzahl fehlt allerdings das "gewisse Etwas".

Wertung: 7,5 von 10 Geigerzähler

SaschaSalamander 13.08.2012, 09.11 | (0/0) Kommentare | PL

Yoda ich bin! Alles ich weiß!

Dwight war schon immer ein Loser, aber eines Tages hat er eine selbstgefaltete Yoda Fingerpuppe bei sich, und die gibt kluge Ratschläge. So klug, dass sicher ist, von Dwight können die nicht stammen. Die eine Gruppe der Schüler hält das für ausgemachten Blödsinn, die andere Gruppe glaubt an das Yoda-Orakel. Einer der "gläubigen" Schüler sammelt nun in einer Mappe die Vorfälle, um dann herauszufinden, ob das Orakel echt ist oder nur ein Betrug.

In Kürze: ein hervorragendes Buch für Jugendliche, das die Alltagsprobleme der Zielgruppe beschreibt. Kinder können grausam sein, und schnell ist man unten durch oder aus der Gruppe ausgeschlossen. Hier wird auf humorvolle Weise beschrieben, wie die Betroffenen damit umgehen. Die Situationen sind witzig und recht alltäglich, so kippt sich ein Junge beispielsweise Wasser über die Hose und sieht aus, als hätte er sich eingenässt. Ein Mädchen möchte wissen, ob jener Junge mit ihr gehen will. Ein anderer hat seine winzige Portion Süßigkeiten nicht mit allen teilen können und wird nun dafür böse gehänselt, der nächste kann einfach nicht Baseball spielen und kann sich nicht beherrschen, aus Wut über sein Versagen vor den anderen zu weinen. Situationen, die in übertragener Form wohl alle schon einmal erlebt haben. Da kommt so ein Orakel, das immer perfekte Tips hat, genau richtig.

Obwohl die Geschichten immer aus unterschiedlichen Ich-Perspektiven geschildert werden (aus Sicht der betroffenen Schüler, die einen Text geschrieben und dieser Mappe beigefügt haben), lernt man die Charaktere recht gut kennen, vielleicht sogar einen kleinen Tick besser als sonst üblich. Denn durch die verschiedenen Blickwinkel erfährt man mehr über die Mitschüler, als es aus nur einer Perspektive möglich wäre.

Der Stil ist lässig und eingängig, der Zielgruppe gerecht. Kein übermäßiger Jugendslang, aber auch nicht allzu trocken, prima in der Waage. Was den Star-Wars-Anteil betrifft, kann man die CD hören bzw das Buch lesen, auch ohne die Filme zu kennen. Zwar werden hier und da Szenen herausgepickt oder Zitate erwähnt, doch das wird entweder erklärt oder ist für die Handlung nicht relevant, eher ein nettes Gimmick für Fans.

Die Sprecher waren mir allesamt unbekannt, es sind Jugendliche, und sie alle machen ihre Sache sehr gut. Sie sprechen schon recht professionell, klingen nicht gekünstelt und schaffen es, Emotion in ihre Texte zu legen und gut damit zu spielen, das hat mir sehr gefallen. Wenn Yoda spricht, ist dies immer mit einem kleinen Jingle unterlegt, was ich ebenfalls eine nette Idee finde.

Für Jugendliche ein Spitzentitel, der die Sorgen der Jungs und Mädchen ernst nimmt und dabei witzig unterhält. Für Erwachsene sind die Probleme und Themen dann doch zu jugendspeziell, wer Star Wars mag und gerne auch reine Jugendlektüre liest, dem wird es gefallen, aber ein All-Ager ist es sicher nicht.

Wertung: 8,5 von 10 Twist-tanzende Omis


SaschaSalamander 12.07.2012, 08.58 | (1/1) Kommentare (RSS) | PL

In Liebe, Brooklyn

schroeder_brooklyn_1.jpgINHALT, GENRE

Lucca ist gestorben. Seine Freundin Brooklyn ist nicht fähig, ihre Trauer zu bewältigen. Sein Bruder Nico läuft wortwörtlich davon, sucht seinen Trost im Laufsport. Ein Jahr nach dem Unfall verstirbt auch Gabe, war es eine Überdosis oder war es Absicht, weil auch er den Tod des Jungen nicht verkraftet hat? Nach Gabes Tod leidet Brooklyn unter immer schlimmeren Albträumen, gleichzeitig erhält Nico vom Geist seines Bruders den Auftrag, Brooklyn zu helfen. Werden die beiden in ihrem Kummer zueinanderfinden?

Obwohl es darum geht, wie Nico und Brooklyn zueinanderfinden und es ein Buch voller Sanftheit ist, ist es kein typischer Roman um Jugendliebe. Eher würde ich das Buch im Bereich Drama und Entwicklung einordnen. Und obwohl Luccas Geist indirekt darin vorkommt, sehe ich es nicht als Fantasy, dieser Aspekt ist vielmehr ein weiteres Symbol der Autorin, hier stellvertretend für die Verbundenheit zwischen Nico und seinem Bruder.


COVER

Lasse ich Cover und Gestaltung normalerweise außen vor, so ist es hier unbedingt erwähnenswert. IN LIEBE BROOKLYN ist im Format etwa so groß und breit wie eine kleine Geldbörse, passt also auch gut in die Hosentasche. Das Cover in zartem Rosa und Grün glitzert leicht metallisch, springt sofort angenehm ins Auge. Das Papier ist sehr dünn, wie man es von Minibüchlein (vor allem Bibel, aber auch andere) kennt. Das sagt natürlich alles noch lange nichts über den Inhalt des Buches, aber es wirkt schon vor dem Lesen sehr ansprechend, wie ein kleines Tagebuch, es lädt vor allem weibliche Leser ein, es aufzuschlagen, sich in den Worten darin zu verlieren.


SPRACHE, GESTALTUNG, AUFBAU

Das Buch ist klein und dünn, die Seiten sind auch nicht wie gewohnt komplett bedruckt. Statt dessen ist das Buch in freier Versform geschrieben. Es reimt sich nicht, sieht jedoch hübsch aus und vermittelt Poesie, Lyrik. Dennoch ist die Sprache nicht einem Gedicht entsprechend gewählt oder gehoben, es liest sich normal und flüssig wie jedes andere Buch dieser Art auch. Vielmehr erinnert es mich an die Tagebucheinträge junger Mädchen, die ihren Gedanken auf diese Weise Form verleihen. Der Zielgruppe des Buches entsprechend ist das eine wunderschöne Idee, für mich hätte es das allerdings nicht gebraucht, mir ist die Aufmachung eines Buches und die Gestaltung der Textform egal, ich bin da ganz pragmatisch. Trotzdem, eine hübsche Idee, die Blicke auf sich zieht und gefällt. Mir ist aktuell kein anderes Buch bekannt, das in dieser Form veröffentlicht wurde.

Es liest sich insgesamt sehr flüssig, wie ein normaler Roman. Was mir besonders gefällt ist der Subtext. Die Geschichte wird hier zum geringsten Teil durch Worte erzählt als durch das, was ungesagt bleibt. Das Buch enthält sehr viele Symbole, und man merkt, wie im Laufe des Buches immer häufiger schöne, angenehme Symbole auftauchen - auch ohne dass Brooklyn erwähnt, dass es ihr besser geht, erkennt der Leser ihre langsam wieder aufkeimende Lebensfreude alleine anhand kleiner Symbolbilder. So spielen Comics zu Beginn eine sehr wichtige Rolle, werden immer seltener, bis Brooklyn es eines Tages ganz vergisst. Dafür kommen die Blumen wieder in ihr Leben, beginnt sie das Laufen. Auch Hunde zu Beginn als Sinnbild für Vergänglichkeit und Tod, Zwang und Unstimmigkeit, bis sie am Ende nach und nach zu einem Sinnbild des Lebens und der Freude, der freien Entscheidung und des Miteinanders werden. Auf diese Weise erzählt die Autorin die Geschichte auf hintergründige Weise, es gibt sehr viel zu interpretieren, assoziieren, es fällt leicht, sich einfach fallenzulassen und ganz dem Fluss der Handlung zu folgen.

Mit Fortschreiten der Handlung ändert sich nicht die Sprache, jedoch die Art und Form der Texte sowie deren Zusammenhang. Anfangs  liest man lediglich die Tagebucheinträge von Brooklyn und Nico sowie Brooklyns Briefe an den verstorbenen Lucca. Ein Mail von Nico an Brooklyn ist der Wendepunkt: bis dahin verfolgte man die Leben der beiden parallel, nun beginnt es sich zu verstricken, oft spielen sie sich gegenseitig den Ball zu. Nico erzählt den Beginn eines Treffens, Brooklyn beendet es, Nico reflektiert es anschließend. Die Briefe an Lucca werden seltener. Lisa Schroeder ist es in der Tat gelungen, ein durch und durch in sich stimmiges Buch zu schreiben, bei dem das Äußere, die Sprache, der Aufbau und die Charaktere eine wundervolle Einheit bilden.


CHARAKTERE

Brooklyn und Nico gehen unterschiedlich mit ihrer Trauer um. Als Leser erlebt man beide sowohl von außen (aus Sicht des jeweils anderen betrachtet) als auch von innen (durch ihre Tagebucheinträge). Zwei grundverschiedene Menschen, die in kleinen Schritten zueinanderfinden. Nico ist nach außen hin locker, er trainiert, arbeitet, erfüllt seine Pflichten, doch in ihm nagt die Trauer, er fühlt sich als Sohn vernachlässigt, gibt sich stark doch fühlt sich schwach. Brooklyn dagegen ist innen wie außen zerbrechlich, sie weint, ist hilflos und ist kurz davor, sich aufzugeben. Doch der Leser wird von Selbstmitleid und Gejammer verschont, vielmehr sind es melancholische Gedanken, denen man gut folgen kann.


FAZIT

IN LIEBE BROOKLYN überzeugt durch sein ungewöhnlich hübsches Aussehen ebenso wie durch seinen filigranen Text und die hervorragend aufgebaute Geschichte. Ein in sich absolut stimmiges Buch, hervorragend geeignet für einen Nachmittag mit Tee und Keksen.

SaschaSalamander 07.07.2012, 14.20 | (0/0) Kommentare | PL

Mein böses Herz

dorn_herz_1.jpgBisher habe ich von Wulf Dorn nur Thriller für Erwachsene gelesen, die mich sehr gut unterhalten hatten. MEIN BÖSES HERZ ist nun ein Jugendthriller, und ich war gespannt, ob der Autor diesen Spagat hinbekommen und wie er das Thema umsetzen würde.

Doro zieht mit ihrer Mutter in einen neuen Ort. Dort erhält sie auch gleich ihre ersten Therapiesitzungen bei einem neuen Psychiater, denn seit dem Tod ihres kleinen Bruders leidet sie unter Halluzinationen. Eigentlich dachte sie, sie hätte alles im Griff, es würde besser. Doch statt dessen nun kommen neue Halluzinationen hinzu. Oder sind es gar keine Wahnvorstellungen, geschehen die seltsamen Dinge wirklich? Die Polizei, ihr Therapeut, ja sogar die Mutter halten sie für krank, doch Doro weiß, was sie gesehen hat ...

MEIN BÖSES HERZ gefiel mir ehrlich gesagt sogar besser als die Erwachsenenromane des Autors. Er hat sich gut in das junge Mädchen hineinversetzt, ihre Ängste und Probleme geschildert. Auch lernt Doro zwei Jungen kennen, verliebt sich in einen davon (der bereits vergeben ist) und freundet sich mit dem anderen an. Zum Glück hat er keine Romanze eingebaut sondern das Thema einfach laufenlassen, Doros Gefühle kommen beim Leser an, doch dankenswerterweise verzichtet Dorn auf jegliche romantisch-kitschigen Superlative. Doro ist eine toughe Heldin, die mir sehr gut gefällt.

Der Thrilleranteil ist für Jugendliche genau richtig. Doro hat recht unheimliche Halluzinationen, und die Erinnerung an ihren toten Bruder und sein verzerrtes Gesicht holen sie immer wieder ein. Obwohl ihre Unschuld bewiesen ist, kann sie sich nicht an die Nacht vor dem Tod erinnern und gibt sich Schuldgefühle, nach und nach wird das Bild klarer und erschreckender. Auch das unheimliche Geschen, das Doro gesehen hat (?), sorgt für Spannung, während das Mädchen auf eigene Faust ermittelt. Trotzdem ist alles in einem Ton geschrieben, den ich für Jugendliche angemessen halte, es gibt weder sinnlose Gewalt noch unnötige Grausamkeiten, dafür jede Menge atemlose Spannung und unheimliche Momente.

Schnell wird klar, dass man niemandem trauen darf. Doro verliert sich zwischen Wahn und Wirklichkeit, und auch der Leser erhält keine Aussage darüber, was tatsächlich real ist. Nun gut, es ist ein Thriller, irgendetwas geht also tatsächlich vor sich, doch wie hängen die einzelnen Geschehen zusammen?

Das Ende kam mir etwas zu abrupt, nicht bezogen auf Länge und Handlungsaufbau, sondern im Hinblick auf die Lösung. Es schien mir "hervorgezaubert", sodass auch andere Personen hätten involviert sein können ohne dass man das Buch dafür hätte abändern müssen. Diese Art Überraschung / Auflösung mag ich nicht, denn sie weckt bei mir das Gefühl, dass der Autor sich während des Schreibens gerne ein paar Optionen für das Ende offen lassen wollte, zudem stellt sich die Frage, welchen Zweck die Handlung vor der Auflösung verfolgte. Ich bevorzuge straffere Plots mit kleinen Hinweisen, bei denen man am Ende weiß "es lag doch auf der Hand". Da ich allerdings das gekürzte Hörbuch vorliegen hatte statt den Roman, kann ich nicht sagen, ob es im Roman ähnlich spontan ist (allerding glaube ich nicht, dass man für die Auflösung relevante Elemente kürzen würde).

Das Hörbuch selbst - da gibt es nicht viel zu sagen außer: Laura Maire. Meine persönliche Nummer 1 unter den Sprecherinnen. Sie hat eine ausdrucksstarke Stimme, mit der sie das Hörbuch jedes Mal zu einem besonderen Erlebnis macht. Freude, Verliebtsein, Begeisterung, Trauer, Verzweiflung, Angst, Panik, sie ist unglaublich wandelbar. Es gelingt ihr, sogar kleine Nuancen noch punktgenau herauszuarbeiten und den Charakteren dadurch nicht nur Leben, sondern sogar eine Persönlichkeit zu verleihen. Mein Lob und meine Anerkennung für diese Leistung :-)

Abschließend kann ich nur sagen, dass MEIN BÖSES HERZ ein spannender Jugendthriller ist. Trotz des eher enttäuschenden Endes habe ich die Zeit mit Doro sehr genossen und freue mich bereits auf den nächsten Roman des Autors, welches Genre und welche Zielgruppe auch immer.

8 von 10 Stoffhasen

SaschaSalamander 21.06.2012, 11.14 | (0/0) Kommentare | PL

Schweig still, süßer Mund

INHALT

Jana und Ella sind seit Kindertagen unzertrennliche Freundinnen, keine würde einen Schritt ohne die andere tun. Und dann, eines Tages, ist Ella einfach verschwunden. Sie hat ihre Termine nicht abgesagt, erscheint nicht zur Theaterprobe und ist kurz vor der letzten Abiprüfung weg, einfach weg. Doch da Ella bereits 18 ist, gilt sie nicht mehr als Jugendliche, und die Polizei sieht keine Notwendigkeit, eine Suchaktion ins Leben zu rufen. Also beginnt Jana mit ihren Freunden auf eigene Faust zu ermitteln. Doch je mehr sie über Ella zu erfahren versucht, desto mehr erkennt sie, dass ihre Freundin Geheimnisse vor ihr hatte. Je mehr sie herausfindet, desto größer werden ihre Zweifel, ob sie überhaupt das Richtige tut. Gleichzeitig kommt sie dem Täter immer näher und bringt sich damit selbst in Gefahr.


CHARAKTERE

Jana als Protagonistin ist gut ausgearbeitet. Das Buch ist in großen Teilen in der personalen Sichtweise verfasst, und gerade Jugendliche Leser werden schnell Zugang zu ihr finden. Stets erhält sie unterschiedliche Signale von Freunden, der Polizei, ihrer Familie, und immer wieder muss sie entscheiden, ob sie auf ihre Umwelt hört oder ihre innere Stimme. Dieser Zwiespalt trägt einen Teil der Spannung des Buches und ist gelungen umgesetzt.

Andere Charaktere werden aus Sicht Janas erlebt, sodass ihre Motive unklar bleiben. Viele sind im Laufe der Handlung verdächtig, niemandem kann man trauen. Auch Janas Familie wird eher am Rand behandelt. Lediglich die große Schwester bekommt eine wichtige Rolle, die jedoch lange Zeit ebenfalls unklar bleibt, die Mutter als mahnende Instanz und moralisches Gegengewicht zu Janas innerer, impulsiver Stimme.

Auch in die Sicht des Opfers (hier aus Spoilergründen keine Information) wie auch des Täters gewinnt man einen Einblick. Bald fragt man sich, ob es sich wirklich um eine Straftat handelt und was tatsächlich vorgefallen sein könnte. Entführung? Mord? Lösegelderpressung? Rache? Ein Unfall? Ein Missverständnis?


SPRACHE

Die Sprache und Erzählperspektiven machen das Buch abwechslungsreich, insgesamt liest sich SCHWEIG STILL, SÜßER MUND flüssig und direkt. Der Großteil ist aus Janas personaler Sicht geschrieben. Den Täter liest man als ich-Erzähler. In die Erlebniswelt des Opfers hat man zu Beginn wenig Einblick, der Stil wird immer intensiver, je näher Jana der tatsächlichen Lösung kommt. Dazu gibt es die Emails, die Jana an Ella schickt: Jana ist sich unsicher, ob sie das Richtige tut, und um Ella im schlimmsten Falle ihr Verhalten später zu erklären, schreibt sie diese Mails, rechtfertigt sich für ihr impulsives und nach außen hin unvernüftiges Verhalten. Der Sprachstil hier ist umgangssprachlich und passend für eine 17jährige. Gelegentlich schreibt Jana auch ein Mail an ihren Vater, diese sind in anderem Tonfall gehalten. Auch die Antwort des Vaters sowie einzelne Mails von möglichen Zeugen als Reaktion auf die Internetsuchaktion sind alle in eigener Sprache verfasst. Dadurch hebt sich das Buch für mich aus dem Einheitsbrei der Jungmädchenliteratur deutlich ab, die Autorin bringt Abwechslung in das Geschehen und vermittelt einen netten kleinen Einblick in ihre Schreibkünste.


AUFBAU, GENRE

Es braucht ein wenig, bis das Buch in die Gänge kommt. Da es sich um einen Thriller handelt, weiß der Leser natürlich, dass mehr hinter Ellas Verschwinden steckt, doch außer Jana sieht anfangs niemand wirklich einen Grund zur Sorge. Eine Wende kommt in dem Moment, als Jana über die ersten Ungereimtheiten stolpert und erkennt, dass sie vieles über ihre vermeintlich beste Freundin nicht wusste.

Immer mehr Puzzleteile erhält der Leser von Tag zu Tag (die Kapitel sind in Tage gegliedert), Jana leistet Detektivarbeit, sie forscht nach Hintergründen, befragt Betroffene, sucht Schauplätze auf, die Autorin hat die Möglichkeiten einer 17jährigen nachvollziehbar und glaubwürdig geschildert. Durch die unterschiedlichen Erzählperspektiven erfährt der Leser mehr, als Jana selbst weiß. Während sie also von Selbstzweifeln geplagt wird, weiß der Leser um die drohende Gefahr. Dennoch erfährt der Leser nur Bruchstücke, sodass oft die Frage auftaucht, ob Janas Handeln hilfreich ist oder für sich und das Opfer alles noch schlimmer macht.

Janet Clark legt viele falschen Fährten. Erfahrene Bücherwürmer ahnen schnell, wer der Täter ist, noch bevor dies aus seiner Erzählperspektive ersichtlich ist. Trotzdem ist die Geschichte clever aufgebaut und bietet ebenso Hinweise wie auch Tricks. Es ist erkennbar, dass die Autorin ausführlich geplottet hat, denn oft fallen Andeutungen, die später aufgegriffen werden, Nebensätze vom Anfang des Buches gewinnen an Bedeutung, der rote Faden ist klar erkennbar. Mir fielen trotz der vielen Stränge keine Fäden auf, die ins Leere führten.

Einen geschickten Schachzug finde ich auch, dass dem Leser die Gefahr umso bewusster wird, je mehr Jana an sich selbst zweifelt und ihre Aktivitäten zurückschraubt, sich auf andere Dinge konzentriert. Man möchte fast ihr fast zurufen, selbst eingreifen und ihr Mut zusprechen.

Trotzdem würde ich das Buch nicht als Thriller verkaufen. Gut, "Thriller" vermarktet sich vielleicht besser, aber es ist eine Irreführung. Ich empfinde SCHWEIG STILL, SÜßER MUND eher als Krimi, da der Schwerpunkt weniger auf der Bedrohung und Spannung als vielmehr der Ermittlung und Tätersuche sowie der Ausarbeitung Janas liegt. Jana erlebt eine Entwicklung in diesem Roman, sie wird von ihrer heilen Kinderwelt plötzlich in die harte Realität geworfen: ihr unbedachtes Handeln hat strafrechtliche Konsequenzen, sie muss existenzielle Entscheidungen fällen auch gegen den Willen ihre Familie, sie zweifelt an bis dahin grundlegenden Werten wie Freundschaft, Familie und Loyalität, ihre Welt gerät ins Wanken. Für wen Thriller gleichbedeutend sind mit Blut, Gewalt und stetiger Gefahr für Leib und Leben, der könnte enttäuscht sein. Wer aber die oben genannten Aspekte als spannend empfindet und sich begeistert auf die einzelnen Puzzleteile stürzt, wird das Buch lieben.


THEMEN

Freundschaft, Familie, Loyalität, erste Liebe, geschiedene Eltern, das sind die Dinge, die Jana beschäftigen und die somit auch einen Teil des Buches ausmachen. Doch In SCHWEIG STILL, SÜßER MUND werden noch weitere Themen angeschnitten, die besonders für Jugendliche aktuell und allgegenwärtig sind. Ein großes Thema möchte ich nicht konkretisieren, da es zum Tatmotiv hinführt. Es ist auf jeden Fall sehr schön herausgearbeitet, wie wenig Gedanken sich die Menschen machen über die Hintergründe, und wie schnell einzelne Personen aufgrund (Spoiler) verurteilt werden.

Insgesamt hervorgehoben ist auch die Bedeutung der Medien. Die Jugendlichen nutzen eine Homepage sowie verschiedene soziale Netzwerke für die Suche nach ihrer Freundin. Wertfrei werden dabei die Vorteile aufgezeigt, aber auch die Risiken und Probleme. Gerade der lässige Umgang mit dem Internet wird thematisiert. Die Autorin zeigt auf, was ein Mensch von sich alles unbedacht preisgibt, aber auch, wie die Presse und die öffentliche Meinung einen Sachverhalt verfälschen können. Jana trat, als sie die Polizei zur Suche nach Ella bewegte, eine Lawine los, mit der sie nicht gerechnet hatte, die Konsequenzen hieraus werden sehr schön ausgeführt.

Interessant finde ich auch die ethische Frage, was am Ende zählt: das Ergebnis der Tat oder deren Beweggrund. Sowohl bei Jana wie auch dem Täter wird diese Frage immer wieder gestellt. Die Antwort hierauf muss der Leser für sich selbst finden.

Es wird außerdem sehr schön dargestellt, wie leicht man einem fremden Menschen vertrauen kann. Verbrechen ist nicht schwarz-weiß, und jeder könnte der Täter sein. Sollte Jana deswegen alle Menschen meiden, sich verbarrikadieren und niemanden mehr an sich heranlassen? Aber wie kann sie auf der anderen Seite jemandem vertrauen, wenn sie doch weiß, dass der Täter jemand sein muss, dem Ella vertraute? Auch dies ist eine Frage, die nicht beantwortet wird.


ETWAS KRITIK

Ein paar Kleinigkeiten möchte ich, so begeistert ich insgesamt von dem Buch bin, dennoch anmerken. Besonders das Ende war sehr dramatisch, es kam alles geballt, und ich muss ehrlich sagen, dass ich nicht ganz einverstanden war mit dem Schluss. Ich verstehe die Botschaft dahinter, doch ich stehe dem sehr skeptisch gegenüber. Gerne würde ich näher darauf eingehen, aber es versteht sich, dass das nicht möglich ist

Ebenso die Frage, ob die Autorin nicht ein wenig übertrieben hat mit der Vorgeschichte einiger Charaktere. Über das Buch verteilt in Ordnung, doch hier ballt sich alles in den letzten wenigen Seiten, sodass es für mich etwas übersteuert wirkt. Es ist durchaus realistisch, und auch die Motive kann ich nachempfinden, trotzdem etwas zuviel des Guten.

Stellenweise hatte das Buch ein paar Längen. Die Treffen mit den Freunden, die Ermittlungsarbeit, ihre Selbstzweifel, die Gespräche mit der Schwester, das wurde sehr gut herausgearbeitet, mancherorts etwas zu gut, zu ausführlich. Etwa 50 Seiten hätte man das Buch gerne kürzen dürfen, ohne dass es an Substanz und Inhalt verloren hätte.

Etwas, wofür die Autorin nichts kann: die Vermarktung des Buches ist ziemlich daneben. die rosa Blumen auf dem Cover und der Titel lassen auf ein reines Mädchenbuch schließen (der Titel weniger in der Aussage als vielmehr in der Wahl seiner Worte und den hervorgerufenen Assoziationen). Das ist etwas, was viele ältere Leser sowie das männliche Publikum abschreckt, obwohl durchaus Erwachsene und auch junge Männer Gefallen an SCHWEIG STILL, SÜßER MUND finden werden. Auch die Klassifizierung als Thriller weckt Erwartungen beim Publikum, denen das Buch nicht gerecht werden kann. Es ist ein hervorragender Krimi und ein sehr schöner Einblick in Janas Entwicklung, jedoch kein Thriller. Sowohl die erwartete Romantik (Blümchen, "süß") als auch der Thrill bleiben aus. Das Buch ist hervorragend, allerdings etwas komplett anderes als erwartet.


FAZIT

SCHWEIG STILL, SÜßER MUND ist ein unterhaltsamer Jugendkrimi, der sich im Aufbau sowie der Klarheit und Aktualität seiner Themen deutlich aus der Masse der derzeitigen Jugendliteratur abhebt. Das Buch liest sich schnell, und oft wird der Leser angeregt, sein eigenes Verhalten zu hinterfragen. Der Inhalt des Romans lässt sich gut auf den Alltag übertragen. Ein Buch, das ich sowohl jüngeren Jungendlichen wie auch Erwachsenen bedenkenlos empfehlen kann.

SaschaSalamander 19.06.2012, 17.06 | (0/0) Kommentare | PL

Delirium

oliver_delirium_1.jpegIm Web finden sich bereits unzählige Rezensionen zu dem Buch DELIRIUM, allzu neu ist es auch nicht mehr, also werde ich das Buch jetzt nicht zerlegen und detailliert auf einzelne Punkte eingehen, schreibe statt dessen nur einen allgemeinen Eindruck darüber, nachdem ich es in den letzten Tagen gehört habe.

Kurz zur Handlung: Magdalena lebt in einer Zeit nach der unseren, Liebe wurde verboten, nach dem 18ten Geburtstag wird man "geheilt". Alles ist rational und praktisch in der Gesellschaft, Ehen werden nach einem festen System geschlossen, bei dem die Menschen aus einer Liste einen potentiellen Partner wählen dürfen, Kinder werden ohne Liebe, dafür jedoch höchst praktisch und pädagogisch erzogen. Bald ist es so weit, dass Lena "geheilt" werden soll, noch genießt sie die letzten Wochen ihres Schulabschlusses und die Zeit mit ihrer besten Freundin. Doch dann lernt sie Alex kennen, sie verliebt sich, und plötzlich sieht sie die Welt mit anderen Augen, die langersehnte Heilung wird zu einer unausweichlichen Bedrohung!

Die Idee selbst ist nicht neu, unter den aktuellen Veröffentlichungen allerdings ist der Gedanke noch recht unverbraucht. Das Thema klingt interessant, und ich war recht angetan von dem Buch. Der Anfang liest sich sehr flüssig, ich fand die Darstellung von Lenas Welt recht interessant.

Für mich selbst möchte ich das Buch in zwei Teile teilen: der erste Teil ist bezogen auf die Emotionen neutral, denn Lena freut sich auf den Eingriff, hat ihre Gefühle wie es von der Umwelt erwartet wird unter Kontrolle. Alles wird rational geschildert, man erfährt wenig über die Welt an sich, dafür jedoch über Lena und ihr Umfeld, lernt bald darauf auch Alex kennen. Lena besucht verbotene Treffen, erhält einen ersten Einblick, dass es mehr gibt als das, was man nach außen propagiert. Dieser Teil gefiel mir sehr gut, da er sich sehr stark von den üblichen Dystopien unterscheidet.

Ganz ehrlich? Zielgruppe sind meist junge Mädchen, und entsprechend sind viele Bücher sehr kitschig gehalten, die Emotionen kochen hoch, überall Blümchen, Schmetterlinge, unendliche Liebe und alles rosarot. Handlung oft nett, aber der Schmalz ein unnötiges Übel. Umso mehr habe ich es genossen, dass die erste Hälfte des Buches so anders war und sich dadurch deutlich vom Mainstream abhob, ich war begeistert und ging davon aus, ein ganz besonderes Buch in den Händen zu halten, was Inhalt, Aufbau und Machart betrifft.

In der zweiten Hälfte erfährt man wesentlich mehr über die zukünftige Welt ohne Liebe, der Leser bekommt gemeinsam mit Lena einen Blick "hinter die Kulissen", erfährt von dem, was die Medien verschweigen und was niemand öffentlich zugeben würde. Das gefiel mir, die Idee einer Welt ohne Liebe wurde immer greifbarer und durchdachter. Aber da Lena sich nun auch immer mehr zu Alex hingezogen fühlt, "infiziert" ist vom Virus der Amor Deliria Nervosa, wird das Buch an diesem Punkt dann doch wieder eines von vielen. Unrationales Verhalten aufgrund übermäßiger Verliebtheit, rosarote Brille, Herzklopfen, Schmetterlinge im Bauch, unreifes Verhalten und der übliche Kampf gegen das System. Nett umgesetzt, schön geschrieben, ein Buch von vielen, fast wie aus der Jugendroman-Fabrik. Superlative ohne Ende, sobald es um ihre sooooo innigen Gefühle geht, das mag ich niemandem abstreiten, aber ich habe auch keine Lust, zum hundertsten Mal das gleiche Buch in nur minimaler Variation zu lesen.

Das Ende dann krachwumm mit einem großen Knall, man kann DELIRIUM getrost als Einzelband lesen, das Ende ist nicht gerade "happy", aber das ist das in diesem Buch vielzitierte ROMEO UND JULIA auch nicht. Aus gefühlter "wahrer Liebe" wird irgendwann Alltag, und das kann ein Autor dem Leser nicht zumuten, doch durch einzelne Kniffe des Autors kann die Liebe der Protagonisten immer im Herzen getragen werden. "Wenns am schönsten ist, soll man aufhören". Prima gelöst, fand ich sehr gelungen von der Autorin. Weniger gelungen finde ich, dass es der erste Teil einer Trilogie ist, es wird also weitergehen. Hätte meiner Ansicht nach nicht sein müssen, damit zerstören viele Autoren ihr Werk selbst: indem sie kein Ende finden. Wäre Romeo und Julia ein Roman der heutigen Zeit - die Autoren hätten sicher einen zweiten Teil geschrieben, in dem sie doch nicht tot sind, wo sie weiterleben und das nächste Abenteuer bestehen. Nein, Romeo und Julia wurden unsterblich in der Literaturwelt, weil der große Meister wusste, wann Schluss ist.

Insgesamt fand ich DELIRIUM klasse, anfangs konnte ich kaum aufhören, wollte unbedingt wissen, wie es weitergeht, und ich hoffte, eine Perle unter den vielen Neuerscheinungen gefunden zu haben. Doch etwas nach der Hälfte wurde es zu einem der üblichen Bücher, die nett zu lesen sind, die Teenager erfreuen und die man bedenkenlos jedem empfehlen kann, der dieses Genre liebt. Es unterhält, ist spannend geschrieben, es gefällt. Es ist "nett". 

SaschaSalamander 11.06.2012, 15.57 | (0/0) Kommentare | PL

Unland

INHALT

Franka ist neu im Haus Eulenruh. Ein Erziehungsprojekt, das die Sozialpädagogen Vera und Andreas Kämpf führen. Es fällt ihr nicht leicht, sich in die Gruppe einzufügen, doch in den Zwillingen Lizzie und Ann findet sie bald Freunde, und auch Ricardo ist gar nicht so übel. In der Schule ist sie aufgrund ihres burschikosen Auftretens und ihrer eigenwilligen Art von Beginn an ein Außenseiter. Als Bewohnerin von Eulenruh hat sie sowieso keine Chance, denn das Dorf beäugt das Projekt mit kritischem, unwilligem Blick. Bald geschehen seltsame Dinge, Franka fühlt sich beobachtet, und die Stromausfälle im Dorf häufen sich. Dann ist da noch das Ruinengelände namens Unland, das von einem gefährlichen Zaun geschützt wird und zu dem Franka auf ihre Fragen nur düsteres Schweigen erntet. Die Ereignisse spitzen sich zu, und bald wird aus dem seltsamen Gefühl eine reale Bedrohung ...


CHARAKTERE

Die Charaktere finde ich neben der Sprache das Besondere, was dieses Buch ausmacht. Geschildert aus der Perspektive von Franka, hat der Leser in sie natürlich den größten Einblick. Doch auch die anderen Figuren werden sehr gut vorgestellt und schrittweise immer klarer. Alle, die in Eulenruh leben, haben eine bewegte Vergangenheit. Sie sind Außenseiter und tragen ihre eigene Last, ihr eigenes Geheimnis. Zu Beginn erscheint vieles, was sie tun, ungewöhnlich, doch Toleranz wird in der Gruppe großgeschrieben, und je besser Franka die anderen kennenlernt, desto mehr fühlt sie sich ebenso wie der Leser zu ihnen hingezogen. Selbst die anfänglichen Unsympathen werden mit der Zeit zu Sympathieträgern. Anders sieht es in der Schule aus, wo Franka von Beginn an gemobbt wird. Die Mitschüler bleiben bis auf eine Freundin dort eher blass, sie dienen als Statisten mehr ihrer jeweiligen Rolle als einer ausführlichen Charakterstudie.

Was mir gefällt ist, wie nebenbei Themen eingewoben werden, ohne sie zum Hauptthema das Buches zu machen. Jeder Charakter hat seine eigene Persönlichkeit, die Themen reichen von Kleinkriminalität (z.B. Graffity) über Homosexualität, Schulproblemen, virtueller Realität, Mobbing hin zu Mord und Missbrauch durch die Eltern. Die Autorin urteilt nicht, sie erzählt. Auf diese Weise vermittelt sie ein sehr glaubwürdiges Bild von ihren Figuren, die täglich darum kämpfen, nicht mehr als Außenseiter zu gelten, etwa Matthias mit Wut und Aggression, Lizzie mit ihren Verführungskünsten, die Fünfjährigen mit Schweigen, Franka mit Kämpfernatur und Tatendrang.

 
SPRACHE

Wie bereits erwähnt, ist auch die Sprache des Buches etwas ganz Eigenes. Das Buch ist in der Ich-Form aus Frankas Sicht geschrieben, und Franka ist eine Berliner Göre. Der Schreibstil ist also zwar einem hochdeutschen Buch entsprechend, dennoch fließt hier und da unauffällig eine falsche Berliner Grammatik ein, und natürlich hat Franka keine Hemmungen, auch Wörter wie Vollhorst, Scheiße und ähnliche in den Mund zu nehmen. Es ist als Jugendbuch absolut geeignet, keinem Leser werden vor Scham die Ohren abfallen, das Maß ist sehr gut gehalten, niemals werden die Ausdrücke zuviel oder zu unangenehm.

Auch verwendet die Autorin sehr viele Metaphern und Personifizierungen, die dem Buch Leben und Atmosphäre verleihen. Obwohl das Buch sehr dicht gefüllt ist mit diesen Stilmitteln, wirkt es nicht überladen. Die Bilder fügen sich in das Bild, der Text ist ein großes Ganzes, in dem nichts Unpassendes hervorsticht. Die Autorin gehört für mich zu den wenigen, denen es tatsächlich gelingt, >mit Worten zu malen<. Sie braucht keine Adjektive, um ein Gefühl zu beschreiben, sie versetzt den Leser selbst in die Lage des Protagonisten.

Durch das Malen entsteht eine tiefe Symbolik, die in dem Buch auf Kommendes verweist. Schon der Traum Frankas in der ersten Nacht ist sehr bildgewaltig. Sie ist umgeben von hohem Gras, es wächst, immer höher wächst es, droht sie zu verschlingen. Die Natur erobert ihr Reich, der Mensch nur ein unbedeutender Teil der Erde, Bedrohung für Franka lauert in harmlosen, sie alltäglich umgebenden Dingen, nicht einmal das beständige, verlässliche Wachsen und Wandeln der Natur bietet noch Sicherheit. Der düstere See, der gleich einer zähen Ölmasse die darin Schwimmenden umschließt, und die Sonne verreckt oben in den Baumkronen, kein Licht dringt hinab auf die Lichtung. Es ist so still wie im Inneren einer toten Uhr. Eine tote Uhr, das impliziert das Ende der Zeit, das Ende dessen, was unantastbar scheint, das Ende aller Dinge. Ein Kleid wird dreckig, das Kleid einer bis dahin unangetasteten, strahlenden Figur, doch auch sie bekommt Flecken, ihr Glanz erlischt. Oh, ich könnte in dieser Sprache versinken!


GENRE

Schön finde ich, wie Antje Wagner sich geschickt den Schubladen der gängigen Genres entzieht. Statt dessen bringt sie Elemente verschiedener Bereiche in ihr Buch ein, ohne jedoch alle Ansprüche zu erfüllen. Es gibt Fantasyelemente (wobei diese stark von der Interpretation abhängen, reines Fantasy ist dieses Buch keinesfalls), es gibt Thrillerelemente (die Spannung, das drohende Unheil, die Verbrechen, aber dennoch kein Thriller), es beinhaltet Teile eines Entwicklungsromanes und einer Charakterstudie (was jedoch sich stark in die Mystery-Elemente und den Thrill einfügt und eher ein Teil des Ganzen als ein eigenes Genre darstellt). Nein, das Buch braucht kein Genre. Es steht für sich, es schildert die Schicksale mehrerer Jugendlicher und lässt den Leser einen intimen Blick auf das Innere der Protagonisten werfen.


SOUNDTRACK

Im Buch wird sehr viel Bezug zur Musik genommen, die Franka hört, die Texte fließen in den Roman ein, tragen ihre eigene Bedeutung in sich. Die jeweiligen Titel werden von der Autorin am Ende nochmals aufgezählt, sodass der Leser sich, wenn er möchte, seine eigene CD zum Buch erstellen kann oder auch auf neue Titel aufmerksam wird. Eine nette Idee und ein schönes Goodie am Schluss.


NACHGESCHMACK

Ein einziges Problem hatte ich mit dem Buch: das Ende. Ich habe es einige Tage auf mich wirken lassen. Mit dem Ergebnis, dass das Buch mir noch immer sehr gefällt und ich es absolut empfehlen kann, weil es einfach etwas Besonderes ist. Trotzdem wurde der bis kurz vor Ende uneingeschränkte Lesegenuss etwas getrübt, und mir hing das ziemlich nach. Im Internet hat die Autorin bei >Literella< dazu Stellung genommen.

Ich finde die Erklärung sehr einleuchtend. Und im Hinblick auf die Starke Symbolkraft des Buches ist das durchaus nachvollziehbar, sodass ich jetzt mit diesem Wissen auch für mich abschließen kann und sagen "eine tolle Idee, dieser Twist am Ende". Von alleine, gebe ich allerdings zu, wäre ich nicht darauf gekommen, mir war dieser Bruch zwischen "Real" und "Fantasy" (so nenne ich es, um nicht zu spoilern) zu heftig und ließ mir zu viele Fragen offen. Aber, wie gesagt - ein Ende, bei dem man zwischen den Zeilen lesen muss und die Dinge keinesfalls so sehen darf, wie sie scheinen. Etwas, das während des kompletten Buches gefordert wird und den Leser am Ende dann doch unter Umständen überfordert. Trotzdem - ich würde es auf jeden Fall empfehlen, Ende hin oder her!


FAZIT

Der Autorin gelingt es, mit ihren Worten leuchtende Bilder zu malen. Handlung und Äußerlichkeiten treten in den Hintergrund, um Raum zu schaffen für Symbolkraft und Innensicht. UNLAND ist ein Buch, das nach der Lektüre noch lange nachwirkt. 

SaschaSalamander 22.05.2012, 08.43 | (0/0) Kommentare | PL

Nevermore

creagh_nevermore_1.jpgNachdem ich soviel Gutes über das Buch gehört hatte, war ich natürlich neugierig auf NEVERMORE. Erst recht, weil es um einen DER Autoren geht, die in meinem Regal einen Ehrenplatz einnehmen. Cheerleader und Edgar Allan Poe, rosa Plüsch und schwarzer Goth-Style, wie lässt sich das vereinbaren? Ich muss leider sagen, sosehr ich mich darauf gefreut hatte, mir hat diese Kombination nicht gefallen. Andere Blogger, mit denen ich oft eine Meinung teile, waren begeistert, aber dieses Mal scheiden sich die Geister. Macht nichts. Aber deswegen werde ich auch keine ausführliche Rezension schreiben, sondern einfach nur schildern, was mir persönlich den Zugang zu diesem Werk verwehrte:

Am meisten waren das die Sprache und Wortwahl. Inhaltlich als auch sprachlich extrem viele Wiederholungen. Unzählige Male wurden die Augenfarben hervorgehoben, der Kajal, die Haarfarbe, die Ringe an den Fingern, und wie häufig das Wort "Po" vorkam, ist schon markant, so als gäbe es keine Synonyme. Dazu kommt die starke Häufung von Adjektiven, hier wurde stellenweise wirklich übertrieben. Für meinen Geschmack zuviel von außen beschrieben statt von innen gezeigt. Auch mit der Erzählperspektive haperte es manchmal, wechselte mitten im Satz. Feinheiten, an denen ich mich dennoch einige Male stieß. Ich weiß nicht, was der Übersetzung und was der Autorin zuzuschreiben ist, aber stellenweise hatte ich auch mit der Übersetzung Probleme, am schlimmsten fand ich, dass "Toaster" nicht übersetzt wurde. Nicht jeder weiß, dass ein Toast auch ein Trinkspruch ist und ein Toaster somit jemand, der auf einen anderen anstößt. Es klingt einfach irritierend, wenn ein Toaster auf den Friedhof geht und jedes Jahr Blumen und Cognac auf das Grab legt.

Es wurde mit extrem vielen Klischees gearbeitet, das Buch erschien mir sehr platt, und es kam mir vor, als hätte es nur den Zweck, möglichst viele Klischees herauszuarbeiten und diese breitzutreten, vom hirnlosen Footballspieler hin zur tussigen Cheerleaderin bis zum freakigen Goth, dem zockenden Bruder, und so weiter. Gut, die Klischees werden teilweise aufgebrochen, aber auf eine Weise, die ... naja, nicht mein Geschmack eben.

Das Verhalten der Charaktere fand ich nicht nachvollziehbar, und ich habe oft mit dem Kopf geschüttelt über solch ein kindisches Gebaren. Verhaltensänderungen werden nicht erklärt, ich kann sie mir zwar zusammenreimen und finde sie vom Hintergrund aus betrachtet realistisch, aber ein Autor sollte dies dennoch vermitteln können. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass die In-Cliquen einfach nicht meine Welt sind und auch nie waren. So hat z.B. die Protagonistin ihren Freund verlassen, und kurz darauf ist ihre beste Freundin (mit der es zuvor auch einen Streit gab, weil sie ein Geheimnis ausgeplaudert hat, deswegen redet die Prota nicht mehr mit ihr) mit ihm zusammen. Die Erklärung dafür auf S. 226: "Der einzige Grund, dass Nikki überhaupt was mit Brad angefangen hat, war, dass sie dachte, dass sie damit Deine Aufmerksamkeit bekommt. Es macht sie total fertig, dass ihr beide nicht mehr miteinander sprecht. Außerdem ist sie gar nicht mehr mit Brad zusammen, das Ganze war nach ungefähr zwei Sekunden vorbei. Sie darf es nur niemandem sagen, weil er nicht will, dass Du es herausfindest". Nein, nicht meine Welt ... und, zugegeben, dass es junge Mädchen gibt, die das nachvollziehen können, finde ich erschreckend.

Der Poe-Anteil ... naja, einige Kapitelüberschriften, außerdem natürlich der rote Faden des Buches. Aber als das Projekt vorgestellt wurde, habe ich mich fremdgeschämt, ich fand es schrecklich, was die Cheerleaderin aus diesem genialen Mann gemacht hatte. Eine alberne Witzfigur hat sie vor der Klasse präsentiert, dass es mir einfach nur in der Seele wehtat. Für amerikanische Schulkids, die sich nicht mit Literatur befassen, mag es toll sein, dadurch werden sie darauf aufmerksam. Aber auch hier: not my world.

Ich schließe einen tieferen Sinn dieses Buches nicht aus, aber mir selbst hat er sich verschlossen. Sprachlich, inhaltlich und auch die Charaktere, zu nichts davon fand ich einen Zugang. Zu Ende gelesen habe ich dennoch, weil ich einfach wissen wollte, wie das Thema umgesetzt wurde und ob gegen Ende vielleicht doch noch eine Wende kommt. Was leider nicht kam. Nun ja, wie gesagt, ich will es nicht schlechtmachen, und ich bin sicher, dass das Buch zu Recht viele Fans hat. Aber es ist ein Buch weit fernab meiner Realität, meines Lebens, meiner Einstellungen und meiner Gedankenwelt. Gerne lese ich Bücher, die sich außerhalb meines Radius befinden, um auf diese Weise mehr über andere Menschen zu erfahren, um zu lernen, andere besser zu verstehen. Einigen Autoren gelingt es, in mir Verständnis zu wecken und einen Blick in andere Köpfe zu erhaschen, in diesem Fall hat es einfach nicht geklappt.

Klar, es hatte auch schöne Momente, sonst hätte ich es nicht bis zum Schluss gelesen. Müsste ich es mit Filmen vergleichen, so nähme ich Highschool-Titel wie 10 DINGE DIE ICH AN DIR HASSE, EINE WIE KEINE und Co, mit denen ich ebensowenig anfangen kann. Aber auch da gibt es Titel, die mich ansprechen, etwa NATÜRLICH BLOND oder CLUELESS. Liegt also nicht am Genre, sondern an der Darstellung ...

Und zum Abschluss: weder auf dem Klappentext noch auf dem Infotext auf der Klappbroschur stand etwas von Trilogie. Ich informiere mich vor dem Lesen über das Buch, aber ich surfe nicht stundenlang durchs Web und lese auch keine Rezensionen, will mir keine Spoiler einfangen. Wenn ich bei der regulären Vorabinformation nirgends darauf stoße, dass es ein Mehrteiler ist, dann bin ich im Anschluss ziemlich angepisst, wenn ich feststellen muss "ällerbätsch, den Rest musst Du Dir auch noch kaufen". Wird immer mehr Mode in den Verlagen und ist eine ganz fiese Unsitte. Ich hoffe, dass möglichst viele Leser diese Art der Vermarktung abstrafen und man irgendwann wieder so fair ist, solche Dinge vorab zu erwähnen ...

SaschaSalamander 21.05.2012, 08.11 | (0/0) Kommentare | PL

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